11.
—IBen
box 18/3
Klose d Geldel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Ort:
Datum:
Den vielbefehdeten und un¬
Residenztheater.
freiwillige Sensation erweckenden „Reigen von Schnitz¬
er löste gestern abend im Rahmen der Gastspiele der
das
Kammerspiel= Bühne
Berliner
M
„Flamme“ von Hans Müller ab. Der Wiener Dichter,
der mit seinem Schauspiel „Könige“ hervorragende
dichterische Begabung und dramatische Gestaltungskraft
zeigte, hat mit seinem Schauspiel „Flamme“ eines der
tiefsten sozialen Probleme aller Zeiten behandelt: die
Prostitution. Er hat den Stoff zu „Flamme“ aus „der
Welt, von der man nicht spricht“ geholt. Der Grund¬
gedanke des Schauspiels ist, um es inhaltlich kurz
anzudeuten, die Darstellung des Versuches, eine Prosti¬
tuierte, die mehr durch die Schuld der sie umgebenden
Verhältnisse und unglücklichen sozialen Lage in die
Arme der Prostitution getrieben worden ist, aus dem
Sumpf in die reinere Atmosphäre des Ehe= und
Familienlebens heraufzuheben. Ein Idealist, man
kann ihn auch als reinen Toren bezeichnen, vollführt
den an sich psychologisch interessanten Versuch, entgegen
den Warnungen des mehr die Wirklichkeit kennenden
Freundes. Die Sehnsucht nach wahrer Liebe und einem
sittlich reineren Leben drängt das Mädel, das Mutter¬
leebe kaum gekannt hat, die Werbung des sittlich über
den Dingen der Welt stehenden Musikers und Kompo¬
nisten Ferdinand anzunehmen und in die monogame
Ehe zu folgen. Trotz des guten Willens, den das
Mädchen der Gassen“, wie sie sich selbst nennt, mit¬
bringt, ist der Kern innerer Sittlichkeit zu sehr an¬
gefault. Die Flamme — der innere Trieb zu schranken¬
losem, sexuellem Sichausleben, ist stärker in ihr, die
Rolle der „allgemeinen Freudenspenderin“ liegt ihr
näher — schlägt zuletzt doch über ihr zusammen und
zwingt sie, mehr unbewußt als gewollt, in die alten
Bahnen wieder zurückzukehren. Das führt im dritten
Akt zum Höhepunkt, zum Konflikt, dessen Lösung der
Dichter in dem tragischen Ausgange findet, daß die
junge Frau, die sich obendrein noch Mutter fühlt, sich
aus dem dritten Stock zu Tode stürzt. Das Schau¬
spiel ist in seinem äußeren Aufbau der Handlung wohl
folgerichtig durchgeführt — der Versuch, in diesem
Sinne diese tiefgehende soziale Frage zu lösen, erweist
sich als am untanglichen Objekt unternommen — ent¬
behrt aber, und das ist die Schwäche der Beweis¬
führung des Dichters, der inneren Ueberzeugungskraft.
ein
Der Idealist und reine Tor Ferdinand ist
Phantasiegebilde des Dichters, dem er außerdem einen
zu starken Schuß feminim wirkender Sentimentalität
— eingehaucht
was eher abstößt, als für ihn einnimmt
hat. Mit der Art der Zeichnung dieser Gestalt bricht
der innere dramatische Gehalt des Schauspiels eigent¬
diesem ein
lich zusammen. Unzweifelhaft liegt in
tiefer sozialer Gedanke begründet, der denkende und
sozial mitfühlende Menschen zum Nachdenken über die¬
ses Problem, das u. E. durch Schauspiele und Bühnen¬
wirkung der Lösung nicht nähergebracht wird, anreizen
muß. Das durchaus ernste Streben des Dichters ist
die
ohne weiteres anzuerkennen, aber es muß, obwohl
Handlung bis zu einem gewissen Grade dramatisch ge¬
taltet ist, doch gesagt werden, daß Hans Müller mit
einem Schauspiel „Flamme“ einen Weg in die Irre
eingeschlagen hat. Seine ausgesprochen dramatische
Begabung weist ihn andere Wege, die eigentlich über
„Konige hinausführen mußte. Mit „Flamme“ ist
Hans Müller mehr einem Zuge der Zeit, Aufklärung
zu verbreiten, gefolgt. — Die Aufführung durch die
Berliner Kammerspiele verdient, was Geschlossenheit
des Gesamtspieles anbelangt, im Gegensatz zu der
mangelhaften „Reigen“=Aufführung volle Anerken¬
nung. Elfriede Götze zeigte in ihrer Rolle, in der
sig sozusagen die Trägerin der Handlung ist, ein star¬
fés schauspielerisches Können. Die Betonung der
Leidenschaft, die zum Schluß explosivartig wirkte, war
äußerst lebendig und natürlich gegeben. Die Heraus¬
arbeitung der Gegensätze, die dem Geschöpf Anna von
Haus aus innewohnen, war eine hervorragende bühnen¬
künstlerische Leistung. Dem Idealisten Ferdinand ver¬
ieh Erwin Biegel äußerst sympathische Züge. Mit
ihren Rollen fanden sich im übrigen Trude Mühl¬
mann, Lotte Bürgi und Erwin Bowe im Sinne
der Absichten des Dichters recht gut ab. Die Inszenie¬
rung war den vorhandenen Bühnenverhältnissen zweck¬
Br.
entsprechend angepaßt.
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box 18/3
Klose d Geldel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung:
Ort:
Datum:
Den vielbefehdeten und un¬
Residenztheater.
freiwillige Sensation erweckenden „Reigen von Schnitz¬
er löste gestern abend im Rahmen der Gastspiele der
das
Kammerspiel= Bühne
Berliner
M
„Flamme“ von Hans Müller ab. Der Wiener Dichter,
der mit seinem Schauspiel „Könige“ hervorragende
dichterische Begabung und dramatische Gestaltungskraft
zeigte, hat mit seinem Schauspiel „Flamme“ eines der
tiefsten sozialen Probleme aller Zeiten behandelt: die
Prostitution. Er hat den Stoff zu „Flamme“ aus „der
Welt, von der man nicht spricht“ geholt. Der Grund¬
gedanke des Schauspiels ist, um es inhaltlich kurz
anzudeuten, die Darstellung des Versuches, eine Prosti¬
tuierte, die mehr durch die Schuld der sie umgebenden
Verhältnisse und unglücklichen sozialen Lage in die
Arme der Prostitution getrieben worden ist, aus dem
Sumpf in die reinere Atmosphäre des Ehe= und
Familienlebens heraufzuheben. Ein Idealist, man
kann ihn auch als reinen Toren bezeichnen, vollführt
den an sich psychologisch interessanten Versuch, entgegen
den Warnungen des mehr die Wirklichkeit kennenden
Freundes. Die Sehnsucht nach wahrer Liebe und einem
sittlich reineren Leben drängt das Mädel, das Mutter¬
leebe kaum gekannt hat, die Werbung des sittlich über
den Dingen der Welt stehenden Musikers und Kompo¬
nisten Ferdinand anzunehmen und in die monogame
Ehe zu folgen. Trotz des guten Willens, den das
Mädchen der Gassen“, wie sie sich selbst nennt, mit¬
bringt, ist der Kern innerer Sittlichkeit zu sehr an¬
gefault. Die Flamme — der innere Trieb zu schranken¬
losem, sexuellem Sichausleben, ist stärker in ihr, die
Rolle der „allgemeinen Freudenspenderin“ liegt ihr
näher — schlägt zuletzt doch über ihr zusammen und
zwingt sie, mehr unbewußt als gewollt, in die alten
Bahnen wieder zurückzukehren. Das führt im dritten
Akt zum Höhepunkt, zum Konflikt, dessen Lösung der
Dichter in dem tragischen Ausgange findet, daß die
junge Frau, die sich obendrein noch Mutter fühlt, sich
aus dem dritten Stock zu Tode stürzt. Das Schau¬
spiel ist in seinem äußeren Aufbau der Handlung wohl
folgerichtig durchgeführt — der Versuch, in diesem
Sinne diese tiefgehende soziale Frage zu lösen, erweist
sich als am untanglichen Objekt unternommen — ent¬
behrt aber, und das ist die Schwäche der Beweis¬
führung des Dichters, der inneren Ueberzeugungskraft.
ein
Der Idealist und reine Tor Ferdinand ist
Phantasiegebilde des Dichters, dem er außerdem einen
zu starken Schuß feminim wirkender Sentimentalität
— eingehaucht
was eher abstößt, als für ihn einnimmt
hat. Mit der Art der Zeichnung dieser Gestalt bricht
der innere dramatische Gehalt des Schauspiels eigent¬
diesem ein
lich zusammen. Unzweifelhaft liegt in
tiefer sozialer Gedanke begründet, der denkende und
sozial mitfühlende Menschen zum Nachdenken über die¬
ses Problem, das u. E. durch Schauspiele und Bühnen¬
wirkung der Lösung nicht nähergebracht wird, anreizen
muß. Das durchaus ernste Streben des Dichters ist
die
ohne weiteres anzuerkennen, aber es muß, obwohl
Handlung bis zu einem gewissen Grade dramatisch ge¬
taltet ist, doch gesagt werden, daß Hans Müller mit
einem Schauspiel „Flamme“ einen Weg in die Irre
eingeschlagen hat. Seine ausgesprochen dramatische
Begabung weist ihn andere Wege, die eigentlich über
„Konige hinausführen mußte. Mit „Flamme“ ist
Hans Müller mehr einem Zuge der Zeit, Aufklärung
zu verbreiten, gefolgt. — Die Aufführung durch die
Berliner Kammerspiele verdient, was Geschlossenheit
des Gesamtspieles anbelangt, im Gegensatz zu der
mangelhaften „Reigen“=Aufführung volle Anerken¬
nung. Elfriede Götze zeigte in ihrer Rolle, in der
sig sozusagen die Trägerin der Handlung ist, ein star¬
fés schauspielerisches Können. Die Betonung der
Leidenschaft, die zum Schluß explosivartig wirkte, war
äußerst lebendig und natürlich gegeben. Die Heraus¬
arbeitung der Gegensätze, die dem Geschöpf Anna von
Haus aus innewohnen, war eine hervorragende bühnen¬
künstlerische Leistung. Dem Idealisten Ferdinand ver¬
ieh Erwin Biegel äußerst sympathische Züge. Mit
ihren Rollen fanden sich im übrigen Trude Mühl¬
mann, Lotte Bürgi und Erwin Bowe im Sinne
der Absichten des Dichters recht gut ab. Die Inszenie¬
rung war den vorhandenen Bühnenverhältnissen zweck¬
Br.
entsprechend angepaßt.