II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1047

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Beriin NO. 48, Georgenkirchplatz #

Zeitung:
Ort:
Breclat
Datum:
Zum „Reigen“-Verbok.
Wir exhalten die nachstehende Zuschrift:
605
Der Vorsland der Ortsgruppe Breslau des Schutzverhandes
heutschc Schriftsteller hat in einer Entschließung gegen das
von mi gekfügte Verbot der hiesigen „Reigenaufführung“ Stellung ge¬
nommengund Hat an meinen Herrn Nachfolger im Amte eine Eingabe
um Aufheiung dieses Verbotes gerichtet. Ich bin selbst künstlerisch
und literakisch persönlich zu sehr interessiert, um nicht den Versuch zu
unternehmen, mich mit dem Verbande wegen des versteckten Vorwurfes
des Banausentums und kunstfeindlichen Polizeigeistes auseinander zu
setzen.
Daß „Reigen“ zweifellos ein Kunstwerk ist, habe ich in meiner Ent¬
scheidung selbst ausgesprochen. Daß ein Kunstwerk nicht unzüchtig sein
kann, muß ich bestreiten und brauche zur Stütze solcher Anschauung
nur auf die verbotenen Säle mancher europäischen Museen, z. B. in
Neapel, hinzuweisen. Daß ein wirkliches Kunstwerk eines wahren
Künstlers nach der Absicht seines Schöpfers nie unzüchtig wirken soll
und auch bei seinen Bewunderern nie unzüchtig wirken sollte,
gebe ich wieder zu, muß aber bestreiten, daß es nicht anders
als sittlich wirken könne. Kunst und Moral haben meines
Erachtens überhaupt nichts miteinander zu tun, gehören vollkommen
verschiedenen Gebieten an und folgen ihren eigenen Gesetzen. Die
Kunst und das Kunstwerk sind an sich weder moralisch, noch unmoralisch,
sie sind amoralisch. Ein Künstler, der moralische oder unmoralische,
überhaupt andere Zwecke verfolgt, als rein künstlerische, handelt un¬
künstlerisch. Hierin liegt aber zugleich, daß ein Kunstwerk, wenn es
nicht mit dem ihm allein zukommenden Maßstabe gemessen, nicht mit
reinem künstlerischen Interesse aufgenommen wird, moralisch und un¬
moralisch sein und wirken kann,
so gut wie patriotisch oder un¬
patriotisch oder sonst unterschiedlich nach einer beliebigen Kategorie.
Daß „Reigen“ ein äußerst heikles Thema behandelt, gibt der Ver¬
band wohl zu. Glaubt er nun selbst wirklich, daß das Publikum, das,
insbesondere heute, unsere Theater füllt, sich zum „Reigen“ aus künst¬
lerischem Interesse drängt, oder wegen der erhofften Pikanterie, deren
Feinheit es größtenteils nicht einmal zu würdigen weiß, und daß die
Direktionen, welche Reigen auf ihr Programm setzen, auf den Kunst¬
sinn der Zuhörer rechnen und nicht vielmehr auf ganz andere Instinkte?
Und wird er nicht zugeben müssen, daß der gesund empfindende Teil
der Bevölkerung an solcher öffentlicher Befriedigung niederer Instinkte
Anstoß nehmen muß und daß es Pflicht der Polizeibehörde ist, solchem
Empfinden Rechnung zu tragen und moralischen Schaden zu verhüten?
Einer Reigenaufführung vor einem beschränkten Kreise literarisch ge¬
bildeter und interessierter Zuschauer hätte ich nichts in den Weg gelegt.
Das mir gemachte Angebot der Bildung eines Reigenvereins, dessen
Mitglieder einen Revers zeichnen sollten, daß sie an der Aufführung
keinen Anstoß nahmen, stellte nur den Versuch einer Umgehung des
Verbotes einer öffentlichen Aufführung dar. Schnitzler wird mick
pardonnieren! Ich glaube nicht, daß er die lose Dialogfolge überhaup
für die Bühne oder gar für eine öffentliche Aufführung geschrieben
hat und an seinem Publikum viel Freude hätte. Daß die Buchausgab
von Reigen einer gerichtlichen Beschlagnahme verfallen ist, bedauer
ich selbst, glaubte aber auch darauf Rücksicht nehmen zu müssen, daf
in einem geordneten Rechtsstaate wohl kaum auf öffentlicher Bühn¬
#' elassen werden sollte, was der Lektüre staatlich verwehrt wird
Liebermann, Polizeivräsident : 7
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Bezlin NO. 48, Georgenkirchplats #

Gellung
Zeitung:
Ort:
-
i0. SPP. 194
Das „Reigen“-Verbot.
* Ein auswärtiger Theaterunternehmer wollte vor einigen
Monaten mit einer eigens dafür zusammengestellten Truppe in
einem Breslauer Va###und Kino=Theater den „Reigen“ von
Arthur Schnitzler zux Aufführung bringen. Da hiermit lediglich
geschäftriche und auf keinen Fall künstlerische Interessen verfolgt
wurden, hat der demalige Polizeipräsident, Geh. Regierungsrar
Liebermann diese Aufführung des seinerzeit gerichtlich für
„unzüchtig“ erklärten Werkes verboten. Merkwürdigerweise fühlte
sich nun der Vorstand der Ortsgruppe Breslau des Schutzver¬
bandes deutscher Schriftsteller bemüßigt, hiergegen in
einer Entschließung Stellung zu nehmen, die auch von mehreren
hiesigen Zeitungen zum Abdruck gebracht wurde. Dazu schreibt un¬
nun Herr Geheimrat Liebermann:
Der Vorstand der Ortsgruppe Breslau des Schutzverbandes
deutscher Schriftsteller hat in einer der Presse mitgeteilten Ent¬
schließung gegen das von mir verfügte Verbot der hiesigen „Reigen“¬
Aufführung Stellung genommen und hat an meinen Herrn Nach¬
folge im Amte eine Eingabe um Aufhebung dieses Verbotes ge¬
richtet. Ich bin selbst künstlerisch und literarisch persönlich zu sehr
interessiert, um nicht den Versuch zu unternehmen, mich mit den
Verbande wegen des versteckten Vorwurfes des Banausentums unv
kunstfeindlichen Polizeigeistes auseinander zu setzen.
Daß der „Reigen“ zweifellos ein Kunstwerk ist, habe ich in
meiner Entscheidung selbst ausgesprochen. Daß ein Kunstwerk nicht
unzüchtig sein kann, muß ich bestreiten und brauche zur Stütze
olcher Anschaung nur auf die verbotenen Säle mancher europäischen
Museen, z. B, in Neapel hinzuweisen. Daß ein wirkliches Kunst¬
Spfers #ie
werk eines währen Künstlers nach der Absicht seines
unzüchtig werden soll und auch bei seinen Bewunder#nie un
sichtig wirken sollte, gebe ich wieder zu, muß aber bestreiten, daß
s nicht anders als sittlich wirken könne. Kunst und Moral haben
keines Grachtens überhaupt nichts miteinander zu tun, gehören
ollkommen verschiedenen Gebieten an und folgen ihren eigenen
Gesetzen. Die Kunst und das Kunstwerk sind an sich weder mora¬
lisch, noch unmoralisch, sie sind amoralisch. Ein Künstler, der
moralische oder unmoralische, überhaupt andere Zwecke verfolgt, als
rein künstlerische, handelt unkünstlerisch. Hierin liegt aber zugleich
daß ein Kunstwerk, wenn es nicht mit dem ihm allein zukommen¬
den Maßstabe gemessen, nicht mit reinem künstlerischem Interesse
ausgenommen wird, moralisch und unmoralisch sein und wirken
kann, so gut wie patriotisch oder unpatriotisch oder sonst unter¬
schiedlich nach einer beliebigen Kategorie.
Daß „Reigen“ ein äußerst heikles Thema behandelt, gibt der
Verband wohl zu. Glaubt er nun selbst wirklich, daß das Pui¬
blikum, das, insbesondere heute, unsere Theater füllt, sich zum
Reigen aus künstlerischem Interesse drängt, oder wegen der erhoff¬
ten Pikanterie, deren Feinheit es größtenteils nicht einmal zu
vürdigen weiß, und daß die Direktionen, welche „Reigen“ auf ihr
Programm setzen, auf den Kunstsinn der Zuhörer rechnen und nicht
vielmehr auf ganz andere Instinkte? Und wird er nicht zugeben
müssen, daß der gesund empfindende Teil der Bevölkerung un solche
öffentlicher Befriedigung niederer Instinkte Anstoß nehmen muß
und daß es Pflicht der Polizeibehörde ist, solchem Empfinden
Rechnung zu tragen und moralischen Schaden zu verhüten?
Einer Reigeraufführung vor einem beschränkten Kreise literarisch
gebildeter und interessierter Zuschauer hätte ich nichts in den Weg
gelegt. Das mir gemachte Angebot der Bildung eines Reigen¬
vereins, dessen Mitglieder einen Revers zeichnen sollten, daß sie
an der Aufführung keinen Anstoß nahmen, stellte nur den Versuch
einer Umgehung des Verbotes einer öffentlichen Aufführung dar.
Schnitzler wird mich pardonieren.
Ich glaube nicht, daß er die
lose Dialoafolge überhaupt für die Bühne oder gar für eine öffent¬
liche Aufführung geschrieben hat und an seinem Publikum viel
Freude hätte. Daß die Buchausgabe von „Reigen“ einer gericht¬
lichen Beschlagnahme verfallen ist, bedauere ich selbst, glaubte aber
auch darauf Rücksicht nehmen zu müssen, daß in einem geordneten
Rechtsstaate wohl kaum auf öffentlicher Bühne zugelassen werden
stllte, Das der Lektüre staatlich verwehrt wird.
Liebermann,
Polizeipräsident z. D.