II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1035

11. Reigen
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Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Beructen: a##rererkuchvien 31
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seheim
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„Reigen“ von Schnitzler im Frankfurter
Neuen Thealer.
Nun hat Frankfurt auch seine Sensation: den „Reigen“.
ätter unser verrücktes Zeitalter Geschmack und Verantwor¬
ing ces kann beides nicht haben, weil Geschmack und Ver¬
itwortung Blüten, nicht Wurzeln einer Kultur sind), so
äre es niemals zur Aufführung dieser Szenen gekommen.
er Dichter mag schreiben, was er will, wenn er nur von
h aus die Grenzen des Geschmacks und der Verantwortung
ht überschreitet. Und das hat Schnitzler nicht getan
un er schrieb seine Dialoge nicht für die Bühne, hat sich
ich wohl niemals träumen lassen, daß einstmal ein so lärm¬
ller Kampf um sie entstehen würde.
Der sogenannten
ieuen Zeit“ war es vorbehalten, aus Spekulationswit¬
ung diese Dinge auf die Bühne zu bringen und endlose
haren Neugieriger herzulocken, deren Hauptaufgabe es na¬
rlich ist, die etwas defekten Kassen der Theater mit hohem
ntrittsgeld zu füllen. Ob dabei das Werk selber eine
merzhafte Vergröberung, eine peinliche, ja widerliche Deut¬
hkeit und eine Zerstörung seines inneren Rhythmus erfuhr,
8 kam als hindeend gar nicht in Betracht und darin liegt
d schwerste Vorwurf für die Aufführung. Die flüchtigen,
zet vorbeihuschenden Bilder des Buches werden Theater¬
Mterie und damit unerfreulich. Mag sich diese oder jene
Stuation sehr amüsant, menschlich oder sehr lebendig auf
dei Brettern ausnehmen, das ständige ante und post, um
dat sich neun Dialoge drehen, mit dem automatischen
Dunkel= und Hellwerden, die natürlich gebotene Zurückhal¬
tung der Spielenden und die dadurch entstehenden Hem¬
mungen in der Kurve des Geschehens zeigen die Bruchstellen
deutlich an. Und dann: von diesen zehn Dialogen sind doch
eigentlich nur fünf auf der Bühne diskutabel. Die ersten
vier und der letzte sind theatralisch so wenig belangreich,
daß der Actus, um den sie sich drehen, kraß und ekelhaft
in den Vordergrund rückt. Und woher kommt dieser Ekel?
Aus dem Gefühl, hier inmitten Hunderter zu sitzen, mit
ihnen zusammen einen plumpen Einbruch in das Mysterium
der Liebe zu erleben. Man hätte kein Recht zu starker Ab¬
wehr, wenn es sich um ein Experiment einer rein litera¬
rischen Bühne für ein rein literarisches Publikum handelt,
aber hier wird in vollster Oeffentlichkeit vor weit zurückge¬
rissenen Vorhängen gespielt und ganz Frankfurt ist ge¬
laden. Und wie dieses Frankfurt die Dinge auf der Bühne
verstand, bewies verständnisinniges Gelächter an unrechten
Stellen. Man nahm die Dinge nicht als Delikatesse, son¬
dern fraß sie mit Schmatzen. Ich danke für die Teilnahme
an solchen Gastmählern.
Was in den zehn Dialogen verhandelt wird, dürfte be¬
kannt sein. In jeder Szene geht es um einen Liebesakt,
dessen Ausführung durch Dunkelwerden der Bühne und dessen
Beendigung durch Hellwerden angekündigt wird. Mann
und Frau, Dirne und Soldat, Graf und Schauspielerin, Ehe¬
brecherin und junger Mann, das süße Mädel und Dichter,
sie alle werden mit sicheren Strichen geschildert und ihr
äußeres Liebeserlebnis wird zum Prüfstein für ihr inneres
Verhältnis zum Weibe. Aber in keinem Falle handelt es
ich um ein ernsthaftes Liebesproblem, alle zehn Dialoge er¬
zählen von kleinen nichtigen Liebesspielereien. Schnitzler
wollte Amüsantes, Kleinmenschliches einfangen. Das gelang
hm, und selbst in der Vergröberung auf dem Theater blitzt
in mancher Szene ein Stück bunten Lebens auf, das ob seiner
animalischen Pracht frappiert. (Das süße Mädel.) Die
Männerwelt dieser zehn Bilder ist so unbedeutend wie die
Weibswelt
Nun die Aufführung. Die Direktion hatte Vorsichts¬
maßregeln getroffen. Das Publikum mußte sich schriftlich
verpflichten, artig zu sein. Wer nicht artig gewesen wäre,
den hätte ein Polizist an die Luft gesetzt. Aber auch das
gute liebe Westendpublikum verhielt sich sehr ruhig. Hin
und wieder wieherte es freundlich. So kam das Theater,
dank der klugen Fürsorge des Theaterleiters, um einen
Skandal herum. In der Hauptsache aber, wohl dank der
guten ausgeglichenen Aufführung, (Robin Robert). die
jeden falschen Ton vermied und den Dialogen nach Mög¬
lichkeit menschliche Selbstverständlichkeit Heiterkeit und An¬
mut gab. Von den Frauengestalten interessierten besonders
Marion Heiden als das süße Mädel, Kitty Aschen¬
bach als junge Frau, die humorvolle Annie Reiter als
Schauspielerin, Antonie Siener als Stubenmäschen und
Lilli Baderle als Dirne. Die Männer spielten
José
Almas, Stefan Dahlen, Karl Weinig, Karl
rowsky und Georg Lengbach. Weinig und Lengbach fielen
in umfangreicheren Rollen am stärksten auf, aber auch Karl
Marowsky scheint Möglichkeiten einer Entwicklung zu haben.
Die Bühnenbilder von Reinhold Schön hatten Stimmung.
Da sowohl Mißfallenskundgebungen wie Beifall untersagt
waren, entfernte sich das Publikum folgsam und sah trium¬
hierend auf die Grünen, Blauen und zahlreichen Krimi¬
nalisten, die, da es so brav gewesen, umsonst gekommen waren.
Max Geisenheyner.