II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 24

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10. Das Vermaechtni#

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Nr. 78
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vom 6/2¼
Am 30. November gab es im Burgtheater wieder eine
Erstaufführung: -Das Vermächtnisse, Lustspiel in drei Acten
von Arthur Schnitzler. Doctor Losatti hatte ein Ver¬
Thältniss mit Toni Weber. Diesem Verhältniss ist ein Kind
entsprossen. Der Doctor wird sterbend auf die Bühne
gebracht und vermacht seiner Familie sein Kind sammt
dessen Mutter. Das ist schön von dem Herrn, dann stirbt
er, das ist auch schön, aber dass dieser Tod eine halbe
Stunde dauert, dass die gequälten Zuschauer alle Phasen
eines an Gehirnerschütterung zu Grunde Gehenden mit¬
machen müssen, das ist gar nicht schön. Mutter und Kind
werden gut behandelt, aber am Ende des zweiten Actes
stirbt das Kind. Die alten Losatti’s haben nun gar keinen
Grund mehr, die ihnen gänzlich Fremde bei sich zu behalten,
und bieten ihr eine sehr anständige Entschädigung. In ebenso!
edler als unwahrer Regung weist Toni die Entschädigung
zurück und springt ins Wasser. Bei der Kälte! Doctor
Schnitzler hat also an einem Abende drei Personen um¬
gebracht, mehr kann man doch selbst von dem besten
Arzte nicht verlangen. Aus dieser kurzen Skizze des Stoffes:
sieht man schon den Cardinalfehler des Stückes, es ist
unwahr, es ist erlogen. Der Tod des Geliebten hat das
esüsse Wiener Mädele kaum getroffen, den Tod ihres Kindes;
hat Toni hingenommen, aber dass die ihr ganz Fremdeng
sie nicht im Hause behalten wollen und ihr die Mittel
bieten, sich eine anständige Existenz zu gründen, das über- den
Slebt sie nicht, die Toni! Es war dem Verfasser offenbar
#nur um einen wirksamen Actschluss zu thun. Wirksameres
als den Tod gibt es aber nicht, also müssen die Menschen
daran glauben. Es ist noch ein Grlück, dass die Toni ihrem
Hugo nicht Zwillinge geschenkt hat, sonst hätten wirh
noch einen vierten Act erlebt, und es waren doch die drei
schon zu viel. Ein anderer Fehler des Stückes ist der Um¬
stand, dass kein Mensch weiss, was der Verfasser eigent¬
lich will, er selbst vielleicht am Wenigsten. Wollte er
beweisen, dass er sich in der Krankenstube auskennt? Er
ist ja Arzt, wir glauben es ihm also ohne den Beweis in
drei Acten. Oder wollte er feststellen, dass ihm die sfreie
Liebe- und was damit zusammenhängt sympathisch ist?
Er hat ja Liebeleis geschrieben. DieMorale seines
Stückes scheint in den Worten zu liegen, welche die
Schwester des Doctor Losatti spricht: -Was man für das
Glück eines Anderen thut, kann keine Sünde sein.e Das
ist ein schöner Grundsatz, der an Verlogenheit dem an¬
deren: Der Zweck heiligt die Mittele nicht nachsteht. Um
das zu beweisen, darf man kein Schauspiel in drei Todes¬
fällen schreiben. Ein drittes grosses Gebrechen des Stückes
liegt in der vollkommen zerfahrenen Charakterzeichnung.
Der alte Losatti ist so eine Art von Hjalmar Ekdal, aber
zes fehlte dem Doctor Schnitzler die gewaltige Charak-