II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 953

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in die
mals gelegentlich den Vorwurf gemacht, daß ich mich
meine
Angelegenheiten fremder Leute mische und
dramatischen Arbeiten in sinnloser Weise der Feindseligkeit
der Direktoren aussetze. So wohlgemeint der Vorwur
indessen war, so wenig war er in der Sache begründet. Ich
nahm die Last des Kampfes durchaus nicht auf mich, weil
ich bei jeder Rauferei dabei sein muß oder weil ich die
Folgen nicht überschaute, die für mich notwendig dabei
herauskommen mußten. Ich ging in die Arena, weil ich
in einer starken gewerkschaftlichen Bewegung der Schau¬
spieler einen mächtigen Bundesgenossen gegen die Theater¬
korruption erblickte, die ich aus idealistischen Erwägungen
damals wie heute bekämpfte. Ich bemühte mich, auch dem
Publikum den Irrtum zu nehmen, als handle es sich um
eine einfache Standesfrage, die nur die Beteiligten anginge,
und machte ihm klar, daß die kulturelle Intelligenz unseres
Volkes in diesem Fall auf die Seite der Schauspieler
gehöre.
Seit jenen Tagen nun ist die Theaterkorruption so ent¬
setzlich geworden, daß wir in ihr umzukommen drohen, und
wenn meine Rechnung richtig war, müßten wir jetzt die
Stimme der Schauspieler vernehmen. Der Einwand, daß
sie sich in wirtschaftlicher Abhängigkeit von eben dem
Theaterkapital befinden, von dem die Korruption stammt,
verschlägt in diesem Zusammenhang nichts, da ihre starke
gewerkschaftliche Organisation sie von den Stricken der
wirtschaftlichen Abhängigkeit freigemacht hat. Den Direktor
möchte ich sehen, der einer Gruppe von protestierenden
Schauspielern auch nur ein Haar zu krümmen wagte, wenn
die Schauspieler von ihrer eigenen Genossenschaft geschützt
würden. Trotzdem aber die Genossenschaft da ist und trotz
dem wir immer tiefer in den Sumpf der Würdelosigkeit
hineinsinken, vernehmen wir die Stimme der Schau¬
spieler nicht.
Als am ersten Weihnachtstag vorigen Jahres die
unabhängig=bolschewistische „Tribüne“ in Charlottenburg
eine Schauspielerin nackt auf die Bühne ließ, stellte ich die
organisierten Schauspieler durch scharf formulierte Fragen,
um sie auf diese Weise zum Reden zu zwingen. Es ergab
sich damals, daß sie sich durch einen Aufruf in ihrem Organ
und durch eingeleitete Schritte bei der Behörde zu wehren
suchten, in der Oeffentlichkeit vor dem Publikum
aber wurde nichts unternommen, obwohl die Mißhandlung
des Standes in der Oeffentlichkeit vor dem Publikum
begangen war.
Selbst die Anwandlung des Widerstands aber, die die
Genossenschaft damals zeigte, scheint gewissen Elementen
zuviel gewesen zu sein. Als sich überall in unserem Volk
die gebildeten Kreise gegen den Schnitzlerschen „Reigen“ zur
Wehr setzten, in dem alle ästhetischen Qualitäten in
Stu# ossinn erloschen, während der Geschlechtsakt in schauer¬
liche Einförmigkeit gezeigt wurde, druckte das Fachorgan
der Schauspieler ein kunstfremdes, gerichtliches Urteil ab,
das den „Reigen“ deckte und ihn nach meiner Erinnerung
gar als eine sittliche Tat pries. Wie Professor Brunner
unwidersprochen im „Reichsboten“ berichtet hat, erklärte
bei einer anderen Gelegenheit ein Schauspieler vor Gericht
daß er „auf Anordnung der Regie“ auch völlig nackt au
die Bühne gehen würde und erniedrigte sich damit zu einem
Sklaven für Schaustellungszwecke, der die Scham nicht mehr
kennen darf. Obwohl hier also das Mitglied einer bekannten
Bühne eine ungewöhnlich traurige Gesinnung zum Grund¬
satz seiner Tätigkeit erhob, ohne auf die Milderungsgründe
Anspruch machen zu können, die man. dem gefallfüchtigen
Weib in der „Tribüne“ schließlich müßte zukommen lassen,
haben wir nicht gehört, daß er von den Schauspielern aus
ihren Reihen ausgeschlossen worden wäre, oder daß sie
auch nur gegen die ihrem Stand angetane Schmach öffentlich
Einspruch erhoben hätten.
Vor dem Kampf der nationalen Presse sind die
Interessenten der Volksvergiftung dann insofern etwas
zurückgewichen, als sie die offene, rohe, gemeine Scham¬
losigkeit durch die verschleierte, sorgfältig abgewogene, pikant
gepfefferte ersetzt haben, was von ihrem Standpunkt aus
richtig war, von unserem aus aber verderblich, da sie da¬
durch nur um so gefährlicher wurden. Während Frankreich
uns das Messer an die Kehle setzt und uns endgültig
morden will, jagen sich auf den Berliner Bühnen die fran¬
zösischen Schwänke, einer immer wertloser, einer immer un¬
fauberer als der andere.
Wenn der „Neue Weg“ wirklich nicht die Natur des
„Reigens“ zu erkennen vermag, könnte man ja vielleicht
annehmen, daß auch seine Abonnenten die Grenzen der
erotischen Kunst nicht zu ziehen wissen und sich also aus
Unwissenheit zu diesen Schaustellungen mißbrauchen lassen.
Soll man aber auch annehmen dürfen, daß ihnen Ober¬
schlesen so gleichgültig ist, wie dem Amüsierpöbel, vor dem
sie sich prostituieren müssen? Soll man annehmen dürfen,
daß sie den infernalischen Widerspruch, der zwischen diesen
Vergnügungen und der Not unseres Landes besteht, nicht
empfinden? Soll man annehmen dürfen, daß ihr vater¬
währte Millel Der
hat. Man hat auf die Schauspieler im kleinen die Methode
angewandt, die man mit stärkstem Erfolg im großen auf die
sozialdemokratische Arbeiterbewegung anwandte, als man
durch undeutsche Elemente die Gruppe der sogenannten
Unabhängigen schuf. Wenn es mir gelingt, eine Bewegung
in zwei oder mehrere sich bekämpfende Gruppen aufzulösen,
von denen ich die eine in der Hand habe, habe ich die ganze
Bewegung in der Hand, weil die anderen Gruppen sich aus
Rücksicht auf meine Gruppe nicht mehr frei bewegen können
und eben diese Methode hat das Theaterkapital mit er¬
probter Tüchtigkeit auf die Schauspieler angewandt.
Es sind in der Bühnengenossenschaft Elemente auf
getaucht, die nuch außen hin ebenso schauspielerfreundlich
waren wie die Unabhängigen nach außen hin arbeiterfreund¬
lich sind, und die unter der Parole „Alles für die Schau¬
pieler!“ Anhang gewannen. Sie steigerten die an sich not¬
wendige gewerkschaftliche Art der Genossenschaft in so
krasser Weise, daß die künstlerisch gesonnenen Mitglieder
notwendig daran Anstoß nehmen mußten. Die Folge davon
war natürlich, daß die Bewegung schon durch inneren Zwist
nach außen gelähmt wurde, so daß nunmehr eine machtvolle
Kundgebung gegen die Theaterkorruption nicht zustande¬
kommen konnte, weil die Radikalinskis sie sofort ale eine
Unterstützung von Junkern und Pfaffen verdächtigt hätten.
Meine Ansicht von damals, daß eine starke Gewerkschafts¬
bewegung der Schauspieler notwendig einen Bundesgenossen
m Kampfe gegen die Korruption ergeben müßte, war voll¬
kommen richtig, aus der starken Bewegung aber ist in¬
zwischen zur höheren Ehre des undeutschen Theaterkapitals
eine gelähmte, zerrüttete und vergiftete geworden.
In der Not frißt Seine Majestät der Satan bekanntlich
Fliegen, und wenn innerhalb eines Stands die Dinge so
liegen oder wenigstens so zu liegen anfangen, freut man sich
Im
auch über ein bescheidenes Zeichen der Gesundung.
„Neuen Weg“ vom 15. Oktober, finde ich den folgenden
Aufschrei einer bedrängten Schauspielerseele, der mir wohl¬
getan hat, und den ich darum in den folgenden Zeilen weiter¬
geben will:
„Am Abend ging ich durch die Stätten, die gebaut sind, daß
darin das Wort ertöne, so euch die Größeren der Erde gegeben
haben. Und siehe, mich faßte ein Grauen an über das, wag sich
dort breit machte an Plattheit, Seichtheit, Geil¬
heit, Lüge
Ward euch dazu vor allem Geschöpf der Erde Vernunft und
Sprache, meistert ihr deshalb als einziges Wesen in der Natur
die Rede, daß sie gebraucht werde, um Zaten und Aberwitz
zu verkünden? Gab euch der Gott Kraft der Bewegung und
Gewalt der Miene, damit ihr in Handlung und Geste eure
Tierheit widerspiegelt?
Wahrlich, Seen von Schlamm, Meere voll Dummheit,
Ozeane, bis an den Rand angefüllt mit Brunst, mußte ich auf
jenem Weg durchwaten.
Sind das eure Spiele? Ist das eure Schaubühne?“
In dieser vortrefflichen Art geht es dann noch ein ganzes
Stück weiter: Der angeschlagene Ton der pathetischen
Deklamation gelingt nicht immer und führt gelegentlich zu
schiefen Bildern, die idealistische Gesinnung aber, das Sich¬
aufbäumen des künstlerischen Ehrgefühls ist überall vor¬
handen, und das ist im vorliegenden Zusammenhang das
Entscheidende. Wenn man derartige Zeilen liest, atmet man
auf, überblickt man dann aber die redaktionelle Be¬
handlung, die ihnen widerfährt, wird man wiederum
vom ganzen Jammer der Schauspielerbewegung angefaßt.
Zunächst wird der Aufruf nicht an die Spitze des Blatts
gestellt, wo er hingehört hätte, sondern findet am Schluß im
„Sprechsaal“ einen bescheidenen Unterschlupf und wird
auch hier noch durch einen Zusatz der Schriftleitung abge¬
schwächt.
Der Zusatz lautet: „Unser Mitglied Dr. Hans Herrmann
Cramer stellt uns die folgenden Zeilen zur Verfügung, die
uns ein wichtiger Beitrag zu unserem Kampf gegen den
Tiefstand der Spielpläne mancher unserer Bühnen
scheinen. Wenn meine Leser sich das oben mitgeteilte Zitat
noch einmal ansehen wollen, werden sie leicht erkennen, daß
Herr Dr. Cramer sich in schärfster Weise und mit tiefstem
Recht gegen die allgemeine Versumpfung des Sviel¬
plans wendet. Soweit aber ist es mit den deutschen Schau¬
pielern gekommen, daß selbst diese einfache, schlichte Fest¬
tellung einer vorhandenen Tatsache sich nicht einmal
im „Sprechsaal“ ans Licht wagen darf, ohne durch eine sorg¬
sam erwogene Fußnote wieder um die Ecke gebracht zu
werden. Wenn die Redaktion ausspricht, daß es sich nur
um einen Tiefstand „mancher“ Bühnen handelt, hat sie der
kulturellen Erscheinung ihren verhängnisvollen Charakter
genommen, und ihr Mitglied Dr. Cramer erscheint als ein
etwas pathetischer Herr, der um nichts in die leere Luft
hineindeklamiert, denn daß „manche“ Bühnen eine be¬
klagenswerten Tiefstand des Spielplans aufweisen, war
immer vorhanden und wird sich wahrscheinlich nie ganz ver¬
meiden lassen.