II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1032

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Berliner Lokal-Anzeiger
Berlin
Ort:
Datum: K
u
* Im Neuen Theater zu Frankfurt a. M.
fand,, wie unser dortiger bü.=Mitarbeiter berich¬
tl,„Schnitzlers [Reigen“ bei ausgezeich¬
Darstellung, unter der Kitty Aschenbach
un. Georg Lengbach hervorragten, und bei sehr
dezenter Spielleitung von Robin Roberts eine
merkwürdige Aufnahme. Nach einem einzigen
Bild gab es schüchternen Beifell. Am Schluß
verließ jedoch ein Teil des Publikums das
Theater im tiefsten Schweigen, um verletzte Mo¬
ral zum Ausdruck zu bringen. Zu den befürch¬
teten störenden Zwischenfällen kam es nicht.
Die im ##schauerraum hier und da postierteg.
Gebeinspolizisten brauchten nicht einzuschreiten.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Frankfurter Zeitung
Frankfürt a. M.
Ort:
Datum: #
a
Schuitzlers „Reigen“ in Frankfurt.] Ein junges
Mädchen erreichte es einst, daß ihr ein Herr nach langem Sträuf
ben Zolas „Nana“ lieh. Sie gab den berüchtigten Roman nach
nigen Tagen zurück und sagte: „Ich hatte es mir viel schlimmen
hetgestellt.“ Aehnlich ist es gestern manchem Besucher der ersten
Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ im Neuen Theater ergangen
Man hatte es sich viel schlimmer vorgestellt. Sehr einfach: Die
Phantasie, die dem Leser des Buches so reiche Möglichkei.en gibt
hatte bei den auf die Bühne gerufenen Dialogen wenig mehr zu
tun. Es gab sogar Leute, die fanden zehn Variationen über ei
Thema, das sei am Ende monoton. Recht geschieht Euch! Schnitz
ler selbst hat, wohl wissend, daß der Husch, das Filigran, die Zart
heit, aber auch das allzu Draufgängerische dieser Stückchen der
Verlebendigung auf der Bühne widerstrebe, an die Aufführung nicht
gedacht und erst in jüngster Zeit die Inszenierung des Unszenier¬
baren gestattet. Ich bin der Meinung, der „Reigen“ hätte Pri¬
vatdruck bleiben sollen. Bei der Zimmerlampe freundlich trau¬
tem Schein geben die Dialoge mit ihrer Grazie und
Frechheit ihr Feinstes von Einleitung und Abgesang,
vom Stolperigen und Raffinierten, vom leise Schwin
genden und Klotzigen, das die menschlichste
Ange
egenheit begleitet und verbrämt, bei der Lampe tanzen die
berühmten Gedankenstriche den ewigen Reigen. Zipfel werden
gelüftet zu dem Begebnis das die Geschlechter vereinigt, gezeigt
wird, wie Menschen verschiedener Lebensalter und Stände zu ver
schiedenen Stunden mit mehr oder weniger Kultur Eros folgen
und das Tier in sich zu überwinden trachten, aber nicht überwin¬
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Rhein.-Westf. Zeitung
Ort:
Essen (Ruhr)
Datum:

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8=2. Eine weise Theaterleitung. Aus Frankfurt a. M. meldet
und ein Eig. Deahtb.: Schnitzlers Reigen wird vom Neuen
Theater voyf 4. Juli ab gegeben. Der Zutritt ist an die unter¬
chriftliche Erklärung gebunden, sich jeder Mi߬
allenskußerung zu enthalten. — Die Leitung des
Neuen Theaters hat damit das Zaubermittel gefunden,
sich
„Theatererfolge“ im voraus zu garantieren. Wir schlagen vor,
nächstens den Zutritt der Theaterbesucher überhaupt nur dann zu
gestatten, wenn sie sich verpflichten, durch „Beifallsstürme“ einen
Bombenerfolg zu machen. Damit wäre dann jede Kritik — gott¬
lob! — künftig eine höchst überflüssige Angelegenheit.
den. Es ist eine heilere melancholische Abwandlung des Themas.
Und kein Zweifel, daß Schnitzler sein Buch schreiben durfte. Seit
Menschen leben, haben die Künstler unter ihnen sich mit Eros, dem
Herrscher der Welt auseinandergesetzt, die Negerplastiker wie die
Indier, die Antike wie Shakespeare, Rembrandt wie Tizian,
Goethe und Schiller, Flaubert und Verlaine, Hauptmann wie
Unruh. Auch sehr fromme Männer haben das getan, auch unter
kirchlicher Billigung, wie denn der Referent erst kürzlich in einer
Klosterkirche eine Versuchung des heiligen Antonius gesehen hat,
auf der ein entblößtes Weib in letzter vereinigungssehnsüchtiger
Bereitschaft dargestellt ist. Wem das Gesetz seines Ichs diesen
Weg der Kunstrechte verrammelt, mit dem ist nicht zu verhandeln.
Ich halte dennoch dafür daß der „Reigen“ nur im Buche ge¬
tanzt werden sollte, ebenso wie es zu billigen ist, wenn die Kupfer¬
stichkabinette Radierungen von Rops im „Giftschrank“ nur für
Zuständige bereithalten. Das Neue Theater hat allerdings den „Rei¬
gen“ als im Giftschrank tanzend inseriert: nur Personen über
18 Jahre dürfen ihn sehen, nur gegen einen Schein, daß sie das
Werk kennen und keinen Anstoß daran nehmen. Dieser Stachel
draht wird niemand behindern Der Konsument bezieht auf
dringendes Verlangen die bestellte Ware: Praxis der Liebe. Viele
werden sehr amüsiert sein und Herrn Lengbachs groteske
Dümmlichkeit famos, Frl. Aschenbach als Sünderin entzückend
drollig finden (sie glitt am feinsten mit Schnitzler auf und ab)
sie werden feststellen, daß Frau Reiter nicht viel Federlesens
macht, Frl. Siener herzlich lieb ist, Frl. Heiden süß und
gerissen zugleich, Frl. Baderle nach Wunsch unbefangen,
daß
Herr Marowsky dem Buche nicht nahekommt, Herr Weinig
in seiner Doppelrolle als Philister und Verführer dem Leben
entspricht,
wahrhaftig
Heir Dahlen mit
Takt
zu
Werke geht und Herr Almas nach Vorschrift ohne
viel Umstände zugreist sie
können die Inszenierung
und Spielleitung (Herr Robert) rühmen, die dämmerige Auf¬
machung, das Dunkel der Gedankenstriche. Ja, der Abend ging
anstandslos vor sich und die Akteure waren eifrig bei ihrem Werk
Das Letzte des Buches, was in ihm melancholisch=weh mitklingt
und den Nachdenklichen in den „Reigen“ einbezieht, kann keine
Aufführung geben. Sie mag nach Möglichkeit delikat sein, sie ver¬
gröbert die Dialoge, muß es tun, weil ihre Knappheit, duftig dem
Leser, auf der Bühne holzern wird und so viel psychologisch Be¬
ziehungsvolles verflattert. Die 6 Zivilkammer des Landgerichts
II. in Berlin hat die Aufführung des „Reigen“ eine „sittlich¬
Tat“ genannt. Ich nenne sie nicht so. Wohl: Es wird gezeig
wvie gedanken= und würdelos durch einen unedeln und unvoll¬
vollkommenen Genuß des Augenbricks zu Boden getreten wird
was der Menschheit das Heiligste sein sollte“. Wohl: „Das soll
ittlichen Ekel erzielen. Aber glauben die Berliner Herren, daß
ieser Ekel erzielt wird? Machen wir uns doch nichts vor! Zum
mindesten fehlt dann der Dialoa, der die körperliche Vereinigun
durch seelische Gemeinschaft verklärt, der den Logos und die
Sinne gattet. Für 99 Prozent der Konsumenten der nun auch in
Frankfurt gelieferten Ware dreht sichs um einen hochpikanten
Abend, nicht um die Forderung einer sittlichen Tat.
ck.