11. Reigen
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Menschen karikaturistische Typen malt,
Eigentliches in diesem Negativen haben.
der Zeit Tribut gezollt.
Verlorener Glaube an Menschenwert
Hoffen wir, daß er sich ganz findet,
führt zum Nihilismus in der Kunst, der,
um einer unserer Wesentlichen zu wer¬
o „interessant“ er sein kann, doch auch
den. „Und im Wahren, Guten, Schönen
so unsäglich sterblich ist. Auch Birkle
resolut zu leben“! Carl Meißner.
hat vor allem als Bildnismaler, der statt
Der Beobachter
1
hygienisch empfindende Menschen gegen
In England, dessen Demokratie nach¬
erienweise Sensationsaufführungen des
E zuahmen heiligste Pflicht für alle
Reigens Einspruch zu erheben wagten.
fortschrittlichen deutschen Gemüter ist,
Aus bestunterrichteter Quelle erfahren
einen Zensor für Bücher.
gibt es —
wir, daß ein Theater, das mit Reigen¬
Stefan Zweig, deutscher Schriftsteller
spektakel ein wenig verspätete Lorbeeren
wienerischer Provenienz, war im Begriff,
ernten wollte, vom Verlage. als es das
eine Auswahl seiner Novellen in London
Aufführungsrecht einholte, den Bescheid
herauszubringen. Der englische Bücher¬
erhielt, der Verfasser sei aus grund¬
verbot den öffentlichen
zensor aber —
sätzlichen Bedenken künstlerischer Art ge¬
Verkauf. Er setzte das Buch auf die Re¬
gen weitere Aufführungen. Nach solcher
served List. Wohlgemerkt: nicht der Ver¬
Erscheinungen eine Revision des Reigen¬
kauf überhaupt wurde verboten
prozesses zu beantragen, wäre verfrüht
Liebhaber solcher Literatur dürfen die
gewesen, denn Herr Arthur Schnitzler
Novellen persönlich bestellen und er¬
drahtete denen, die sich über so plötzliche
werben. Aber das Buch darf nicht
Gewissensregungen einigermaßen wun¬
öffentlich feilgeboten werden.
derten, daß er gegen 2000 Mk.
Man macht nämlich in England den
Tantiemevorschuß diese Be¬
und
Unterschied zwischen „unsittlich“
denken zurückstecken wolle und
UAnsittliche Bücher
„sittengefährdend“.
auf eine weitere etwas herunterhandeln¬
werden stracks konfisziert. Sittengefähr¬
de Anfrage, daß er ev. auch gegen
dende Bücher von Kunstwert dürfen zwar
1000 Mk. Tantiemevorschuß
an Liebhaber abgegeben, nicht aber hem¬
Wie
*
mit sich reden lassen würde
mungslos in der Oeffentlichkeit ange¬
wir hören, sind die Telegramme noch
priesen und feilgeboten werden. Es han¬
vorhanden. In einem Termin in Sachen
delt sich nicht um „Sittlichkeit“, sondern
des neuen Reigenprozesses, den Sladek
Wir er¬
um den Schutz der Sitte.
seit mehr als zwei Jahren gegen mich
innern uns: als man dem deutschen Volke
„führt“, sagte Schnitzler aus, für ihn sei
den „Reigen“ aufzuzwingen suchte, log
zwar das wirtschaftliche Interesse „auch
die interessierte Presse unserem Volke
mit“ in Betracht gekommen, aber aus¬
vor: Deutschland mache sich vor der Welt
schlaggebend dafür, daß er entgegen
lächerlich, wenn es nicht diesen ins Lite¬
seiner früheren Stellungnahme die Auf¬
rarische gehobenen Mitosch=Geist applau¬
führung des Reigens gestattet habe, seien
dierend aufnehme. Vermutlich lügt die¬
doch künstlerische Motive gewesen.
selbe (englisch geschriebene) Presse jetzt
Tja, es ist nur ärgerlich, daß der Wech¬
ich
den Engländern vor, daß „man
el in Schnitzlers Anschauung über die
„sogar in Deutschland“ über das Vor¬
Aufführbarkeit des Reigens just mit der
gehen des Zensors empöre. Im Gegen¬
zu¬
Entwertung der österreichischen Krone
teil, wir wünschen auch in Deutschland
ge¬
sammentraf. Es wäre vorsichtiger
daß die Republik endlich begreifen lerne,
wesen, einen weniger verdächtigen Zeit¬
was Volkssitte bedeutet. Wahre
punkt zu wählen. Wie will Schnitzler
Demokratie ist nicht möglich ohne Sitte.
ich sonst vor dem allgemeinen Lächeln
Staatspuritanismus!
iber die Tausend=Mark=Ethik schützen?
Alles wäre in Ordnung, wenn er in¬
Septemberheft des „Ostwarts
Im
nerlich so frei wäre, ein Geschäft Geschäft
O einer vom Bühnenvolksbunde her¬
ein zu lassen, statt sein Gewissen mit
ausgegebenen Zeitschrift, lesen wir unter
„künstlerischen Motiven" und „neuer“
der inhaltschweren Ueberschrift „Arthur
oder gar „höherer Ethik“ einzuwickeln.
Schnitzlers Ethik oder grundsätzliche Be¬
So etwas kann man sich selbst vor¬
das
denken von 1000 Mk. abwärts
machen, aber nicht andern. Denn be¬
sich
Folgende: „Man erinnert sich, wie
kanntlich ist man selbst immer gut, und
der
im Reigenprozeß die Erbpächter
„die andern“ sind immer böse.
Kunstkritik spaltenlang entrüsteten,
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Menschen karikaturistische Typen malt,
Eigentliches in diesem Negativen haben.
der Zeit Tribut gezollt.
Verlorener Glaube an Menschenwert
Hoffen wir, daß er sich ganz findet,
führt zum Nihilismus in der Kunst, der,
um einer unserer Wesentlichen zu wer¬
o „interessant“ er sein kann, doch auch
den. „Und im Wahren, Guten, Schönen
so unsäglich sterblich ist. Auch Birkle
resolut zu leben“! Carl Meißner.
hat vor allem als Bildnismaler, der statt
Der Beobachter
1
hygienisch empfindende Menschen gegen
In England, dessen Demokratie nach¬
erienweise Sensationsaufführungen des
E zuahmen heiligste Pflicht für alle
Reigens Einspruch zu erheben wagten.
fortschrittlichen deutschen Gemüter ist,
Aus bestunterrichteter Quelle erfahren
einen Zensor für Bücher.
gibt es —
wir, daß ein Theater, das mit Reigen¬
Stefan Zweig, deutscher Schriftsteller
spektakel ein wenig verspätete Lorbeeren
wienerischer Provenienz, war im Begriff,
ernten wollte, vom Verlage. als es das
eine Auswahl seiner Novellen in London
Aufführungsrecht einholte, den Bescheid
herauszubringen. Der englische Bücher¬
erhielt, der Verfasser sei aus grund¬
verbot den öffentlichen
zensor aber —
sätzlichen Bedenken künstlerischer Art ge¬
Verkauf. Er setzte das Buch auf die Re¬
gen weitere Aufführungen. Nach solcher
served List. Wohlgemerkt: nicht der Ver¬
Erscheinungen eine Revision des Reigen¬
kauf überhaupt wurde verboten
prozesses zu beantragen, wäre verfrüht
Liebhaber solcher Literatur dürfen die
gewesen, denn Herr Arthur Schnitzler
Novellen persönlich bestellen und er¬
drahtete denen, die sich über so plötzliche
werben. Aber das Buch darf nicht
Gewissensregungen einigermaßen wun¬
öffentlich feilgeboten werden.
derten, daß er gegen 2000 Mk.
Man macht nämlich in England den
Tantiemevorschuß diese Be¬
und
Unterschied zwischen „unsittlich“
denken zurückstecken wolle und
UAnsittliche Bücher
„sittengefährdend“.
auf eine weitere etwas herunterhandeln¬
werden stracks konfisziert. Sittengefähr¬
de Anfrage, daß er ev. auch gegen
dende Bücher von Kunstwert dürfen zwar
1000 Mk. Tantiemevorschuß
an Liebhaber abgegeben, nicht aber hem¬
Wie
*
mit sich reden lassen würde
mungslos in der Oeffentlichkeit ange¬
wir hören, sind die Telegramme noch
priesen und feilgeboten werden. Es han¬
vorhanden. In einem Termin in Sachen
delt sich nicht um „Sittlichkeit“, sondern
des neuen Reigenprozesses, den Sladek
Wir er¬
um den Schutz der Sitte.
seit mehr als zwei Jahren gegen mich
innern uns: als man dem deutschen Volke
„führt“, sagte Schnitzler aus, für ihn sei
den „Reigen“ aufzuzwingen suchte, log
zwar das wirtschaftliche Interesse „auch
die interessierte Presse unserem Volke
mit“ in Betracht gekommen, aber aus¬
vor: Deutschland mache sich vor der Welt
schlaggebend dafür, daß er entgegen
lächerlich, wenn es nicht diesen ins Lite¬
seiner früheren Stellungnahme die Auf¬
rarische gehobenen Mitosch=Geist applau¬
führung des Reigens gestattet habe, seien
dierend aufnehme. Vermutlich lügt die¬
doch künstlerische Motive gewesen.
selbe (englisch geschriebene) Presse jetzt
Tja, es ist nur ärgerlich, daß der Wech¬
ich
den Engländern vor, daß „man
el in Schnitzlers Anschauung über die
„sogar in Deutschland“ über das Vor¬
Aufführbarkeit des Reigens just mit der
gehen des Zensors empöre. Im Gegen¬
zu¬
Entwertung der österreichischen Krone
teil, wir wünschen auch in Deutschland
ge¬
sammentraf. Es wäre vorsichtiger
daß die Republik endlich begreifen lerne,
wesen, einen weniger verdächtigen Zeit¬
was Volkssitte bedeutet. Wahre
punkt zu wählen. Wie will Schnitzler
Demokratie ist nicht möglich ohne Sitte.
ich sonst vor dem allgemeinen Lächeln
Staatspuritanismus!
iber die Tausend=Mark=Ethik schützen?
Alles wäre in Ordnung, wenn er in¬
Septemberheft des „Ostwarts
Im
nerlich so frei wäre, ein Geschäft Geschäft
O einer vom Bühnenvolksbunde her¬
ein zu lassen, statt sein Gewissen mit
ausgegebenen Zeitschrift, lesen wir unter
„künstlerischen Motiven" und „neuer“
der inhaltschweren Ueberschrift „Arthur
oder gar „höherer Ethik“ einzuwickeln.
Schnitzlers Ethik oder grundsätzliche Be¬
So etwas kann man sich selbst vor¬
das
denken von 1000 Mk. abwärts
machen, aber nicht andern. Denn be¬
sich
Folgende: „Man erinnert sich, wie
kanntlich ist man selbst immer gut, und
der
im Reigenprozeß die Erbpächter
„die andern“ sind immer böse.
Kunstkritik spaltenlang entrüsteten,
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