II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1027

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Momente sind weniger literarischer als rassenpoliti¬
scher Art. Jeder Freund echter, wahrer Kunst wird
tets zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild
bereit sein. Es darf aber nicht dahin führen, daß Prü¬
derie und falsch verstandene Moral die Triebfeder sind,
um mit Hilfe dieses Deckmantels rassenpolitische Gegen¬
sätze austoben zu lassen. Der Naturalismus jener
Zeit meidet den Schein, er verhannt die Gloriole, er
sieht die Dinge, wie sie sind, und zeigt die Menschen, wie
sie tatsächlich leben, fühlen und denken. In diesen
nichts vertuschenden und verheimlichenden Naturalis¬
mus hat der erfolgreichste Wiener Dramatiker der
Gegenwart, der Arzt Arthur Schnitzler, „die weiche Be¬
haglichkeit des alten Wiens und die Frivolität der
hinein¬
modernen Großstadt, beide innig vereint“
gewoben. Im „Reigen“, einer Reihe Dialoge von zehn
Vilrern, hat Schnitzler, der als Arzt ein genauer und
scharf beobachtender Menschenkenner ist, das Sexual¬
prohlem in einer Wirklichkeitsform Lehandelt und ge¬
childert, die an sich höchst gewagt erscheint, aber doch
jes Bereich echter Kunst hinaufgehoben ist. Der „Rei¬
gen“ muß, wenn er als Kunstwerk nicht herabgewürdig
werden soll, rein als Literatur gewerter
werden. Schnitzler hat in diesen psychologisch auf das
Feinste gezeichneten Bildern eine Steigerung vollzogen
deren schmalste Grenzlinie, in der Wiedergabe auf
der Bühne überschritten, zum Gemeinen führen muß.
Der „Reigen“ ist eigentlich nur für ernste und denkende
Menschen geschaffen. Wehe, wenn bei seiner Wieder¬

gabe die Sensation den Ausschlag gibt, dann ist eben
der Schritt zum Gemeinen vollzogen. Schnitzler hält
mit seinem „Reigen, der sonst so moralisch tuenden
Wiener Welt um die Jahnhundertwende, die Empfind¬
samkeit und Leichtlebigkeit nur zu sehr miteinander
vermischen, einen scharfen Spiegel vor. Die gemüt¬
iche Leichtfertigkeit und die „Liebe“ haben im Leben
der Wiener und Wienerinnen, denen stets ein starker
Schuß gesteigerter Sinnenfreude innewohnt, immer eine
hervortretende Rolle gespielt. Und dieses Wiener
Liebesleben, gleichziel ob illegetim oder legitim, hat
Schnitzler mit einer geradezu hervorragenden Meister¬
schaft der Psychologie im „Reigen“ gezeichnet. Die ver¬
schiedenartigsten Liebesgeschichtchen, in derberen und
feineren Formen, aber alle in der gesteigeristen Sinn¬
lichkeit gipfelnd, bringt Schnitzler unter Wahrung der
Dezenz in seinem „Reigen“ zur Schilderung.
Die „Reigen“=Aufführung in Gera, die schon seit
einigen Tagen ein lebhaftes Für und Wider ausgelöst
hatte, wurde infolge einer Abwehraktion, die ihre Wel¬
ken bis in die letzte Sitzung des Gemeinderats hinein¬
schlug, und dadurch den Charakter einer unfreiwillig
wirkenden Reklame erhielt, letzten Endes zur Sensa¬
tion gestempelt. Es war daher kein Wunder, daß das
Residenztheater am Freitag abend ein ausverkauftes
Haus sah. Die erwarteten und allem Anschein nach
vorbereiteten Störungen blieben im großen und ganzen
aus, da den „Saboteuren“ die rücksichtslose Anwendung
des Hausfriedensbruch=Paragrapher des Strafgesetz¬
buches angedroht worden war. Einige Anläufe von
Störungen wurden von der Mehrheit der Anwesenden
sofort unterdrückt, so daß die Aufführung ohne beson¬
dere Zwischenfälle vor sich gehen konnte.
Wie schon eingangs hervorgehoben, ist der „Reigen“
lediglich literarisch zu werten. Die Bühnenwirkung
hängt, wenn sie nicht auf die Stufe des Gemeinen her¬
absinken soll, einzig und allein von der Kunst der Dar¬
stellung ab. Die sprachlich feingeschliffenen Dialoge
Schnitzlers erfordern darum den höchsten Grad schau¬
spielerischer Kunst. Insgesamt betrachtet, blieb die Erst¬
aufführung des „Reigen“ in Gera diese Forderung viel¬
fach schuldig. Einzelleistungen waren wohl als buhnen¬
künstlerisch wertvoll anzusehen, aber der Gesamteindruck
ist doch dazu angetan, um festzustellen, daß der „Rei¬
gen“ für die Wiedergabe auf der Bühne uns allgemein
nicht als geeignet erscheint. Seine Aufführung ist
höchstens zu rechtfertigen, wenn sie vor einem ausge¬
sprochen literarisch interessierten und gebildeten Publi¬
kum erfolgt. Ob diese Bürgschaft bei der gestrigen Erst¬
aufführung gegeben war, wollen wir nicht ohne weiteres
unterschreiben. Gegenüber dem Urtext waren einig¬
unwesentliche Streichungen vorgenommen, die teil¬
Die szeni¬
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Sinnwidrigkeiten führten.
weise zu
chen Anordnungen des Dichters müßten u. E. auf das
So fordert Schnitzler im
Schärfste brachtet werden.
vierten Bild ein nebenanliegendes Zimmer. Die gestern
geschaffene szenische Anordnung widersprach den Ab¬
sichten des Verfassers, dadurch wurde die schmale Grenz¬
linie, die eben zum Gemeinen führen muß, doch wohl
überschritten. Bei Wiederholungen müßten diese ge¬
rügten Mängel vor illen Dingen beseitigt werden. Ab¬
schwächend wirkten übrigens noch die reichlich langen
Pausen, wodurch das Ende der Aufführung erst um
Mitternacht erreicht wurde. Die Geduld der Zuschauer
unterlag infolgedessen einer harten Prohe, die zur
Br.
Langeweile führte.