box 18/3
11. Reigen
. 10, Georgenkuchplatz 21
achrich
Zeitung:
Ort:
U#
— B. M.—
Datum;
15
Neues Theater.
□
Zum erstenmal: Reigen“.
„Jehn Dialoge von Arthur Schuitler.
Nun ist der viel angefeindete und umstrittene „Reigen“
glückluh auch in Grankfurt über die Bretter gegungen, ohne
übrigens, wie rorwen bemerkt sei, die mancherseits erwarteten
Skandalszenen auszilosen. Ueber das Stück selbst können wir
es uns füglich ersparnn, noch etwas zu jagen, da vorausgesetzt
werden darf, daß jeder Zeitungsleser nach dem gewaltigen
Staub, den diese Szenen in Berlin, Wien, München und anders¬
wo aufgewirbelt haben, mit ihrem Inhalt vertraut sei. Auch
über die Qualität der zehn Einakterchen sind sich die Gelehrten
ziemlich im klaren. Darüber, daß sie einen gewissen künstleri¬
schen und psychologischen Wert haben, herrscht eigentlich kein
Streit; sie gehören im übrigen der sogenannten galanten Lite¬
ratur an, teilen deren Vorzuge und Nachteile und gehören des¬
wegen nicht vor ein größeres Publikum. Es liegt also zum
mindesten eine große Geschmacklosigkeit darin, daß man sie auf¬
führt, eine Rersündigung an allen guten Geistern der Kunst,
und wir verstehen, offen gesagt, in erster Linie Schnitzler selbst
nicht, der die Erlaubnis zur Aufführung erteilte und evensowenig
die Theaterleiter, die glaubten, diesen Dialogen den Weg zur
Oeffentlichkeit ebnen zu müssen. Es ist garnicht so verwunderlich
daß aus solchem Nichtverstehen heraus von manchen Seiten
äußerst schwere Vorwürse gegen die Direktion des Neuen Thea¬
ters erhoben wurden, die diese sich durch einen Verzicht auf die
Annahme oder die Aufführung des Stückes hätte ersparen kön¬
nen. Der Hinweis auf den Charakter der Veranstaltung als den
geschlossener oder subskribierter Vorstellungen geht unseres Er¬
achtens an dem entscheidenden Punkte vorbei, daß Darbietungen
dieser Art eben in keinem Falle und in keiner Form das Licht der
Oeffentlichkeit verträgen, denn wenn die Beschränkung auf eine
bestimmte Personenzahl allein das Recht gäbe, alle sonst ge¬
zogenen Schranken fallen zu lassen, dann — ja dann könnte man
schließlich die letzte Konsequenz ziehen und auch da noch weiter¬
spielen lassen, wo gestern sich gnädiges Dunkel über die Szene
breitete. Was ist letzten Endes damit getan, daß man diejenigen,
die Karten lösen, durch eigenhändige Unterschrift erklären läßt,
sie nähmen an Inhalt und Form der Dichtung keinen Anstoß.
Sie mögen mit beidem tatsächlich einverstanden sein und
können
doch
bei Vorführung des Gauzen auf
dem
Theater sich entsetzen und entrüsten. Wenn sie dieser Entrüstung
aber Ausdruck geben, droht man ihnen mit Verfolgung
wegen Hausfriedensbruchs. Und darüber hinaus gibt man
bekannt, daß die Polizei bereit stehe, um die Uebettäter an die
Luft zu befördern. Da stimmt etwas nicht. Gewiß konnte und
kann man nach den Vorgängen in anderen Städten auch hier mit
nicht mißzuverstehenden Kundgebungen rechnen, vor denen keine
Reverse imstande sind, einen Theaterunternehmer zu schützen,
aber gerade deshalb sollten Bühnen von künstlerischen Range,
zu denen die Theater des Herrn Hellmer nach ihren sonstigen
Leistungen doch ohne weiteres zu zählen sind, es vermeiden, in
dieser Beziehung berechtigten Anlaß zur Entrüstung zu geben.
In diesem Falle handelt es sich wahrlich um keine falsche Prü¬
derie, sondern um ein sehr richtiges und untrügliches Gefühl
für das, wes zulässig ist und was nicht.
Was nun die Aufführung selbst anlangt, ko wollen wir ihr
eine gewisse Dezenz nicht abstreiten, soweit eine solche bei derartig
indezenten Dingen über aupt möglich erscheint. Die kurze Dauer
der Verdunkelung der Bühne bei den Stellen, die im Buche durch
Gedankenstriche markiert sind, wirkte stellenweise fast komisch. Im
übrigen wurde der stark ironische Unterton des Ganzen von dem
Spielleiter Robin Robert kräftig unterstrichen und badurch
manches erträglich gemacht, da man so die Absicht des Autors,
nicht etwa im Schmutze herumzuwühlen, sondern zu verstklieren,
deutlicher herausfühlte. Darüber hinaus konnte bei dem ständi¬
gen Kreisen um denselben Punkt, zu dem alle „Handlung“ dieser
Szenen hinführt, nicht ausbleiben, was einsichtige Beurteiler
vorausgesagt hatten: das Ganze wirkte sehr hald eintönig, ja
langweilig und zwar in noch bedeutend höherem Maße als
es
abstoßend oder ekelhaft erschien. Auch die kunstfertige Gewandt¬
heit eines Schnitzler vermochte zehnmaligen Variationen über
ein letzten Endes so inhaltsarmes Thema nicht Gehalt oder selbst
nur prickelnden Reiz zu verleihen.
Die Kräfte des Neuen Theaters zeigten sich nur sehr teil¬
weise auf einer gewissen künstlerischen Höhe. Bei weitem das
Beste boten Kitty Aschenbach und Georg Lengbach, die
beiden Gastspieler. Nach ihnen konnten das „füße Mädel“ Marion
Heidens und „der junge Herr“ Stefan Dahlens noch am
ehesten befriedigen, alles übrige war ziemlich minder; auf jeden
Fall sollte die Spielleitung, wenn schon der „Reigen“ gegeben
werden muß für eine etwas angemessenere Besetzung der Rolle
des „Gatten“ Sorge tragen. Auch können wir sie zu dem Rahmen,
in den sie die Bilder dieses Reigens faßte, nicht beglückwünschen.
Alles in allem hat also derjenige, der die Aufführungen dieses
Stückes nicht besucht, in Wirklichkeit keinen Verlust zu beklagen.
11. Reigen
. 10, Georgenkuchplatz 21
achrich
Zeitung:
Ort:
U#
— B. M.—
Datum;
15
Neues Theater.
□
Zum erstenmal: Reigen“.
„Jehn Dialoge von Arthur Schuitler.
Nun ist der viel angefeindete und umstrittene „Reigen“
glückluh auch in Grankfurt über die Bretter gegungen, ohne
übrigens, wie rorwen bemerkt sei, die mancherseits erwarteten
Skandalszenen auszilosen. Ueber das Stück selbst können wir
es uns füglich ersparnn, noch etwas zu jagen, da vorausgesetzt
werden darf, daß jeder Zeitungsleser nach dem gewaltigen
Staub, den diese Szenen in Berlin, Wien, München und anders¬
wo aufgewirbelt haben, mit ihrem Inhalt vertraut sei. Auch
über die Qualität der zehn Einakterchen sind sich die Gelehrten
ziemlich im klaren. Darüber, daß sie einen gewissen künstleri¬
schen und psychologischen Wert haben, herrscht eigentlich kein
Streit; sie gehören im übrigen der sogenannten galanten Lite¬
ratur an, teilen deren Vorzuge und Nachteile und gehören des¬
wegen nicht vor ein größeres Publikum. Es liegt also zum
mindesten eine große Geschmacklosigkeit darin, daß man sie auf¬
führt, eine Rersündigung an allen guten Geistern der Kunst,
und wir verstehen, offen gesagt, in erster Linie Schnitzler selbst
nicht, der die Erlaubnis zur Aufführung erteilte und evensowenig
die Theaterleiter, die glaubten, diesen Dialogen den Weg zur
Oeffentlichkeit ebnen zu müssen. Es ist garnicht so verwunderlich
daß aus solchem Nichtverstehen heraus von manchen Seiten
äußerst schwere Vorwürse gegen die Direktion des Neuen Thea¬
ters erhoben wurden, die diese sich durch einen Verzicht auf die
Annahme oder die Aufführung des Stückes hätte ersparen kön¬
nen. Der Hinweis auf den Charakter der Veranstaltung als den
geschlossener oder subskribierter Vorstellungen geht unseres Er¬
achtens an dem entscheidenden Punkte vorbei, daß Darbietungen
dieser Art eben in keinem Falle und in keiner Form das Licht der
Oeffentlichkeit verträgen, denn wenn die Beschränkung auf eine
bestimmte Personenzahl allein das Recht gäbe, alle sonst ge¬
zogenen Schranken fallen zu lassen, dann — ja dann könnte man
schließlich die letzte Konsequenz ziehen und auch da noch weiter¬
spielen lassen, wo gestern sich gnädiges Dunkel über die Szene
breitete. Was ist letzten Endes damit getan, daß man diejenigen,
die Karten lösen, durch eigenhändige Unterschrift erklären läßt,
sie nähmen an Inhalt und Form der Dichtung keinen Anstoß.
Sie mögen mit beidem tatsächlich einverstanden sein und
können
doch
bei Vorführung des Gauzen auf
dem
Theater sich entsetzen und entrüsten. Wenn sie dieser Entrüstung
aber Ausdruck geben, droht man ihnen mit Verfolgung
wegen Hausfriedensbruchs. Und darüber hinaus gibt man
bekannt, daß die Polizei bereit stehe, um die Uebettäter an die
Luft zu befördern. Da stimmt etwas nicht. Gewiß konnte und
kann man nach den Vorgängen in anderen Städten auch hier mit
nicht mißzuverstehenden Kundgebungen rechnen, vor denen keine
Reverse imstande sind, einen Theaterunternehmer zu schützen,
aber gerade deshalb sollten Bühnen von künstlerischen Range,
zu denen die Theater des Herrn Hellmer nach ihren sonstigen
Leistungen doch ohne weiteres zu zählen sind, es vermeiden, in
dieser Beziehung berechtigten Anlaß zur Entrüstung zu geben.
In diesem Falle handelt es sich wahrlich um keine falsche Prü¬
derie, sondern um ein sehr richtiges und untrügliches Gefühl
für das, wes zulässig ist und was nicht.
Was nun die Aufführung selbst anlangt, ko wollen wir ihr
eine gewisse Dezenz nicht abstreiten, soweit eine solche bei derartig
indezenten Dingen über aupt möglich erscheint. Die kurze Dauer
der Verdunkelung der Bühne bei den Stellen, die im Buche durch
Gedankenstriche markiert sind, wirkte stellenweise fast komisch. Im
übrigen wurde der stark ironische Unterton des Ganzen von dem
Spielleiter Robin Robert kräftig unterstrichen und badurch
manches erträglich gemacht, da man so die Absicht des Autors,
nicht etwa im Schmutze herumzuwühlen, sondern zu verstklieren,
deutlicher herausfühlte. Darüber hinaus konnte bei dem ständi¬
gen Kreisen um denselben Punkt, zu dem alle „Handlung“ dieser
Szenen hinführt, nicht ausbleiben, was einsichtige Beurteiler
vorausgesagt hatten: das Ganze wirkte sehr hald eintönig, ja
langweilig und zwar in noch bedeutend höherem Maße als
es
abstoßend oder ekelhaft erschien. Auch die kunstfertige Gewandt¬
heit eines Schnitzler vermochte zehnmaligen Variationen über
ein letzten Endes so inhaltsarmes Thema nicht Gehalt oder selbst
nur prickelnden Reiz zu verleihen.
Die Kräfte des Neuen Theaters zeigten sich nur sehr teil¬
weise auf einer gewissen künstlerischen Höhe. Bei weitem das
Beste boten Kitty Aschenbach und Georg Lengbach, die
beiden Gastspieler. Nach ihnen konnten das „füße Mädel“ Marion
Heidens und „der junge Herr“ Stefan Dahlens noch am
ehesten befriedigen, alles übrige war ziemlich minder; auf jeden
Fall sollte die Spielleitung, wenn schon der „Reigen“ gegeben
werden muß für eine etwas angemessenere Besetzung der Rolle
des „Gatten“ Sorge tragen. Auch können wir sie zu dem Rahmen,
in den sie die Bilder dieses Reigens faßte, nicht beglückwünschen.
Alles in allem hat also derjenige, der die Aufführungen dieses
Stückes nicht besucht, in Wirklichkeit keinen Verlust zu beklagen.