II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1034

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
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Zeitung:
Ort:

Datum:
Schnitzlers Reigen wurde im Neuen Theater
zu Frankfurt a. M. vor geladenen Zu¬
hörern Aufgeführt. Nach einem einzigen Bild
gabschüchternen Beifall. Am Schluß ver¬
ieshetoch ein Teil des Publikums das Theater
im Lefsten Schweigen, um die verletzte Moral
auszudrücken. Zu den gefürchteten störenden
Zwischenfällen kam es nicht. Die im Zu¬
schauerraum hier und da aufgestellten Geheim¬
polizisten brauchten nicht einzuschreiten.
Gegen die Aufführung erläßt die Theater¬
gemeinde
des Bühnenvolksbundes
einen öffentlichen Protest, worin sie
erklärt, daß sie mit einem Theater, das ein
solches Stück aufführt, nichts mehr zu tun
haben wolle und künftighin mit der Direktion
eines—solchen Theaters keine Vorstellungen
ehr für Mitglieder des Bühnenvolksbundes
evereinbaren werde.
Zeitung: Kölnische Thins
Ort:
Datum:
Theäter und Alufik
Schnitzlers „Reigen“ in Frankfurt.
Frankfurt a. M. Nun hat auch Frankfurt seine „Reigen“=Auf¬
führung erlebt, und zwar dank den geschäftsklugen Vorbereitungen des
Direktors Hellmer vom Neuen Theater ganz ohne Skandal. Herr
Hellmer ließ sich einsach vor Aushändigung der Eintrittskarte von jedem
Besucher schriftlich bescheinigen: „Mir ist Schnitzlers Reigen bekannt,
und ich nehme an Inhalt und Form dieser Dichtung keinen Anstoß.
Ferner nehme ich zur Kenninis, daß eine Störung der Vorstellung einen
Hausfriedensbruch bedeuten würde.“ Das Frankfurter Westendpublikum
unterschrieb in so großer Zahl, daß mehrere ausverkaufte Häuser ge¬
sichert wurden. Der Versicherung der Besucher, daß ihnen Schnitzlers
Dichtung bekannt sei, widersprach die Tatsache, daß in den Pausen,
während denen das Haus verdunkelt blieb, fortwährend bald im Parkett,
bald in den Logen, bald in den Rängen Streichhölzchen aufflammten,
die Wißbegierigen zum Studium des Theaterzettels dienten. Als ob es
nicht ganz einerlei zum Verständnis dieser Bühnenvorgänge wäre,
wie Schnitzler „sie" oder „ihn“ benannt hat. Dort, wo das „Hand¬
werk“ des weiblichen Spielers von Bedeutung ist, wird es ohnedies in
eindentigster Weise zum Ausdruck gebracht. Auf dieses „literarische“
Publikum braucht das Neue Theater also nicht stolz zu sein. Der
Leiter dieser Bühne tat aber noch ein übriges: er ließ vorher in der
Presse bekannt geben, daß Schutzleute im Theater verteilt seien, um sofort
gegen Ruhestörer einzuschreiten. Da zudem noch der Herr Polizei¬
präsident selbst anwesend war, blieb alles mäuschenstill, nicht einmal
Beifall wagte sich heraus; denn man wußte ja nicht, wie die Polizel den
aufnehmen würde. Einen Protest gab es aber trotzdem, wenn auch
nur einen gedruckten: der Bühnen=Volksbund, der gegen 10000 Mit¬
glieder hat, erhob in deutlichster Sprache gegen die Aufführung Ein¬
spruch und erklärte, mit einem derartigen Theaterleiter keine Gemeinschaft
haben zu wollen. Bliebe noch übrig, über die Darstellung etwas zu
sagen. Es genügt, festzustellen, daß sich Spielleiter und Darsteller be¬
mühten, durch Zurückhaltung über das Heikle der Darstellung hinweg¬
zukommen. Was dennoch nicht hinderte, daß die Übertragung von —
Gedankenstrichen aus Schnitzlers Buch auf die Bühne trotz oder gerade
wegen der Verdunklung der Szene brutal und häßlich wirkte.
Max Fleischer: