II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 10

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10. Das „ernaechtnis
Morgens Ahnung in das Grab“, bevor ihr Edmonds!
Ist man ein Pharisäer, wenn man dem Hochflug glaubhafte, scharf erfaßte und sch
Vermächtnißträger zu nahen vermag.
dieser Ideen nicht folgen mag? Genügt unsern Drama=Individuen, Mit dem Dichter wettei
Auch Schnitzlers Toni Weber endet durch Selbstmord,
tikern nicht mehr das alte vielbelächelte Programm rekairesin erstaunlicher Schöpferkraft. Har
der aber nicht aus der Verzweiflung über den Tod des
une virginité? Ist es wirklich ihres Ehrgeizes werth und Losatti, macht uns auf seinen Hjalmar
Geliebten, auch nicht durch den Mutterschmerz über den Sache ihres Berufes, neues Familienrecht und Sitten= überraschte er durch eine humoristif
jähen Heimgang ihres unehelichen Kindes sondern durch
gesetz zu schaffen? Sind sie befähigt und befugt, eine
La Roche nicht bescheidener und bestin
die Verkennung, durch den stumpfen Widerstand der
neue Weltordnung jenseits von Gut und Böse aufzubauen?
belustigender zuwege gebracht hätte. Au
Philisterwelt erklärt wird. Die Familie ihres Geliebten
So hadern wir mit ihnen, weil sie mit uns hadern, über¬
auch die Damen Schmittlein, Hohen
will im ersten Schmerz über den Trauerfall den letzten dies — im „Vermächtniß“ Schnitzlers — unter ganz will= Die Toni Weber der Schratt war ein
Willen des Verstorbenen ehrlich vollstrecken. Und die kürlich gewählten Voraussetzungen mit uns hadern.
Wirkung. Die jungen HH. Treßler (al
Frauen des Hauses halten sogar nicht nur äußerlich an Nehmen wir an, der sterbendeljunge Losatti hätte sich noch und Paulsen hielten sich aller Ehren
dem Gelübde fest. Die Männer des Kreises — der Haus= in extremis regelrecht mit seiner Toni trauen lassen können. Dr. Schmidt und Römplers Arzt u
vater, Professor und Abgeordneter Losatti, ein liberali= Oder er wäre heimlich noch vor der Geburt seines Söhn= Für solche Nothhelfer schreibt Schnitz
sirender Zungenheld und der Zukunstseidam, der rigoristischechens mit ihr vermählt gewesen. Wäre damit aller Unter=seine Komödie, die weniger auf den ap
Hausarzt Dr. Schmidt — fühlen sich dagegen je länger,
schied gesellschaftlicher Sitte, geistiger Interessen und tief= das Gemeingültige, quod semper,
destoweniger berufen, für die alles begreifende, alles ver= wurzelnder Lebensgewohnheiten verschwunden? Wäre der ab omnibus, ausgeht. Bei seinen reich
klärende Nachsicht der Damen aufzukommen, geschweige
Wittwe mit der formellen, juristischen Zugehörigkeit zur noch lange nicht zum Philisterium sich
Opfer zu bringen und Fehden mit den Stützen der Ge=Familie auch die innere Zugehörigkeit selbstverständlich von satirischen Dramen zu nainen
sellschaft“ zu beginnen. Dem Dr. Schmidt insbesondere, zugefallen, hätte sie, die Plebejerin, sich jemals, insbesondere
steigt. Ein absichtsloser Dichter ist nicht
der in bitterer Noth sich seine Stellung als Ellbogen=Inach dem Tode ihres Knäbleins, unter den patrizischen
ein gedankenloser Dichter.
mensch in der Welt erkämpft hat, „beginnt alles zu wanken,
Bürgern behaglich eingelebt? Ja, sehen wir nicht alle
seit diese Toni hier ist. Ich habe mit Geschöpfen dieser Tage daß unter Hoch= und Niedrigstehenden Blutsver¬
* „Ingwelde“, Schillings Mi
Art nie zu thun gehabt. Sie sind mir unheimlich. Ich wandtschaft und legale Schwägerschaft durchaus nicht
unted Hermann Zumpe's Leitung mit
fühle, daß ich sie hier nicht dulden darf. Aus einer! Reibungen, Gehässigkeiten, Todfeindschaften ausschließen?
aufgeführt worden. Noch im Laufe die
anderen Welt kommt sie“ 2c. Eine Strafrede, welche die Nicht deßhalb, weil die Losatti's und ihre Leute der armen
am Kgl. Opernhause in Berlin in See
Raisonneuse des Schauspiels mit der recht fragwürdigen Toni Weber wehthun sind sie schwache Menschen, sondern
Einwendung erwidert: „Wie ein Kind von Fabelbüchern,
vielmehr weil sie schwache Menschen sind thun sie ihr studirung des Werkes hat Richard St
Die Hauptrollen werden von Frlu. Hiedle
reden Sie von dieser „anderen Welt'. Als wenn's irgend¬
weh. Es sind nicht immer nichtsnutzige Einrichtungen, dargestellt werden.
welche Grenzen dieser Art gäbe. Hier „die Tugend“, die uns acme irrende Sterbliche entwürdigen, es ist viel¬
dort „das Laster“. So einfach ist das Leben nicht, mein mehr die Schwäche der menschlichen Natur, die selbst so
Ein Bildniß der Kaiserin von ###
Originalgemälde von H. Wilde hat die
guter Doktor. Die Grenzen wären ja seir bequem für weise durch weltalte Erfahrungen geheiligte Institutionen,
von G. Heuer u. Kirmse in Berlin in zwe
Sie — nur existiren sie nicht." Ein Satz, den dieselbe wie die Ehe und Familie — consortium totius vitae -
und Boudoir=Format, soeben ausgegeben. 2#
Klugrednerin nach dem Ausspruch des Professors Losatti,
gefährdet.
dasselbe unter Zuhülfenahme der besten Pho
wir hätten das Recht, solchen Geschöpfen, wie unsrer
Kann ich nach alledem mit Fabel und Grundgedanken
der 60er Jahre und unter vergleichenden
courtisane généreuse, zu verzeihen, mit dem Paradoxon
des „Vermächtnisses“ mich nicht befreunden, so darf ich
existirenden Jugendbilder gemalt. Die Verla#
übertrumpft: „Du sprichst von Verzeihen? Was hat über= desto herzhafter die meisterhafte Charakteristik rühmen.
vortrefflich gelungenen Kupferätzung als
haupt ein Mensch dem andern zu verzeihen? Vermessen= Jede Gestalt lebt: Toni Weber und alle Losattis, der
werthige Bildniß der Königin Luise mi
heit ist das! Strafen dürfen wir und rächen meinethalben Moralpedant Schmidt und die unscheinbaren Nebenfiguren
hervorragende Kunstgaben. —
damit bleiben wir doch unter uns sozusagen. Aber des Arztes der Rettungsgesellschaft und des mit dem
zum Verzeihen ist doch Keiner gut genug.“
jungen Losatti befreundeten Ministerialkonzipisten, sind!