II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 20

Wien, IX/, Türkenstrasse 17.
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Ausschnitt aus: Leweutel

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Theater=Besprechungen.
Burgtheater. (Das Vermächtnis. — Schau¬
spiel von Arthur Schnitzler).
Wenn die „Stürmer und Dränger“, die Fanfaren¬
Bläser anbrechender Heilstage, die ungestümen Beschleuniger
von Entwicklungen, jenen facheusen Zeitpunkten sich nähern,
wo die geträumten Entwicklungen sich malheurenserweise
in That umsetzen sollen und nicht können, berühren uns
wieder jene „Zurückgebliebenen", „Conservativen“, eigen¬
thümlich sympathisch, welche, in die unlauteren Versuche
von Weltenverbesserung mithineingezerrt, bei günstiger
Gelegenheit sich in ihr altes sicheres Reich überkommener
Vorurtheile und bequemerer Verlogenheiten zurückbegeben,
aus welchen sie in höchst unorganischer Form aufgescheucht
worden sind.
So ein Mitgezerrter inmitten stürmischer und etwas
schönredender Idealisten ist dieser Professor Losatti in
Schnitzler's „Vermächtnis“. Umgeben, gleichsam ein¬
geschlossen von einem Kreise maßloser Idealisten, Neuerer
und Umstürzler mit prachtvollen Phrasen und Gewichtig¬
keiten, nimmt er anfänglich, wie selbst hypnotisiert von
den Fanfaren des Idealismus, die Geliebte seines ver¬
storbenen Sohnes und deren Kind als Vermächtnis des¬
selben liebevoll bei sich auf, ohne Rücksicht auf die Selt= sein
samkeiten des Erlebnisses. Bald aber, unterstützt von Port
Zahl
Herrn Dr. Ferdinand Schmidt, verläfst er das „fremdem vo
Element“ voreiliger Lebensführungen, schüttelt sich quasi¬
wieder trocken, wie ein Pudel von dem unangenehmen## is
Istörenden Elemente „Wasser“, verläfst die „idealen zern.
1Gefilde“ begibt sich ans Trockene „gesunder Lebens¬
Anschauungen“ und entfernt das ziemlich störende ideale
Vermächtnis seines Sohnes, die „Geliebte“, welche durch
die Thatsache allein, „Geliebte“ und nicht „Gattin“ gewesen“
zu sein, eine ganze Reihe empfänglicher Frauenseelen in
diesem ruhigen Bürgerhause in schwärmerische Unruhe und
Extasen versetzt hat.
Dieser Professor Losatti, welcher von dem Dichter
in meisterhafter und zugleich discreter Art gezeichnet ist,
ist quasi die wirkliche gesunde Seele dieses Stückes und
eigentlich dessen wertvolle Hauptgestalt.
Durch Hartmann's Darstellung unbeschreiblich
vollkommen lebendig gemacht, ist dieser Professor der höchst
anständige Typus jener Organisationen, welche nicht in die
„Sphären neuer Reiche“ zu fliegen sich bequemen, bevor
man ihnen nicht eine solidere Basis endgiltig geordneter
Verbesserungen garantiert hat, als die Idealisten von heute
Umringt von ziemlich poetischen, zarten und feinen
Wesen à la Spinneweben=Seelen, welche von Dichters
Gnaden ihre Sentiments und Leidenschaftlichkeiten erhalten,
repräsentiert er für sich allein die merkwürdigen, halb
lächerlichen, halb tragischen Complicationen des thatsäch¬
lichen Lebens und ist die Schöpfung eines wahren und
mit Objectivitätskraft versehenen Dichters, welche, selber
milde lächelnd, seine eigenen Utopien, die zum „Geschäft
seiner Seele“ gehören, mit etwas schiefen Blicken und
Blinzeln zu betrachten in der Lage ist. Dieser Professor
Losatti ist die nothwendige und selbstverständliche Wirkung
etwas voreiliger und sentimentaler Entwicklungen. Seine
Art erzeugt in uns jene Bedenklichkeiten, welche für die
Byron=Seelen so vortheilhaft sind wie der Radschuh an
einem abrollenden Fuhrwerke. Diesen modernen „alten
Typus“ in äußerster Vollkommenheit gezeichnet zu haben,
ist das künstlerische Verdienst des Dichters und macht den
Wert dieses guten noblen Stückes aus. Hier wurde der
Dichter in außerordentlichster Weise durch die Darstellung
Hartmann's unterstützt, welcher aus der sentimentalen
Grazie junger Liebhaber in die nüchterne Charakterisierung
harter Aelterer hinüber—gewachsen ist!
Unternehmen für usschnitte.
Ausschnitt
Nr. 81
„OBSERVER“
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volksstimme, Wien
Ausschnitt aus:
vom (2.35.
Feuilleton.
Wiener Theaterspaziergänge.
Das Burgtheater stand in der Vorwoche im
Zeichen eines Berliners. Kainz gastirte, und seiner
machtvollen Persönlichkeit gelang es, das gesammte
Interesse für sich in Anspruch zu nehmen und — die
Casse des Burgtheaters wieder ein wenig zu füllen.
Wir wissen ja, unser armes Burgtheater kommt aus
dem Deficit nicht heraus, und Schlenther hat
dem cassenfüllenden Kainz gewiß wehmüthig die
Worte Wallenstein's nachgerufen; Max, geh' nicht
von mir! — Doch Max ging und uns blieb nur
das „Vermächtniß“, das sich als ein dreiactiges
Schauspiel des hochbegabten Jung=Wiener Schrift¬
stellers Arthur Schnitzler entpuppte. Es wird in
diesem Stücke viel, gar schrecklich viel gesprochen.
Nach dem beliebten Recepte Schnitzler's gibt es
viel Leichen, viel Katastrophen — und trotzdem rührt
uns die ganze Sache nicht allzusehr. Gerade die An¬
häufung der dramatischen Momente bringen diesmal
Schnitzler um den großen Erfolg, den er sich mit
seiner „Liebelei“ holte, und weise Mäßigung hätte
Für 50 Z
uns Schnitzler viel eher als großen Meister ge¬
100
zeigt, als die so sehr zur Explosion neigende nervöse
200
Stimmung, die über dem Ganzen gebreitet ist. Ich
500
will nur gleich betonen, durchgefallen ist ja das Stück
„ 1000
nicht. Für das Burgtheater war es sogar ein Erfolg.
Im
Abonnemen
Aber für den Dichter des „Anatol“ und der
Abonnenter
„Liebelei“ bewegte sich der heutige Erfolg nicht
in aufsteigender Linie — das „Vermächtniß“ be¬
deutet füt Schnitzler einen Rückschritt. Gespielt
wurde in der althergebrachten Weise des Burg¬
theaters. Man kann da eigentlich nicht viel sagen.
Die alten Herren und — alten Damen sind ja gewiß
große Künstler, auf die wir stolz sein können. Wenn
man aber wenige Tage vorher den Kainz gesehen
hat, dann bemerkt man erst, wie wenig modern sie
sind. Ich will ja nicht sagen, daß man unbedingt
modern sein muß. Aber ein modernes Schauspiel¬
wenigstens soll von modernen Schauspielern ge¬
spielt werden.
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