11. Reigen
box 19/2
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Der Tac, Wien
21.0kl. —
Bühne und Kunst
Arthur Schnitzlers „Reigen“ in Paris
Der Gedänte, Schnitzler „Reigen“ au einer¬
Pariser Bühne zu bringen, geht auf Antoin¬
den großen französischen Theaterleiter, zurück.
Antoine, der schon vor dreißig Jahren das Pa¬
riser Publikum mit Schnitzler durch die Insze¬
nierung des „Grünen Kakadu“ auf der Bühne
des Théatre Libre bekanntgemacht hatte, begte
seit langem den Plan, die zehn Dialoge des
„Reigen“ aufzuführen. Anläßlich der jetzt stait¬
gefundenen Premiere hat er sich in einem Artikel
des „Journal“ darüber ausgesprochen und er¬
klärt, warum es seinerzeit zu der geplanten Aus¬
führung nicht gekommen war: „So gerne ich den
„Reigen“, den ich für ein Meisterwerk halte. ge¬
spielt hätte, konnte ich über die Schwierigkeiten
der Inszenierung nicht hinwegkommen. Etwas
En scheidendes mußte erfunden werden, und ic
versagte. Mit Ungeduld warte ich auf die Pri¬
miere Pitoeffs, glücklich, daß ein jüngerer Kol¬
lege sich zum „Reigen“ bekannt hat und gespannt,
zu erfahren, auf welche Weise er der Sache bei¬
gekommen ist.“
Diese offene Erklärung des großen Antoine
wirkte innerhalb der Pariser Theaterwelt gerade¬
zu sensationell und die Zeitungen bestürmten
Pietoff, er möge ihnen die Details seiner Insze¬
nierung verraten. Es mußte etwas Außerordent¬
liches sein: ein Werk, dessen Schwierigkeiten selbst
den kühnen Antoine zurückgeschreckt hatten! Und
in der Tat, es wurde etwas Außerordentliches!
Pitoeff verriet vor der Aufführung zwar nichts
über seine eigene Arbeit, aber er sprach von
seiner Beziehung zu Schnitzler und zum
„Reigen“:
„Schnitzlers Werk ist mir durchaus vertraut.
Ich habe alle seine Schriften in meiner russischen
Heimat gelesen. Es war immer mein Traum,
gerade den „Reigen“ aufzuführen, denn ich liebe
dieses Werk ganz besonders. Warum sollen diest
zehn Bilder anstößig oder gar unsittlich sein?
Zehn Menschen treibt der Hunger nach Glück, die
Sehnsucht nach Liebe; und zehn Menschen bleiben
enttäuscht zurück: in einer flüchtigen Umarmung
haben sie nur ein Trugbild der Liebe kennen ge¬
lernt. Frivol, anstößig, könnte nur eine allzu
veristische Inszenierung wirken.“
Dieser Gefahr ist Pitoeff allerdings mit be¬
wundernswerter Kunst ausgewichen. Seine In¬
szenierung ist niemals „realistisch“. Sie bringt
die zehn typischen Situationen in einem stilisier¬
ten Rahmen, der die einzelnen Dialoge gleichsam
aus der realen Sphäre in eine symbolische hinauf¬
hebt. In phantasievoller Weise versteht es Pitoeff,
die Dialogstellen szenisch zu gestalten, die im Buch
durch Gedankenstriche ausgedrückt sind. Hier liegt
gen ein Beweis für die überraschende Verwand¬
lungsfähigkeit der großen Menschendarstellerin ist.
Pitoeff selbst gibt den Grafen mit komischer
Trockenheit, die das Publikum zu wahren Lach¬
stürmen hinreißt. Herr Salou als junger
Mann und Dichter, Herr Dagand als Soldat,
Herr Geno=Ferny als Gatte, bilden die
würdigen Partner des Ehepaares.
Die Pariser Kritik bereitete dem Werk des
österreichischen Dichters die denkbar freundlichste
Aufnahme. Die Verwandtschaft von Schnitzlers
Geist mit französischem Esprit wurde rühmend
hervorgehoben. Der feine Dialog, die köstlichen
Situationen und der unerschöpfliche Humor fan¬
den ebensoviel Verständnis wie die tiefe Melan¬
cholie, von der diese anscheinend so heitere und
unbeschwerte Szenenreihe überschattet wird.
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I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Der Tac, Wien
21.0kl. —
Bühne und Kunst
Arthur Schnitzlers „Reigen“ in Paris
Der Gedänte, Schnitzler „Reigen“ au einer¬
Pariser Bühne zu bringen, geht auf Antoin¬
den großen französischen Theaterleiter, zurück.
Antoine, der schon vor dreißig Jahren das Pa¬
riser Publikum mit Schnitzler durch die Insze¬
nierung des „Grünen Kakadu“ auf der Bühne
des Théatre Libre bekanntgemacht hatte, begte
seit langem den Plan, die zehn Dialoge des
„Reigen“ aufzuführen. Anläßlich der jetzt stait¬
gefundenen Premiere hat er sich in einem Artikel
des „Journal“ darüber ausgesprochen und er¬
klärt, warum es seinerzeit zu der geplanten Aus¬
führung nicht gekommen war: „So gerne ich den
„Reigen“, den ich für ein Meisterwerk halte. ge¬
spielt hätte, konnte ich über die Schwierigkeiten
der Inszenierung nicht hinwegkommen. Etwas
En scheidendes mußte erfunden werden, und ic
versagte. Mit Ungeduld warte ich auf die Pri¬
miere Pitoeffs, glücklich, daß ein jüngerer Kol¬
lege sich zum „Reigen“ bekannt hat und gespannt,
zu erfahren, auf welche Weise er der Sache bei¬
gekommen ist.“
Diese offene Erklärung des großen Antoine
wirkte innerhalb der Pariser Theaterwelt gerade¬
zu sensationell und die Zeitungen bestürmten
Pietoff, er möge ihnen die Details seiner Insze¬
nierung verraten. Es mußte etwas Außerordent¬
liches sein: ein Werk, dessen Schwierigkeiten selbst
den kühnen Antoine zurückgeschreckt hatten! Und
in der Tat, es wurde etwas Außerordentliches!
Pitoeff verriet vor der Aufführung zwar nichts
über seine eigene Arbeit, aber er sprach von
seiner Beziehung zu Schnitzler und zum
„Reigen“:
„Schnitzlers Werk ist mir durchaus vertraut.
Ich habe alle seine Schriften in meiner russischen
Heimat gelesen. Es war immer mein Traum,
gerade den „Reigen“ aufzuführen, denn ich liebe
dieses Werk ganz besonders. Warum sollen diest
zehn Bilder anstößig oder gar unsittlich sein?
Zehn Menschen treibt der Hunger nach Glück, die
Sehnsucht nach Liebe; und zehn Menschen bleiben
enttäuscht zurück: in einer flüchtigen Umarmung
haben sie nur ein Trugbild der Liebe kennen ge¬
lernt. Frivol, anstößig, könnte nur eine allzu
veristische Inszenierung wirken.“
Dieser Gefahr ist Pitoeff allerdings mit be¬
wundernswerter Kunst ausgewichen. Seine In¬
szenierung ist niemals „realistisch“. Sie bringt
die zehn typischen Situationen in einem stilisier¬
ten Rahmen, der die einzelnen Dialoge gleichsam
aus der realen Sphäre in eine symbolische hinauf¬
hebt. In phantasievoller Weise versteht es Pitoeff,
die Dialogstellen szenisch zu gestalten, die im Buch
durch Gedankenstriche ausgedrückt sind. Hier liegt
gen ein Beweis für die überraschende Verwand¬
lungsfähigkeit der großen Menschendarstellerin ist.
Pitoeff selbst gibt den Grafen mit komischer
Trockenheit, die das Publikum zu wahren Lach¬
stürmen hinreißt. Herr Salou als junger
Mann und Dichter, Herr Dagand als Soldat,
Herr Geno=Ferny als Gatte, bilden die
würdigen Partner des Ehepaares.
Die Pariser Kritik bereitete dem Werk des
österreichischen Dichters die denkbar freundlichste
Aufnahme. Die Verwandtschaft von Schnitzlers
Geist mit französischem Esprit wurde rühmend
hervorgehoben. Der feine Dialog, die köstlichen
Situationen und der unerschöpfliche Humor fan¬
den ebensoviel Verständnis wie die tiefe Melan¬
cholie, von der diese anscheinend so heitere und
unbeschwerte Szenenreihe überschattet wird.