II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 9

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10. Das Vernaechtnis
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Mädchengestalten Gretchens und Klärchens. Vor und nach ffizirt. Das Herz eines Armenarztes und das Hirneines sozial¬
Theater. #.
ihm gedieh freilich allezeit eine faule Flora der sogenannten politischen Sachwalters arbeitet in Schnitzlers Entwürfen.
tniß“ im Burgtheater.
„Buhlerinnen=Romane“ neben dem selbständigen Typus, Mit außerordentlicher advokatorischer Begabung gewinnt
Es jüngste Modewort von den den Rousseau in den „Conkessions“ mit seiner Laurettal und blendet, reizt oder empört er seine Hörer für einen
eln“ ist nur ein neuer Name Pisana geschaffen. So würde es ein Buch, nicht einen Theaterabend. Der höchste Kranz des Dramatikers winkt
f Schritt und Tritt begegnen Zeitungsaufsatz erfordern, den Stammbaum der cour- indessen nicht solchen Eingebungen und Künsten. Der
ng der letzten anderthalb Jahr=tisane généreuse aufwärts bis zu den frühesten Um= dauernde Sieg des Dichters fällt nach Otto Ludwigs Wort
nSpielarten der courtisane bildungen des Magdalenen=Charakters im mittelalter=nur dem zu der als Richter über Allen steht. Das un¬
parteiische, Gerechte und Ungerechte mit gleicher Unbefangen¬
idelberger Germanist Professorlichen, geistlichen Schauspiel und abwärts bis zur Lady
heit wägende Urtheil Shakespeare's — ein wahres Welt¬
im Festvortrag dieses Jahres Milford, allen emanzipirten Weibern des „Jungen Deutsch¬
gewissen — wird länger währen als die genialsten Leistun¬
dsamkeit“ — im Frankfurter land“. Auerbachs Irma (die im Roman „Auf der Höhe“
eiläufig andeutet. Auf Goethe geflissentlich mit Lessings Orsina in Parallele gestellt istigen der Rebellen=Literatur. „Torpedos legen, daß die
eren nachhaltiger Einfluß auf und der Heldin von Fontane's Irrungen, Wirrungen" Arche zerschellt“ — dieser Trutzvorsatz Ibsens stimmt
nicht zu Shakespeare's Persönlichkeit. Ein solches Unter¬
sso wenig gewürdigt worden ist, zu verfolgen. Es wäre eine nicht minder lockende und
fangen stimmt gewiß auch mit Schnitzlers Absichten so wenig,
d tiefen Eindruck gemacht, und heikle Aufgabe, zu prüfen, ob und wie weit unsre jüngeren
Sünderin aus den Remoires deutschen Dramatiker an solchen und anderen großen Vorbil= wie mit seinen Kräften. Ein bißchen Revolutionirung
des Menschengeistes“ treibt er gleichwohl in den meisten
ten früh seinen durch eigenel dern des 18 und 19. Jahrhunderts festgehalten oder neuen
seiner Dramen: „Liebelei“ war ein Anklagestück wider den
in empfindsam gestimmt. In Mustern dieser wandlungsfähigen Hetären=und Büßerinnen¬
Kant der Philisterehe, Freiwild ein Anklagestück wider
hters hat sich bei Eröffnung Schaar sich zugewendet haben. Selten, meines Erachtens
die Gleißnerei unsrer Ehrbegriffe und des Duellzwanges,
1 ausgearbeiteter Auszug der allzu selten, gehen unsre jüngsten deutschen Erzähler und
„Das Vermächtniß“ ist ein Anklagestück wider die Schein¬
der den Schluß des V. Buches Dramatiker bei den härteren, herberen realistischen Lehr¬
heiligkeit unsrer bürgerlichen Gesellschaft.
eit“ bilden sollte. In den ein= meistern der Romane in die Schule. Doppelgängerinnen
Ein 26 jähriger Doctor juris verunglückt auf einem
an sein unglücklich ausgegan= von Balzacs Madame Marneffe, Flauberts Madame
Spazierritt. Sterbend heimgebracht, beschwört er die
Frankfurter Gretchen anknüpfen,Bovary, Augiers „Abenteurerin" und Olympia, nicht zu
Seinigen, seine Geliebte und sein uneheliches Söhnchen
schen Romane wohl auserlesenl vergessen Zola's Nana, treffen wir in deutschen Büchern
in ihr Haus zu nehmen — etwa wie Egmont vor dem
solchen Kummers. Die Ge= und Stücken — wir möchten sagen dürfen: auch im deut¬
Gang zum Blutgerüst zu Alba's Bastard sagt: „ich kenne
kieux und der Manon Lescaut'schen Leben — lange nicht so häufig an, wie die roman¬
ein Mädchen; du wirst sie nicht verachten, weil sie mein
ie Hände gefallen und bestärkteltisch verklärten Abkömmlinge von Victor Hugo's Maria
war. Nun ich sie dir empfehle, sterb' ich ruhig. Du bist
Delorme, Mussets Grisetten, Dumas', „Cameliendame“
Weise in seinen hypochondrischen
ein edler Mann. Ein Weib, das den findet, ist geborgen.“
und Maupassants Musotte.
den Schlußworten ein, daß der
Dies wuchtige, in seiner Wortkargheit doppelt wuchtige
Von diesen Pariser Urbildern sind zumal Schnitzlers
e Dichtung konzipirt, die un¬
Anliegen veranlaßte die Weimaraner Freundinnen des
ausgeführt worden, ihm ver¬
1„süße Mädeln“ bewußt oder unbewußt angeregt. Und
Dichters, weitere Ausführungen des Motivs von ihm zu
ß das Werk auf ihn nur stoff=Iso wenig wie die Stoffwahl kann Schnitzlers Technik fran¬
be, fügt aber gleich hinzu, daß zösischen Einfluß verleugnen. Gleich dem jüngeren Du= verlangen. Goethe hätte — wie die Italienische Reise be¬
en habe, sein Verhältniß zu mas geht er als Menschenfreund warmherzig ins Gericht richtet — gern diesen Wunsch erfüllt, und dem „Ver¬
als es zerstört wurde, seinen mit allerhand wirklichen oder vermeintlichen Schäden der mächtniß Egmonts“ einige Modifikation geben mögen;
allein die Oekonomie des Stückes duldete es nicht, daß
gebrechlichen Einrichtung der Welt. Und gleich dem jün¬
bel unheilbar zu machen.
in der Scene mit Ferdinand Klärchens anders als auf
en und literarischen Jugend=geren Dumas legt er als Kasuist sein Beweisthema sich
„subordinirte Weise“ gedacht werden konnte. Da sie den
n reine Höhen reiner mensch= und Anderen spitzfindig zurecht, bevor er als Theater¬
ndung emporgehobenen, ewigen redner stets anregend, nicht immer überzeugend, exempli= gefangenen Helden nicht befreien kann, „scheucht sie des