II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1104

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Reigen
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W'a. Schnitzlers „Reigen“ in der Schauburg. Unter ungünstigen
Umständen, an schwer zugänglichem Orte und in unzulänglicher, wenn
auch ernsten und ehrlichen künstlerischen Willen nicht verleu mender Dar¬
stellung konnten die Breslauer im Herbste vorigen Jahres Schnitzlers viel¬
umstrittene erotische Dialoge auf der Bühne, für die sie ursprünglich
nicht bestimmt waren, und die ihnen in ihren feinsten und stärksten
Reizen nicht gerecht werden kann, genießen. Soviel erwies auch die
mit unzureichenden Mitteln arbeitende Aufführung in Krietern, daß
der von besorgten und anmaßlichen zu Hütern der Volksmoral sich berufen
fühlenden Seelenhygienikern entfesselte Kampf gegen den „Reigen“ der
Ausfluß großer Verständnislosigkeit und Befangenheit war, einer geistigen
Rückständigkeit, deren Herrschaft schließlich das Theater zur Kinderstube
machen und jeden kulturellen Fortschritt unmöglich machen würde. Ein
Werk wie dieses, in dem so viel künstlerische und menschliche Ueber¬
legenheit, so viel erkennende und erhaltende Kraft des Geistes, so viel
formende Fähigkeit einer feinen Bildnerhand sich offenbart, als
unsittlich“ zu brandmarken, dazu gehört eine geistige und moralische
Plumpheit, die den mit ihr Behafteten jeden Anspruch auf ein Richter¬
amt in künstlerischen Dingen nimmt. Eine Aufführung des „Reigen“
kann anstößig wirken, und wird es, wenn ein unreiner Sinn sich
der Schöpfung des Dichter bemächtigt. Gegenüber einer ernsten, seine
wahre Absicht nicht verfälschenden Versinnlichung des Werkes kann
nur der, teils mit ehrlicher Beschränktheit, teils aber auch mit unlauterer
Böswilligkeit geführte, selbst vor Stinkbomben nicht zurückschreckende
Kampf gegen Schnitzler und seine Dichtung als anstößig und unsittlich
erscheinen. Und wer nach der jetzt in der „Schauburg gebotenen vor¬
trefflichen Aufführung des „Reigen“, die die Bühnenwirkung wenigstens
der besten der zehn Szenen schlagend erwies, seiner Neigung oder seiner
Pflicht, Anstoß zu nehmen, nicht vergessen konnte, den kann man nur
bedauern. Direktor Hubert Reusch hat der Buchdichtung mit feinem
Gefühl für das im Licht der Rampe Mögliche und Wirksame sinnlich
lebendige Gestalt gegeben und in einem entsprechenden und bestechenden
szenischen Rahmen die Vorgänge in den einzelnen Szenen und die sie
durchleuchtende Ironie des seeienenthüllenden Dichters in feinen Ab¬
tufungen, die den verschiedenen Lebenssphären gerecht wurden, zu
schöner Geltung gebracht. Auch die wienerische Atmosphäre fehlte diesen
Bildern nicht. Ganz besonders echt war die Wiener Note in den prächtig
lebensvollen „süßen Mädel“ Poldi Müllers und in dem überaus
ein gezeichneten Grafen Gustav Heppners. Die junge Frau in
ihrer unbekümmerten Verlogenheit und spielerisch dreisten Erotik
wurde von Sybill Smolawa mit kecker Grazie, die Schauspielerin
in ihrer hochtönenden Gespreiztheit und herrisch=launischen Sprung¬
haftigkeit von Jutta Versen sehr überzeugend und ergötzlich ver¬
körpert. Trude Norgard als Stubenmädchen und Olga Fuchs als
Dirne vervollständigten die weibliche Stufenleiter nach unten. Von den
Herren ist nach dem bereits gewürdigten Darsteller des Grafen zunächst
Walter Tautz zu nennen, der den Ehemann in seiner Doppelrolle
als ernster Moralprediger und seitensprungbedürftiger Lebemann — die

eine Rolle nicht nur nach, sondern auch in der andern zeigend
treffend, im Lichte der Schnitzlerschen Ironie, charakterisierte; ihm
reihte sich würdig der in seinem geschlechtlichen Egoismus und in seinem
militärischen Gehaben kräftig yingestellte Soldat Fritz Horns an.
Mit dem Dichter fand sich Kurt Mikulski, ohne freilich ganz die
dankbare Aufgabe zu erschöpfen, mit dem „jungen Herrn“ Hans Tillo
befriedigend ab. Die einförmig=elegische Musik von Forster¬
Larrinaga trug zu der Wirkung des Reigen nicht gerade bei. Allen,
mit Ausnahme derjenigen, die durchaus Anstoß nehmen wollen und
denen eine Enttäuschung ziemlich gewiß ist, kann der Besuch der
„Reigen“=Aufführung in der „Schauburg“ empfohlen werden. Sie
werden ihn nicht bereuen.