11. Reigen
box 19/2
Signe
L
7922-6119)
1939
Büfne und Kunst.
La Ronde (Der Reigen).
114 Non Arthur Schnitzten—
Das Stütk beginnt mit einer Dirnen¬
szene und schliesst mit einer Dirnen¬
szene. Was dazwischen liegt, stammt aus
einer Atmosphäre, in der man Liebe und
Sexualität ebenfalls nicht mehr ausei¬
nander hält. Der Soldat, der in der ersten
Szene mit der Dirne auftritt, erscheint in
der gleichen Situation mit dem Stuben¬
nädchen, das Stubenmädchen gibt sich
dem jungen Herren hin, der später die
junge Frau auf sein Zimmer bestellt.
Die junge Frau hat ein iéte à téte mit
ihrem Gatten, der seinerseits mit dem
gsüssen Mädeln in einem Kabinett parti¬
culier die Ehe bricht. Das süsse Mädel,
'sucht den Dichter auf, der Dichter die
Schauspielerin. Die Schauspielerin emp¬
fängt den Grafen. Schlussbild: der Graf
befindet sich bei der Dirne; die Strassen¬
laterne, die am Anfang sichtbar würde,
wird von neuem gezeigt. Die Kette ist ge¬
schlossen. Daher der Name: Reigen. Dies
ist der nackte Tatbestand. Ich überlasse
es dem Leser, sich selber ein Urteil zu
bilden.
Das Stück war lange verboten, und
Schnitzler zog es selber zurück. In die
Gesamtausgabe seiner Dramen hat er es
nicht aufgenommen. Es erschien separat
und erlebt bis 1931 die 101. bis 104. Auf¬
lage!!! Indem die Pitoeff-Trupne sich 7u
seiner Aufführung entschloss, musste sie
das, was der Dichter nur mit Gedanken¬
strichen andeutete, schon etwas energi¬
scher hervorheben. Mme Pitgéff unter¬
zog sich der Aufgabe, die Rolie des weib¬
lichen Wesens in den zehn aDialogeny zu
verkörpern. Sie zeigte eine Vielseitigkeit,
die in Staunen versetzte. Auch ihre Part¬
ner machten ihre Sache nicht schlecht.
(Meist handelte es sich freilich um ichlos¬
schematische Rollen). Die Inszenierung
selber war dem Inhalte durchaus ent¬
sprechend. Man vergass ganz, dass man
im Stadttheater sass, so singkneipenhaft
fröblich, kinomässig nahm sich das Sze¬
nenbild aus. Schallplattenschlager wur¬
den zur Erzeugung — der Stimmung ver¬
wandt. Die Dreigroschenoper eröffnete
den cReigenn mit ihrer Leierorgel-Melodie,
und eder kleine Gardeoffizier, sollte das
gräflich-dirnliche Schlussduo musika¬
lisch stützen. (Nicht ganz zur Zufrieden¬
heit aller Anwesenden!)
Die putzigen Drehbühnen auf der
Bühne erinnerten an die Puppenküche,
und erst das sich hebende und senkende
Zimmer liess an — ach, wie sagt man
doch, um niemand zu verletzen? — an
Einfachheit nichts zu wünschen übrig. —
„Der Menschheit Würde ist in eure
Hand gegebens, ruft Schiller den Künst¬
lern zu. Doch was bedeutet der Generation
von heute der volles Schiller? Hat ihn
Nietzsche nicht den -Moraltrompeter von
Säckingenn genannt? So hält man mir
höhnisch entgegen. Pardon! Glauben Sie
wirklich, dass Nietzsche an Schnitzlers
Reigens eine ungetrühte Freude gehabt
hätte? Man lese doch einmal nach, was
er im eZarathstras von der Höher-, von
der Hinaufzüchtung des Menschen, von
der Keuschheit und von der Ehe sagt!
Th. M.
box 19/2
Signe
L
7922-6119)
1939
Büfne und Kunst.
La Ronde (Der Reigen).
114 Non Arthur Schnitzten—
Das Stütk beginnt mit einer Dirnen¬
szene und schliesst mit einer Dirnen¬
szene. Was dazwischen liegt, stammt aus
einer Atmosphäre, in der man Liebe und
Sexualität ebenfalls nicht mehr ausei¬
nander hält. Der Soldat, der in der ersten
Szene mit der Dirne auftritt, erscheint in
der gleichen Situation mit dem Stuben¬
nädchen, das Stubenmädchen gibt sich
dem jungen Herren hin, der später die
junge Frau auf sein Zimmer bestellt.
Die junge Frau hat ein iéte à téte mit
ihrem Gatten, der seinerseits mit dem
gsüssen Mädeln in einem Kabinett parti¬
culier die Ehe bricht. Das süsse Mädel,
'sucht den Dichter auf, der Dichter die
Schauspielerin. Die Schauspielerin emp¬
fängt den Grafen. Schlussbild: der Graf
befindet sich bei der Dirne; die Strassen¬
laterne, die am Anfang sichtbar würde,
wird von neuem gezeigt. Die Kette ist ge¬
schlossen. Daher der Name: Reigen. Dies
ist der nackte Tatbestand. Ich überlasse
es dem Leser, sich selber ein Urteil zu
bilden.
Das Stück war lange verboten, und
Schnitzler zog es selber zurück. In die
Gesamtausgabe seiner Dramen hat er es
nicht aufgenommen. Es erschien separat
und erlebt bis 1931 die 101. bis 104. Auf¬
lage!!! Indem die Pitoeff-Trupne sich 7u
seiner Aufführung entschloss, musste sie
das, was der Dichter nur mit Gedanken¬
strichen andeutete, schon etwas energi¬
scher hervorheben. Mme Pitgéff unter¬
zog sich der Aufgabe, die Rolie des weib¬
lichen Wesens in den zehn aDialogeny zu
verkörpern. Sie zeigte eine Vielseitigkeit,
die in Staunen versetzte. Auch ihre Part¬
ner machten ihre Sache nicht schlecht.
(Meist handelte es sich freilich um ichlos¬
schematische Rollen). Die Inszenierung
selber war dem Inhalte durchaus ent¬
sprechend. Man vergass ganz, dass man
im Stadttheater sass, so singkneipenhaft
fröblich, kinomässig nahm sich das Sze¬
nenbild aus. Schallplattenschlager wur¬
den zur Erzeugung — der Stimmung ver¬
wandt. Die Dreigroschenoper eröffnete
den cReigenn mit ihrer Leierorgel-Melodie,
und eder kleine Gardeoffizier, sollte das
gräflich-dirnliche Schlussduo musika¬
lisch stützen. (Nicht ganz zur Zufrieden¬
heit aller Anwesenden!)
Die putzigen Drehbühnen auf der
Bühne erinnerten an die Puppenküche,
und erst das sich hebende und senkende
Zimmer liess an — ach, wie sagt man
doch, um niemand zu verletzen? — an
Einfachheit nichts zu wünschen übrig. —
„Der Menschheit Würde ist in eure
Hand gegebens, ruft Schiller den Künst¬
lern zu. Doch was bedeutet der Generation
von heute der volles Schiller? Hat ihn
Nietzsche nicht den -Moraltrompeter von
Säckingenn genannt? So hält man mir
höhnisch entgegen. Pardon! Glauben Sie
wirklich, dass Nietzsche an Schnitzlers
Reigens eine ungetrühte Freude gehabt
hätte? Man lese doch einmal nach, was
er im eZarathstras von der Höher-, von
der Hinaufzüchtung des Menschen, von
der Keuschheit und von der Ehe sagt!
Th. M.