II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1031

11. Reigen
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Neues Theater.
Zum ersn Mal: Reigen. Zehn Dialoge von Arthur Schnitzler.
Spielleitung Robin Robert.

Eszwäre natürlich nichts leichter, als die große vielbeliebte
Morsprompete aus der Gerätekiste für die öffentliche Ordnung her¬
vorzüholen und in kräftigen Tönen ein sanft verlogenes Lied zu
blasen. Doch lieber nicht. Denn immer wenn nur um der Moral
willen zum Sturm gerufen wird, läßt sich auf eine enge Moralaus¬
fassung der meist sehr umfangreichen Gefolgschaft schließen. Wie
verhält sich das Moralproblem nun bei diesem Schnitzler, der nach
mehr denn einem Jahrzehnt auf den Bühnen erscheint. Die Auf¬
führung ist keine Moralangelegenheit, sie ist eine Geschmacksfrage
und damit eine Frage der künstlerischen Verantwortung. Hätte unser
verrücktes Zeitalter beides (es kann beides nicht haben, weil Ge¬
schmack und Verantwortung Blüten, nicht Wurzeln einer Kultur
sind), so wäre es niemals zur Aufführung dieser Szenen gekommen.
Der Dichter mag schreiben was er will, wenn er nur von sich aus
die Grenzen des Geschmacks und der Verantwortung nicht über¬
schreitet. Und das hat Schnitzler nicht getan, denn er schrieb seine
Dialoge nicht für die Bühne, hat sich auch wohl niemals träumen
lassen, daß einstmal ein so lärmvoller Kampf um sie entstehen
würde. Der sogenannten „neuen Zeit“ war es vorbehalten, aus
feiner Spekulationswitterung diese Dinge auf die Bühne zu
bringen und endlose Scharen Neugieriger heranzulocken, deren
Hauptaufgabe es natürlich ist, die etwas defekten Kassen
der
Theater mit hohem Eintrittsgeld zu füllen. Ob dabei das Werk
elber eine schmerzhafte Vergröberung, eine peinliche, im letzten
Dialog widerliche Deutlichkeit und eine Zerstörung seines inneren
Rhythmus fuhr, das kam als hindernd garnicht in Betracht und
darin liegt der schwerste Vorwurf für die Aufführung. Die flüch¬
tigei, zart vorbeihuschenden Bilder des Buches werden Theater¬
Materie und damit unerfreulich. Mag sich diese oder jene Situa¬
tion sehr amüsant, menschlich und sehr lebendig auf den Breitern
ausnehmen, das ständige ante und post, um das sich neun Dialoge
drehen mit dem automatischen Dunkel= und Hellwerden, die natür¬
lich gebotene Zurückhaltung der Spielenden und die dadurch ent¬
stehenden Hemmungen in der Kurve des Geschehens zeigen die
Bruchstellen deutlich an. Und dann; von diesen zehn Dialoge sind
doch eigentlich nur sechs diskutabel. Die ersten vier und der letzte
sind theatralisch so wenig belangreich, daß der Actus, um den sie
sich drehen, kraß und ekelhaft in den Vordergrund rückt. Und wo¬
her kommt dieser Ekel? Aus dem Gefühl, hier inmitten Hunderten
zu sitzen, mit ihnen zusammen einen plumpen Einbruch in das
Mysterium der Liebe zu erleben. Man hätte kein Recht zur starker
Abwehr, wenn es sich um ein Experiment einer rein literarischen
Bühne für ein rein literarisches Publikum handelte, aber hier wird
in vollster Oeffentlichkeit vor weit zurückgerissenen Vorhängen ge¬
spiel. und ganz Frankfurt ist geladen. Und wie dieses Frankfurt
die Dinge auf der Bühne verstand, bewies verständnisinniges Ge¬
lächter an der unrechten Stelle. Man nahm die Dinge nicht als
Delikatesse, sondern fraß sie mit Schmatzen. Ich danke für solche
Gastmähler.
Waß in den zehn Dialogen verhandelt wird, dürfte bekannt sein.
In jeder Szene geht es um einen Liebesakt, dessen Ausführung
durch Dunkolwerden der Bühne und dessen Beendigung durch Hell¬
werden angekündigt wird. Mann und Frau, Dirne und Soldat,
Graf und Schauspielerin, Ehebrecherin und junger Mann, das
üße Mädel und Dichter, sie alle werden mit sicheren Strichen ge¬
schildert und ihr äußeres Liebeserlebnis wird zum Prüfsteln für
ihr inneres Verhältnis zum Weibe, Aber in keinem Falle handelt
es sich um ein ernsthaftes Liebesproblem, alle zehn Dialoge er¬
zählen von kleinen nichtigen Liebesspielereien.
Schnitzker wollte
Amüsantes, Kleinmenschliches einfangen. Das gelang
ihm
und selbst in der Vergröberung auf dem Theater blitzt in
mancher Szene ein Stück bunten Lebens auf, das ob seiner ani¬
malischen Pracht frappiert. (Dsa süße Mädel.) Die Männerwelt
dieser zehn Bilder ist so unbedeutend wie die Weibswelt.
Nun die Aufführung. Die Direktion hatte Vorsichtsma߬
regeln getroffen. Das Publikum mußte sich schriftlich verpflich¬
ten, artig zu sein. Wer nicht artig gewesen wäre, den hätte ein
Polizist an die Luft gesetzt. Aber das gute liebe Westendpubli¬
kum verhielt sich sehr ruhig. Hin und wieder wieherte es feeund¬
lich. So kam das Theater, dank der klugen Fürsorge des
Theatekleiters, um einen Skandal herum. In der Hauptsache
aber, wohl bank der guten ausgeglichenen Aufführung, die jeden
falschen Ton vermied und den Dialogen nach Möglichkeit mensch¬
liche Selbstverständlichkeit, Heiterkeit und Anmut gab. Von den
Frauengestalten interessierten besonders Marion Heiden als
das süße Mädel, Kitty Aschenbachals junge Frau, die humor¬
N.
volle Anni Reiter als Schauspielerin, Antonie Siener als
Stubenmädchen und Lilli Baderle als Dirne. Die Männer
spielten José Almas, Stefan Dahlen, Karl Weinig,
Karl Marowsky und Georg Lengbach. Weinig und Leng¬
bach sielen in umfangreicheren Rollen am stärksten auf, aber auch
Karl Marowsky scheint Möglichkeiten einer guten Entwicklung
zu haben. Die Bühnenbilder von Reinhold Schön hatten
Stimmung Da sowohl Mißfallenskundgebungen wie Beifall
untersagt waren, entfernte sich das Publikum folgsam und sah
triumphierend auf die Grünen, Blauen und zahlreichen Krimina¬
isten, die, da es so brav gewesen, umsonst gekommen waren
Die armen Polizisten! Wenn sie nun selber, die sie ja das Stück
orher nicht gekannt haben, Lust bekommen hätten, zu demon¬
trieren?
Max Geisenheyner.