II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1046

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
MOrg.-2½.
Zeitung:
Ort:
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Datum:
6 Cus 0
Protest gegen das
Preslauer „Reigen“=Perbot
Der estand der Ortsgruppe Breslau
des
##utzverbandes deutscher Schrift¬
stellse ehm zu dem Breslauer „Reigen“=Verbot
in nahender Entschließung Stellung:
Mit „dem vom Breslauer Polizeipräsidenten be¬
wirkten Verbot einer Breslauer Aufführung von
Schnitzlers Szenenfolge „Der Reigen“ fügt sich der
Krrte-unberechtigter beyordlicher Eingriffe in Dinge
künstlerischer Kultur ein neues Glied ein. Des
Verbot muß um so befremdlicher wirken, als der
„Reigen“ in zahlreichen deutschen Städten unbe¬
hindert aufgeführt wurde und weiterhin aufgeführt
wird und als ihm durch Entscheidung der 6. Zivil¬
kammer des Landgerichts III in Berlin ausdrücklich
hochwertig moralische Eigenschaften zugesprochen
worden sind. Ist so schon das Verbot an sich durch¬
aus unhalibar, so fordect seine Begründung ener¬
gischen Einspruch aller künstlerisch interessierten
Volkskreise heraus. Es ist schlechthin undiskutier¬
bar, wenn hier der § 183 des Reichs=Strafgesetz¬
buches herangezogen und gesagt wird, die Darsteller
nähmen unzüchtige Handlungen im Sinne dieses
Paragraphen vor. Die Behauptung aber, die Auf¬
führung widerspreche dem sittlichen Empfinden des
gesunden Teiles der Bevölkerung, stellt eine so
schwere Herabsetzung derjenigen Kreise dar, denen
kunstlerische Einsicht und sittliches Verantwortungs¬
gefühl eine Aufführung dieses Werkes eines aner¬
kannten Dichters von hohem Rang ethisch und
ästhetisch einwandfrei erscheinen lassen, sie unter¬
stellt diesen Kreisen — und übrigens auch der er¬
wähnten Berliner Gerichtsbehörde — so bedenken¬
los krankhaftes Empfinden, daß hier; schärfster
Protest am Platze ist. Wenn weiterhin gesagt wird,
auch unbestrittene Kunstwerke könnten unzüchtig
sein, so zeugt das zum mindesten von einer merk¬
würdigen ästhetischen Auffassung. Wir wissen uns
nit weiten Kreisen des Volkes einig in der Mei¬
tung, daß ein wirkliches Kunstwerk nicht anders
is sittlich, wirken kann — was nicht heißt, daß es
ioralische Absichten haben müsse
und eben
arum geben wir der zuversichtlichen Erwartung
lusdruck, daß an zuständiger Stelle schleunigst
Naßnahmen ergriffen werden, das durch nichts zu
echtfertigende Verbot der Breslauer „Reigen“
Aufführung aufzüheben.
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Berem für Zeitungennsschalte
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Zeitung:
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Ort:
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Datum:
Stadt und Provinz
Breslau, 17. September
Nochmals: Das Verbot des „Reigen“
Polizeiprösident z. D. Liebermann übersendel uns ein
Schreiben, n dem er zu dem Verbot des „Reigen“ Stel¬
lung nimmt. Seine Ausführungen decken sich zum Teil mit
unserer Inschauung, wie wir sie im Auschluß an die Veröffent
lichung der Ortsgruppe Breslau des Schutzverbandes Deutscher
Schriftsteller erkennen ließen, indem wir darlegten, daß. — so sehr
wir uns gegen eine Knebelung der künstlerischen Freiheit durck
die Zensur auflehnen — eine Aufführung des „Reigen“ nicht als
ersprießlich erachtet werden könne, weil zweifellos die Sensations
lust und der lüsterne Kitzel gewisser zahlungsfähiger Schichter
des Publikums, die, wie man sieht, für ernste, große Kunst keint
Teilnahme und kein Geld übrig haben, hier Befriedigung sucher
würde, ohne sie vielleicht zu finden. Geheimrat Liebermani
schreibt:
Der Vorstand der Ortsgrupe Breslau des Schutzverbande
Deutscher Schriftsteller hat in einer der Presse mitgeteilten Ent
schließung gegen das von mir verfügte Werbot der hiesigen
„Reigen“=Aufführung Stellung genommen und an meinen Herr¬
Nachfolger im Amte eine Eingabe um Aufhebung dieses Verbote
gerichtet. Ich bin selbst künstlerisch und literarisch persönlich
sehr interessiert, um nicht den Versuch zu unternehmen, mich mi
dem Verbande wegen des versteckten Vorwurfes des Banausen
tums und kunstfeindlichen Polizeigeistes auseinander zu setzen.
Daß der „Reigen“ zweifellos ein Kunstwerk ist, habe ich in
meiner Entscheidung selbst ausgesprochen. Daß ein Kunstwerk
nicht unzüchtig sein kann, muß ich bestreiten und brauche zur
Stütze solcher Anschauung nur auf die verbotenen Säle mancher
europäischen Museen, z. B. in Neapel hinzuweisen. Daß ein wirk¬
liches Kunstwerk eines wahren Künstlers nach der Absicht seines
Schöpfers nie unzüchtig wirken soll und auch bei seinen Bewun¬
derern nie unzüchtig wirken sollte, gebe ich wieder zu, muß aber
bestreiten, daß es nicht anders als sittlich wirken könne. Kunst
und Moral haben meines Erachtens überhaupt nichts miteinander
zu tun, gehören vollkommen verschiedenen Gebieten an und folgen
ihren eigenen Gesetzen. Die Kunst und das Kunstwerk sind an
sich weder moralisch. noch unmoralisch, sie sind amoralisch. Ein
Künstler, der moralische oder unmoralische, überhaupt andere
Zwecke verfulgt, als rein künstlerische, handelt unkünstlerisch.
Hierin liegt aber zugleich, daß ein Kunstwerk, wenn es nicht mit
dem ihm allein zukommenden Maßstabe gemessen, nicht mit reinem
künstlerischem Interesse ausgenommen wird, moralisch oder un¬
moralisch sein und wirken kann. so gut wie patriotisch oder un¬
patriotisch oder sonst unterschiedlich nuch einer beliebigen Kate¬
gorte
Daß der „Reigen“ ein äußerst heikles Thema behandelt, gibt
der Verband wohl zu. Glaubt er nun selbst wirklich, daß das
Publikum, das, insbesondere heute, unsere Theater füllt, sich zum
„Reigen“ aus künstlerischem Interesse drängt oder wegen der er¬
hofften Pikanterie, deren Feinheit es größtenteils nicht einmal
zu würdigen weiß, und daß die Direktionen, welche den „Reigen“
auf ihr Programm setzen, auf den Kunstsinn der Zuhörer rechnen
und nicht vielmehr auf ganz andere Instinkte? Und wird er nicht
zugeben müssen, daß der gesund empfindende Teil desBevölke¬
rung an solcher öffentlicher Befriedigung niederer Instinkte An¬
stoß nehmen muß, und daß es Pflicht der Polizeibehörde ist.
solchem Empfinden Rechnung zu tragen und moralischen Schaden
zu verhüten? Einer „Reigen“=Aufführung vor einem be¬
schränkten Kreise literarisch gebildeter und
interessierter Zuschauer hätte ich nichts in den Weg
gelegt. Das mir gemachte Angebot der Bildung eines „Reigen“
Vereins, dessen Mitglieder einen Revers zeichnen sollten, das
sie an der Aufführung keinen Anstoß nahmen. stellte nur den Ver¬
such einer Umgehung des Verbotes einer öffentlichen Aufführung
dar. Schnitzler wird mich pardonnieren! Ich glaube nicht, das
er die lose Dialrefolge überhaupt für die Bühne oder gar für
eine öffentliche Aufführung geschrieben hat
und an seinem
Publikum viel Freube hätte. Daß die Ruchausgabe vom „Reigen“
einer gerichtlichen Beschlagnahme verfallen ist, bedauere ich selbst.
glaubte aber, auch darauf Rücksicht nehmen zu müsset, daß in
einem geordneten Rechtsstacte wolll kaum auf öffentlicher Bühne
zugelassen werden sollte, was der Lektüre staatlich verwehrt wird