box 18/3
11. Reigen
Ob auch alles für eine kleine „Reigen"=Sensation geschehen
ist
Schnißzlers „Reigen“
als da sind: Berliner Gerichtsverhandlungen, Haftandrohung
gegen die Berliner Direktion, in Hamburg die Einführung mittels
in den Kammerspielen.
einer aus geheimnisvollen Gründen „geschlossenen Vorstellung",
Zwanzig Jahre sind es her, daß Arthur Schnitzler seinen
ja endlich das demonstrative Aushängen einer Warnungsiafel,
„Reigen“ veröffentlicht hat. Zwanzig Jahre kennt alle Welt diese
die, ein erhebendes Zeugnis für die Moral der Direktion Ziegel, nur
zehn erotischen Dialoge zwischen Liebespaaren, die Beruf oder
Jugendlichen über zwanzig Jahren den Zutritt gestattet, all das,
Neigung, Neugier oder Erfahrung zu flüchtiger Begegnung zu¬
fürchte ich ist vergeblich gewesen. Auch die zum Teil sehr gelungene
sammengeführt hat, und nicht nur Junggesellen und Lebemänner
Aufführung, die unter Paul Marx die delikate Aufgabe mit
kosteten vom vermeintlich prickelnden Reiz dieses Stückes galanter
künstlerischer Noblesse zu lösen suchte, konnte nicht den peinlichen
Literatur, ohne daß je der Schrei nach der Bühne laut wurde.
Eindruck verwischen, daß geschäftliche Spekulation sich hier am
Es mußte offenbar erst die Revolution kommen, zu deren
falschen Objekt vergriffen hat. Daß auch die literaturfreundliche
Segnungen es auch gehört, daß sie alle Bande frommer Scheu
Bühne immer mehr im Alkovendunst versinkt. Daß die pro¬
gesprengt und eine neue Gesellschaft in die Sessel der Theater be¬
gressive Paralyse deutschen Kulturlebens immer bedrohlicher
wird.
** *
fördert hat, die, durch keine kleinlichen Vorurteile der Bildung
oder der Kultur gehemmt, mit dem energischen Machtwillen ihres
über Einzelleistungen zu sprechen ist kein Anlaß. Nur die
rasch und leicht erworbenen Geldes nun auch eine neue Ara des
erfreuliche Wiederbegegnung der Anni Mewes verzeichne ich,
Geschmacks zu diktieren sich anschickt, um die deutsche Schatz¬
die ihrem Frauentum neue Brechungen, eine sehr willkommene
bühne von den lästigen Fesseln des Anstands zu befreien, un
Bereicherung ihrer nicht sehr großen schauspielerischen Skala zu
auch das, was selbst der Dichter in übertriebener Schamhaftig##t
verdanken hat. Und: daß ich die naturhaften Töne der Cento
nur für stille Lesestunden aufgezeichnet hat, ins natülich helle
Bré, als Schauspielerin, nicht vergessen werde.
Licht der elektrischen Rampen zu stellen. Wohltat der Freiheit
Otto Schabbel.
wie allerorten: auch hier! Heil ihr!
Wer war's, der dieser Forderung zuerst gehorchte? Hängt
ihn! Armer Dichter, der du deines Wiener Daseins Notdurft
Theater und Musik.
nicht anders stillen zu können glaubtest, als daß du diese zarten
Kinder deines Geistes aus dem Salon, für den sie geboren, auf
W. E. Im Altonaer Stadttheater gab man am Sonnabend
abend ein neues Lustspiel „Die Reise in die Mädchenzeit'
die Straße schicktest, und durch ihre Prostituierung auf ein paar
von Alex Engel und Hans Saßmann, in dem ein unverheira¬
deutsche Mark rechnest, die vielleicht viele Kronen und — wenig
teter Junggeselle einen unbedingt zähen Kampf um seine warme
Brot bedeuten. Kein Erbarmen aber verdienen jene Direktoren,
Sofaecke im Wohnzimer eines ihm gut befreundeten Ehepaares
die, des Dichters Not ausnutzend und derart den Namen eines
wirklichen Künstlers für eine unwissende Menge in den übel¬
ührt, das eine Trennung beabsichtigt, weil das etwas kapriziöse
riechenden Dreck zu den Pornographen schleifend, auf die nied¬
Frauchen das von der Ehe in Permanenz erwartete „blaue Wunder“
rigsten Instinkte eines stets lüsternen Publikums ihre schäbige
nicht erlebt und sich infolgedessen „unverstanden“ wähnt. Frau
Beate will ihren Gatten verlassen und wieder die Reise in die
Spekulation aufbauen. Wer von ihnen will mir weismachen, daß
Mädchenzeit antreten. Diesen Entschluß weiß aber besagter Jung¬
es sich hier um eine „literarische Notwendigkeit“ handele, diese
zehn Stimmungsgespräche, die das ante und post festum der
geselle, ein älterer sich nach dem stillen Glück der befreundeten Ehe
Liebe mit mehr oder weniger Grazie feiern und dabei das Psycho¬
dauernd sehnender Gerichtsrat dadurch zu verhindern, daß er den
logische mit dem Physiologischen oft recht feingliedrig verknüpfen,
beiden Eheleuten erzählt, sie seien gar nicht verheiratet, da sich der
Bild und Klang werden zu lassen? Diese Dialoge, in denen die
trauende Standesbeamte als Betrüger ontpuppt habe und alle von
Pointe oder der dramatische Vorgang, wenn man so sagen darf
ihm ausgesprochenen Eheschließungen für ungültig erklärt seien.
der —
man begreift — im Mittelpunkt des Erlebnisses steht, (einst¬
Mit dieser „Enthüllung“ jagt er der jungen Frau einen so heillosen
weilen noch) zur Unsichtbarkeit verdammt ist, zur Realität zu
Schrecken ein, daß diese flugs den Weg in die Arme ihres Gatten
zwingen, aus der dichterischen Vision ins Körperliche zu über¬
zurückfindet. „Ich mußte Euch erst auseinander bringen, damit Ihr
tragen, heißt die Geistigkeit ihres Duftes zu plumper Handgreif¬
wieder zueinander kommt“, sagt der gemütvolle Gerichtsrat, ergreift
lichkeit erniedrigen. Nichts anderes. Und das allein wäre schon
eine beiden Sofakissen und legt sich wieder auf seinem Sofa nieder,
unverzeihlich, wenn nicht noch ein schlimmeres ästhetisches Mo¬
Gespielt wurde das harmlose aber ganz amüsante Stücklein in
ment dagegen spräche: die Langweiligkeit der Vorgänge. Zehn¬
Altona von den Damen Cläre Gocricke, Ilse Carlsen, Gusti
mal erleben wir die Variation des einen Themas, zehnmal geht
Gude=Brand, Ellen Eichelmann und den Herren Casimir
die taktvolle kleine Lampe aus und muß die Pause markieren,
Paris Axel Waldeck, Paul Bach und Wilhelm Walter
die im Buche die Gedankenstriche ersetzen, —
ganz erfreulich flott, nur die Schlußpointe ließ man sich leider
aber die Verschieden¬
entgehen.
heit von Bildern und Menschen kann nicht darüber hinweghelfen,
daß es doch nur zehn Wiederholungen eines Einmaligen sind, die
E. Uraufführung in Schwerin. Im mecklenburgischen Landes¬
allgemach ermüden und, schließlich feinerer Reize bar, endlich sanft
theater zu Schwerin gelangte am Sonnabend das Erstlings¬
einschläfern. Ob selbst überwache Sinne gefangen blieben?
werk des mecklenburgischen Schriftstellers Friedrich Griese
weiß es nicht. Im allgemeinen schien sich leichtes Enttäuschtsein
„Die Stadt“ zur Uraufführung. Der Autor, der sich erst kürz¬
auszubreiten, der erhoffte Kitzel blieb aus, und weder unmoralisch
lich in einem eigenartigen Roman („Feuer") als Grübler und
angestachelt noch moralisch entrüstet ging die Mehrzabl nach Haus:
Ideensucher dem breiteren Publikum vorstellte, geht auch in seiner
dr gelanme A A S
ersten Arbeit für die Bühne saltsam anmutende Pfade. (öx führt
Hsangee Wmcrinels
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Ob auch alles für eine kleine „Reigen"=Sensation geschehen
ist
Schnißzlers „Reigen“
als da sind: Berliner Gerichtsverhandlungen, Haftandrohung
gegen die Berliner Direktion, in Hamburg die Einführung mittels
in den Kammerspielen.
einer aus geheimnisvollen Gründen „geschlossenen Vorstellung",
Zwanzig Jahre sind es her, daß Arthur Schnitzler seinen
ja endlich das demonstrative Aushängen einer Warnungsiafel,
„Reigen“ veröffentlicht hat. Zwanzig Jahre kennt alle Welt diese
die, ein erhebendes Zeugnis für die Moral der Direktion Ziegel, nur
zehn erotischen Dialoge zwischen Liebespaaren, die Beruf oder
Jugendlichen über zwanzig Jahren den Zutritt gestattet, all das,
Neigung, Neugier oder Erfahrung zu flüchtiger Begegnung zu¬
fürchte ich ist vergeblich gewesen. Auch die zum Teil sehr gelungene
sammengeführt hat, und nicht nur Junggesellen und Lebemänner
Aufführung, die unter Paul Marx die delikate Aufgabe mit
kosteten vom vermeintlich prickelnden Reiz dieses Stückes galanter
künstlerischer Noblesse zu lösen suchte, konnte nicht den peinlichen
Literatur, ohne daß je der Schrei nach der Bühne laut wurde.
Eindruck verwischen, daß geschäftliche Spekulation sich hier am
Es mußte offenbar erst die Revolution kommen, zu deren
falschen Objekt vergriffen hat. Daß auch die literaturfreundliche
Segnungen es auch gehört, daß sie alle Bande frommer Scheu
Bühne immer mehr im Alkovendunst versinkt. Daß die pro¬
gesprengt und eine neue Gesellschaft in die Sessel der Theater be¬
gressive Paralyse deutschen Kulturlebens immer bedrohlicher
wird.
** *
fördert hat, die, durch keine kleinlichen Vorurteile der Bildung
oder der Kultur gehemmt, mit dem energischen Machtwillen ihres
über Einzelleistungen zu sprechen ist kein Anlaß. Nur die
rasch und leicht erworbenen Geldes nun auch eine neue Ara des
erfreuliche Wiederbegegnung der Anni Mewes verzeichne ich,
Geschmacks zu diktieren sich anschickt, um die deutsche Schatz¬
die ihrem Frauentum neue Brechungen, eine sehr willkommene
bühne von den lästigen Fesseln des Anstands zu befreien, un
Bereicherung ihrer nicht sehr großen schauspielerischen Skala zu
auch das, was selbst der Dichter in übertriebener Schamhaftig##t
verdanken hat. Und: daß ich die naturhaften Töne der Cento
nur für stille Lesestunden aufgezeichnet hat, ins natülich helle
Bré, als Schauspielerin, nicht vergessen werde.
Licht der elektrischen Rampen zu stellen. Wohltat der Freiheit
Otto Schabbel.
wie allerorten: auch hier! Heil ihr!
Wer war's, der dieser Forderung zuerst gehorchte? Hängt
ihn! Armer Dichter, der du deines Wiener Daseins Notdurft
Theater und Musik.
nicht anders stillen zu können glaubtest, als daß du diese zarten
Kinder deines Geistes aus dem Salon, für den sie geboren, auf
W. E. Im Altonaer Stadttheater gab man am Sonnabend
abend ein neues Lustspiel „Die Reise in die Mädchenzeit'
die Straße schicktest, und durch ihre Prostituierung auf ein paar
von Alex Engel und Hans Saßmann, in dem ein unverheira¬
deutsche Mark rechnest, die vielleicht viele Kronen und — wenig
teter Junggeselle einen unbedingt zähen Kampf um seine warme
Brot bedeuten. Kein Erbarmen aber verdienen jene Direktoren,
Sofaecke im Wohnzimer eines ihm gut befreundeten Ehepaares
die, des Dichters Not ausnutzend und derart den Namen eines
wirklichen Künstlers für eine unwissende Menge in den übel¬
ührt, das eine Trennung beabsichtigt, weil das etwas kapriziöse
riechenden Dreck zu den Pornographen schleifend, auf die nied¬
Frauchen das von der Ehe in Permanenz erwartete „blaue Wunder“
rigsten Instinkte eines stets lüsternen Publikums ihre schäbige
nicht erlebt und sich infolgedessen „unverstanden“ wähnt. Frau
Beate will ihren Gatten verlassen und wieder die Reise in die
Spekulation aufbauen. Wer von ihnen will mir weismachen, daß
Mädchenzeit antreten. Diesen Entschluß weiß aber besagter Jung¬
es sich hier um eine „literarische Notwendigkeit“ handele, diese
zehn Stimmungsgespräche, die das ante und post festum der
geselle, ein älterer sich nach dem stillen Glück der befreundeten Ehe
Liebe mit mehr oder weniger Grazie feiern und dabei das Psycho¬
dauernd sehnender Gerichtsrat dadurch zu verhindern, daß er den
logische mit dem Physiologischen oft recht feingliedrig verknüpfen,
beiden Eheleuten erzählt, sie seien gar nicht verheiratet, da sich der
Bild und Klang werden zu lassen? Diese Dialoge, in denen die
trauende Standesbeamte als Betrüger ontpuppt habe und alle von
Pointe oder der dramatische Vorgang, wenn man so sagen darf
ihm ausgesprochenen Eheschließungen für ungültig erklärt seien.
der —
man begreift — im Mittelpunkt des Erlebnisses steht, (einst¬
Mit dieser „Enthüllung“ jagt er der jungen Frau einen so heillosen
weilen noch) zur Unsichtbarkeit verdammt ist, zur Realität zu
Schrecken ein, daß diese flugs den Weg in die Arme ihres Gatten
zwingen, aus der dichterischen Vision ins Körperliche zu über¬
zurückfindet. „Ich mußte Euch erst auseinander bringen, damit Ihr
tragen, heißt die Geistigkeit ihres Duftes zu plumper Handgreif¬
wieder zueinander kommt“, sagt der gemütvolle Gerichtsrat, ergreift
lichkeit erniedrigen. Nichts anderes. Und das allein wäre schon
eine beiden Sofakissen und legt sich wieder auf seinem Sofa nieder,
unverzeihlich, wenn nicht noch ein schlimmeres ästhetisches Mo¬
Gespielt wurde das harmlose aber ganz amüsante Stücklein in
ment dagegen spräche: die Langweiligkeit der Vorgänge. Zehn¬
Altona von den Damen Cläre Gocricke, Ilse Carlsen, Gusti
mal erleben wir die Variation des einen Themas, zehnmal geht
Gude=Brand, Ellen Eichelmann und den Herren Casimir
die taktvolle kleine Lampe aus und muß die Pause markieren,
Paris Axel Waldeck, Paul Bach und Wilhelm Walter
die im Buche die Gedankenstriche ersetzen, —
ganz erfreulich flott, nur die Schlußpointe ließ man sich leider
aber die Verschieden¬
entgehen.
heit von Bildern und Menschen kann nicht darüber hinweghelfen,
daß es doch nur zehn Wiederholungen eines Einmaligen sind, die
E. Uraufführung in Schwerin. Im mecklenburgischen Landes¬
allgemach ermüden und, schließlich feinerer Reize bar, endlich sanft
theater zu Schwerin gelangte am Sonnabend das Erstlings¬
einschläfern. Ob selbst überwache Sinne gefangen blieben?
werk des mecklenburgischen Schriftstellers Friedrich Griese
weiß es nicht. Im allgemeinen schien sich leichtes Enttäuschtsein
„Die Stadt“ zur Uraufführung. Der Autor, der sich erst kürz¬
auszubreiten, der erhoffte Kitzel blieb aus, und weder unmoralisch
lich in einem eigenartigen Roman („Feuer") als Grübler und
angestachelt noch moralisch entrüstet ging die Mehrzabl nach Haus:
Ideensucher dem breiteren Publikum vorstellte, geht auch in seiner
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