II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 39

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10. Das Vernaechtnis
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Ausschnitt
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10 5
N. 31
„OBSERVER
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Ausschnitt aus:
ieues Wiener Joufnal¬
vom 72•740
Tagesnenigkeiten.
Wiener Leben.
Eine sehr angesehene und reiche Familie ist in Trauer ver¬
setzt worden. Da ein Selbstmord so ziemlich allgemein als etwas
Diffamirendes betrachtet wird, so versucht man die Sache nach
Thunlichkeit zu verheimlichen und nimmt von den in das düstere
Geheimniß Eingeweihten, deren Zahl sich übrigens von Tag zu Tag ver¬
größert, gerührt die Condolenzen — oder Glückwünsche entgegen. Die
Affaire hat nämlich nicht mit dem Tode geendet. Die unglückliche
junge Witwe, welche die Schußwaffe gegen ihre Stirne gewendet
hat, um ihrem Dasein ein Ende zu machen, hat schlecht getrossen.
Sie rang zwar tagelang mit dem Tode, aber schließlich „ist es
der Kunst der Aerzte gelungen" u. s. w., u. s. w. Sie bleibt
am Leben. Sie ist nur entsetzlich verunstaltet, hat nur ein Auge
verloren, wird nur zeitlebens siech und schmerzbeladen bleiben,
das junge, unselige Weib.
Und wenn sich Jemand um den Beweggrund der schreck¬
lichen That erkundigt, so wird mit der Antwort nicht gezögert.
„Liebe über das Grab hinaus!“ Sie hat ja wirklich erst vor
wenigen Wochen den geliebten, jungen Gatten verloren, der sich
ihren Besitz schwer genug hatte erkämpfen müssen. Wie könnte es
also auch anders sein? Daß außer dem Schmerz über den
Verlust des theuren Todten bei der Verzweiflungsthat auch noch
ein Schmerz mitgespielt haben mag, an dem Lebende ihr gut
Stück activen Antheil besitzen, wird nicht erzählt. Dergleichen
sprengen selbstverständlich nur ebenso neidische, als boshafte###
Feinde der angesehenen Familie aus. Und dennoch beruhen diese bar
boshaften Mittheilungen der Feinde auf Wahrheit, und man!?
flüstert sich schon seit einiger Zeit in der Gesellschaft, in der man sich ## 1as
nicht langweilt, weil es stets dankbaren Klatsch gibt, das öffent= #s den
liche Geheimniß der Vorgänge zu, deren Entwicklungsgeschichte
man an betheiligter Stelle gar so gerne mit einem hübschen
Mäntelchen drapiren möchte. Nicht nur die Liebe über das Grab
* hinaus hat den Nepolyer der jungen Witwe geladen
Wir wollen ein wenig zurückgreifen. Vor ein paar Jahren
erregte es nicht geringes Aufsehen, daß einer unserer einflu߬
reichsten Finanzmänner, der einen erst kürzlich verlassenen Bank¬
directorsposten bekleidete, der die commercielle Vertretung eines
Nachbarstaates innehat, dessen sämmtliche Orden seine Brust zieren,
der einen hohen österreichischen Titel und sonst noch zahlreiche
Annehmlichkeiten des Daseins besitzt, zu denen insbesondere ein
riesiges Vermögen und ein ebensolches Einkommen gehört, seine
Einwilligung dazu ertheilt hatte, daß sein Sohn eine ausgesprochene
Liebesheirat schließe.
Der junge Mann hatte sich nämlich in ein zwar braves
und wunderschönes Mädchen von hoher Bildung verliebt, das
aber nur das in diesen Kreisen Wichtigste nicht besaß: Geld. Und
damit die Geschichte noch romanhafter werde, handelte es sich
um eine Gouvernante. Also die reine „Waise aus Lowood“!
Und zu einem derartigen Ehebündniß hatte der Papa
Millionär und Generalconsul die Zustimmung ertheilt! Man
begann mit einemmal den Mann, dessen Streben man bisher
für nichts weniger als idealistisch und romantisch betrachtete, mit
ganz anderen Augen anzusehen. Der goldene Kern in der rauhen
Schale des kühl berechnenden Geschäftsmannes.
In den Kreisen der wenigen Eingeweihten wurde sein Ver¬
halten allerdings bedeutend weniger sentimental beurtheilt. Man
wußte, daß der Sohn das geliebte Mädchen unter allen Umständen