II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1020

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11. Reigen
igen.
Zehn Dialoge von Artur-Schulbler.
Ersteufführung als Nachtvorstellung im Tellischen Schauspfel¬
haus.
J. G. — Ein Jahr nach der „Liehgleiy, im Winker
J#/97, hat der Arzt und P.ycholcgg im Dichter-Schnitzler,
Tagesbete auf M#men uicien
Brünn.
Abendblatt
gleichsam als Privatissimum für eine kleine Freundesschar die
Ergebnisse gleichzeitiger Sexualforschung — man denke an
aus Langweile, und weil man in seinen Kreisen ein Verhält¬
Albert Molls „Untersuchungen über die Libido sexualis“
nis mit einer anständigen Frau haben muß. Der Ehemann:
in einer Reihe locker gefügler Dialoge zu verdichten, zu ver¬
pedantischer Schwätzer, Dovpelmoralpharisäer. Der Dichter:
menschlichen unternommen. Mänrlein und W.iblein offenbaren
eine feine Selbstpersiflage Schnitzlers, innerer Erfahrung nach¬
ihre Wesenheit in den Augenblicken vor und nach dem stärk¬
gechaffen. der seibstgefällige Stimmungsillusionist. Der Graf,
sten Nervenreiz, den die Natur für ihre immanenten Zwecke
Dekadent der Sexualität, braucht alkoholiche Auregung; vor¬
allen Geschöpfen zu schenken sich bemüßigt sah. Ncht nur vor
mittag liegt ihm die Liebe nicht er muß sich daher „nehmen“
dem Argesicht des Todes, auch vor dem der Sexualität schwin¬
lassen, morgen im Spitzenbett der launischen Künstlerig und
abend im Rausch von der Strichdirne.
den alle Schranken, die sich zwischen den Menichen erhoben ha¬
— Nun die weibliche
ben. Pülcher und Blaublut, Dirne und bürgerlich eingehegte
Serie. Die Dirne. von plötzlicher Hingebungslust befallen,
Frau lanzen nach derselben Pfeise, die seit Millionen Jahren
aber doch wenigstens das Sperrsechserl verlangend am morgen?
die Geschlechter zu Paaren trebt.
das apathische Faniter. In ihren Armen schließen sich die
Der ironische Melancholiker, als den sich Schnitzler mit
Eckalieder des Reigens: der Gemeine und der adelige Ritt=
seinem Anatol“ in das Literaturgetriebe der 90er=Jahre ein¬
meister. Eine treffsichere Symbolironie! Das Stubenmädchen
geführt halte blickt auch aus den zehn Szenen des „Reigens“.
sonntags der Tanzerregung und der Montur, wochentags als
Wie äfft doch der hemmungslo'e Naturtr ch, der den Mann
Ersatz willig dim Jungherrengelüst erliegend. Die junge Frau
dor der Ersüllung seiner Wünsche das Unmöglichste wagen läßt,
mit den zwei Schleiern, der die bloß perivdischen programm¬
den endlich ans Ziel Gelangten! Eine gigantische Seifenblase,
gemäßen Liebesbezeugungen des Gatten nicht genügen, ein
in der Paradiese und Wonnen von unerhörter Färbigkeit ge¬
Luxuslierchen, moralich zerletzter als die übrigen Gefährtin¬
spiegelt erscheinen, zerfließt in wenigen Minuten wie die Wein¬
nen des Reigens. Das süße Mädel: lieb zum Anknabbern ver¬
traubenphantasmagorie in Auerbachs Keller. Und das sogar
lockend, grenzenlos verlogen, ein Luderchen, das sich noch aus¬
bei der großen Leidenschaft der „ewig n“ Li.be, die, soll sie
wachsen wird. Die Schausp'elerin: die große Nummer, rassi¬
Menschen auf die Dauer fesseln — was selten genug geschieht
nierte Kanaille mit Sirenenbehelfen explosible Nervenbatterie,
doch noch auf anderen Bedingungen beruhen muß, als auf
deutlich nach berühmlem Modell des damanigen Alien geschaffen.
denin der Geschlechtssphäre. Die wunderbare Macht der beglük¬
Nicht alle Szeren sind gleichwertig. Begreislich, daß zehn¬
kenden Liebe läßt Schnitzler im „Reigen“ absichtlich bereite.
malige Wiederholung einer ähnlichen Situation erma#tend auf
Die fünf Pärchen, zwischen denen der fluchtige Eros sein bunt¬
Schöpfer und Genießer wirkt. Starkgrissig sind die beiden Sol¬
gankelndes Band schlingt, suchen und finden Genüge in der
datenszenen des Ansanges. In spielender Leichtigkeit husch
schwindelnden Enlzückung des Augenbials. Versch eden geben
der Tialog — Junger Herr — Stubenmädchen vorüber. Ene¬
sich Mann und Weib in diesen allzumenichlichen Mirneen. In
ersten Preis verdient der Auftritt — Junger Herr — junge
mannigsachster Nüancierung zeigt der Dichter die Ernüchterung,
Frau. Hier ist jedes Wort ein Treffer, Wie köstlich ist die
die Distanzierung des energierntladenen Mannes, während
passive Resistenz des männlichen Nerveniystems, diese all ägl
im Weibe die Spannungsreize posenziert erscheinen. Die phy¬
verkommende Fatal tät, zur Cberakterbelichtung des Pärche
sinlegischen Innenvorgänge ietzt Schnitzler in fesselnde, seelen¬
verwendet! So wie sich hier der junge Herr in seiner No¬
erschließende Dialoge um. Vl'rartig belenhiet er Charaktere.
auf Stendhals „De l'amour“ berust, lo berufen sich sei“ 190.
Nur minntenlang sind sie erponiert, aber sie sind rundum be¬
alle Betro senen auf diese „Reigen"=Szene. Bester Schnißler
jelbar, haben einprägsame Züge.
sind die beiden Dichterauftritte sowie die Morgenszene der
Der Soldat: brutaler Kostgänger, ohne zeilverzeilelnde
STau pielerin. Techn'sch unbeholfen und auch schal ist der
Geühlslöne. Der junge Herr: reicher Müß ggänger, gliebt“] Schluß, der daher mit Recht absällt.