II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 996

11. Reigen
box 18/3
Reigen
Zehn Dialoge von Arthur Schnitzlee
Erste Aufführung im Schaufpfekhaus
* Nach Frau Eisoldt brachte nun auch Frau
Hermine Koerner Schnitzlers Reigen auf
die
Bühne. Willst du erfahren, was sich ziemt.
* *
Es ziemt sich nicht, diesen Reigen auf der Bühne
zu exekutieren. Nicht nur weil die Form,
son¬
dern auch weil der Stoff der zehn Dialoge ihr
widerstrebt. Sie sind erotische Noveletten mit
immer dem gleichen Höhepunkt, der in einer auf
der Bühne nicht sinnfällig zu machenden Hand¬
lung besteht. Diese Handlung erzwingt —
neun¬
mal an einem Abend! — Verounkelung, das
beißt: Wegwischung, Zerstörung und somit
Kompromittierung der Bühne. Der Bretter¬
boden, der sonst die Welt zu bedeuten bean¬
sprucht, schämt sich, einen irdischen Vorgang nich
zeigen zu können und entschwindet für ein paar
Sekunden, die vor Gott und den Gesetzen der
Bühne eine Ewigkeit bedeuten, ins Nichts. Ein
Stoff aber, der die Bühne zwingt, sich auszu¬
löschen, sich für inkompetent zu erraren ist buh¬
nenfeindlich. Seine Ausbreitung auf ihr ist ein
Mißbrauch der Bühne.
Ein Mißbrauch, an dem auch, weil Kunst und
(richtig erkannte) Sittlichkeit letzten Endes iden¬
risch sind, die künstlerische Form der Dialoge zu
grunde geht. Wer die zehn Paarungs=Feuille¬
tons Schnitzlers liest, ist wohl auch heute noch
angeregt von der guten Beobachtung, die einige
Menschen und ihr Milieu in immer der gleichen
diskreten Situation witzig entschleiert. Dieser
Reigen der zehn Pärchen, die der selbe Trieb zu¬
sammentreibt, nuanciert Psychologisches, Gesell¬
schaftliches, Soziales bis zu jener nahen Grenze.
an der die kleinen Verschiedenheiten sich noch als
große Uebereinstimmung legitimieren. Ob ein
Soldat, ein junger Herr aus gutem Hause. ein
Bürger, ein Dichter oder ein Graf ob eine Dirne
ein Stubenmädchen, eine junge Frau,
ein süßes
Mädel oder eine Schauspielerin

wie immer
mit wem immer in solcher Situation zusammen¬
gerät —.—.
die äußere Verschiedenheit der Worte
und Winke dokumentiert lediglich die Gleichheit
aller vor dem naturhaftesten, elementarsten
Trieb. Seine differenzierende Kraft beginnt erst
dort, wo sich Konsequenzen an ihn knupfen und
damit Schicksal. Schnitzler hat sich aber in diesen
zehn Puppenspielen darauf beschränkt, das dia¬
logische Vor= und Nachspiel einer für den drit¬
en reiz= und sinnlosen Funktion niederzuschrei¬
ben. Dies ist, zu lefen, amüsant, weil witzige
Menschenkenntnis im Spiel ist. Zu sehen aber,
was nicht verkörpert werden kann, immer wieder
ins Dunkel zu starren, immer wieder nach vor¬
aufgegangenen Zwinkern der Augen sie scham¬
voll zu schließen ist langweilig.
Und so geschah es im Schauspielhaus, daß das
Premierenpublikum zwar dankbar jedes Witz¬
chen und jede spielerische Munterkeit begrüßte,
aber ziemlich eingeschüchtert dasaß und auf das
Klatschen vergaß, bis einer das Wiedererscheinen
von Frau Nicoletti als süßes Mädel klatschend
begrüßte und damit das übrige Publikum an¬
teckte. Und zum Schluß des Abends gab es kaum
mehr Beifall als nach der Aufführung eines ab¬
gespielten Klassikers. Man verließ, als zehn¬
acher Zeuge des einen Vorgangs, müde das
Theater. Freilich kam dazu daß die Verkörpe¬
rung der einzelnen Typen durch die Darsteller
des Schauspielhauses nicht die ganze Farbigkeit
der Dialoge erkennen und genießen ließ.
Es
wurde „nett“ gespielt. Mit äußerer Politur, die
manchmal gut anzusehen war, aber meist den
Mangel an menschlicher Zeichnung der Gestal¬
en nicht zu verdecken vermochte. Die Damen
Borkmann und Bertram und Herr Wohlbrück
boten das Angenehmste. Herr Günther war, wie
auch Frl. Holm zwar auf drastische Art wirksam
beide verfielen aber der Gefahr zu parodieren.
Hermann Sinsheimer
90