II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 40


Schale des kühl berechnenden Geschäftsmannes.
In den Kreisen der wenigen Eingeweihten wurde sein Ver¬
halten allerdings bedeutend weniger sentimental beurtheilt. Man
wußte, daß der Sohn das geliebte Mädchen unter allen Umständen
zur Frau genommen hätte, man wußte, daß er sich um den
Widerstand, den ihm die Familie bereitete, absolut nicht bekümmerte
und einfach so handelte, wie er es für recht und ehrenhaft hielt.
Papa bewies sich arso wieder nur als kluger Mann, indem er
Ja und Amen sagte und etwas geschehen ließ, was zu ver¬
hindern seine ganze rücksichtslose Macht nicht ausgereicht hätte.
Die sensationelle Romanhochzeit fand statt. Der junge
Mann, der trotz seiner Jugend — er starb im dreißigsten Lebens¬
jahre — ein namhaftes Industrieunternehmen dirigirte, verzichtete
im Vollbewußtsein seines Eheglückes auf intimeren Verkehr mit
dem väterlichen Hause. Da trat etwas Schreckliches ein; ein
Leiden ergriff ihn, dem er trotz der aufmerksamsten, liebevollsten
Pflege erlac, seine Frau in Mittellosigkeit zurücklassend. Er hatte
nicht an die Sicherstellung ihrer Zukunft gedacht. Er war ja
noch so jung!
Die Frau wurde von der Familie ihres todten Gatten
abhängig. Und da entwickelte sich bald das Ver Ltniß, auf dem
Arthur Schnitzler in seinem jüngsten Schauspiel „Das Vermächtniß“
die dramatische Fabel aufbaut. Sie suchte sich von der demüthigen
Abhängigkeit, als sie ihr unerträglich geworden, mit einem
Revolverschuß zu befreien. Aber ihre Hand hat gezittert,
sie hat schlecht gezielt. „Der Kunst der Aerzte ist es
gelungen" u. s. w., u. s. w.
*
Man lacht in Advocatenkreisen viel über die kleine Ge¬
schichte. Man lacht und beneidet den Collegen, dem sie passirte.
Freilich, solche Clienten findet man nicht täglich.
Man lacht über den Fall, weil er gar zu köstlich ist. Und
die Leser werden ihn, ohne Juristen zu sein, nicht minder
originell finden.
Ein junger Wiener Advocat, der sich nicht über allzuviel
Clienten beklagen kann, erhält den Brief einer gewesenen —
Statistin aus Nizza. Sie legitimirt sich als solche. Nehmen wir
an; daß sie nicht einmal das war. Aber ein Weib von großer
Schönheit dürfte sie sein, nach der beigeschlossenen Photographie
zu schließen. Wozu aber die Photogravhie! Der umfang¬
reiche Brief erklärt Alles.
Sie habe in Wien damals und damals auf einer Opern¬
redoute die Bekanntschaft des Fürsten Soundso gemacht. Sie
soupirte mit ihm, man war guter Laune. Sie kam noch zweimal
mit dem Fürsten zusammen. Vor einigen Wochen habe sie in
Nizza einem Knaben das Leben geschenkt. Seither machte sie eine
schwere Erkrankung durch, befinde sich derzeit in traurigen Ver¬
hältnissen und betraue den Advocaten damit, schleunigst gegen den
Fürsten vorzugehen, respective einen Ausgleich ehestens durch¬
zuführen, damit sie aus ihrer Noth befreit werde.
Das wäre ja unter Umständen ein guter Proceß! Aber der
Advocat wußte, wie faul solche Sachen zu sein pflegen. Und
wenn die Wöchnerin in Nizza auf das Geld wartete, dann konnte
sie noch lange hungern.
Zunächst war nun der übliche Brief an den Fürsten zu
schreiben. Der wird dann natürlich nicht beantwortet, man reicht
—. Der Advocat überlegte. Wie wäre es, wenn
die Klage ein
ich statt des üblichen Briefes selbst ginge? Ich komme vielleicht
Né im Leben mehr dazu, mit einem Fürsten persönlich zu ver¬
kehren. Man wird nicht empfangen? Gut, in der Expensnote
läßt sich so etwas stattlich verzeichren.
Der Advocat wirft sich in seinen Frack, meldet sich beim
Fürsten und wird softit — erste Ueberraschurg — empfangen,
und zwar — zweite Ueberraschung — liebenswürdig empfangen.
„Sie wünschen, mein Herr?“ — Der Advocat zögert.
„Bitte, los!“
„Eine delicate Sache, Durchlaucht“ — „Bitte,
nur immer los!“
Der Advocat trägt nun sein Anliegen vor, mit allen ihm
bekannten Details, und wie er fertig ist und nach der Photo¬
graphie langen will, sagt der Fürst, plötzlich nach der Uhr
blickend: „Pardon, Herr Doctor, ich bin etwas pressirt; halten
wir uns nicht lange auf. Ich bezahle 300 fl. Krankenkosten und
100 fl. Monatsbeitrag. Mein Secretär wird das morgen mit
Ihnen erledigen.“ — „Und wünschen Durchlaucht nicht das
Bild der Dame zu sehen?“ — „Der Dame? Hm
Nein! Wozu? Ich glaub' es ihr. Und wenn ich es nicht
glaube, klagen Sie. Die Dame schwört. ... Warum soll sie
nicht schwören? Nicht wahr? Also mein Secretär ist morgen
bei Ihnen. Guten Tag...“
Und die Sache wurde am nächsten Tage prompt erledigt,
ohne daß die joviale Durchlaucht auch nur neugierig war, die
Photographie anzusehen. —
Kolportagespekulation
Burgtheater. 2270
0
lassung Bismarck's u
(Ein ernstes Wort zur Erstaufführung von „Herostrat“.
seiner preisgekrönten
Tragödie in vier Aufzügen von Ludwig Fulda.)
nicht der interessanten
Unser deutscher Dichterwald wird bald so aussehen,
dennoch im Burgtheaf
wie der Karst: nackt und kahl, zerrissen und zerklüftet,
aus dem Zufall seine
einem sturmgepeitschten Meere gleich, das plötzlich er¬
seinem literarischen
starrte. Alle Versuche, durch Aufforstung wieder gut zu
Redaktion der „Vossi
machen, was da durch verbrecherische Abholzung an
sogenannten „ersten
geistigen Gütern der Nation verschachert und verschlendert
hatte. Aber damit das
worden ist, werden daun eben so vergebliche sein, wie
Direktion durch dies
jene auf dem Karst, wo die von Menschenhand mühselig
Deutung erfahre, ha
eingebetteten Kartoffel= und Getreideoasen immer wieder
Ludwig Fulda's
vom Sturme hinweggefegt werden. Wenn wir von der Wirk¬
wieder eine Woche
sargkeit der noch immer sogenannten „ersten deutschen Bühne“
finden wir die Erst
noch auf die poetische Hervorbringung der deutschen Nation
Sigmund Schlesi
schließen dürften, dann müßte uns geradezu ein eisiger
dann Georg Hirsch
Entsetzensschauer erfassen über die frevlerische Vernach¬
durchgefallenen „Agne
lässigung und Verluderung unseres dramatischen Besitz¬
nach Hirschfeld
standes. Es ist ein Jammer, passiv zusehen zu müssen,
jahre! — Arthur S
wie man am Burgtheater alles Große und Eigenartige
aktern. Ziehen wir
verdorren und abbröckeln läßt und dafür den Ramsch
Repertoire der noch
tantiémen= und ruhmsüchtiger Spekulanten eintauscht.
schen Bühne“, so fi
Seitdem Dr. Paul Schlenther Direktor des Burg¬
Komödie, die nur
theaters ist, hat auf der noch immer sogenannten „ersten
konnte, als Enderg#
deutschen Bühne“ überhaupt nur mehr das Juden¬
Autoren, die von
thum in der Literatur das Wort.
reicherung des dram
Namen beweisen.
theaters herangezogen
Hermann Faber (recte: Goldschmidt)
Zayl sieben (
hatte das Spieljahr eröffnet; ihm folgte Ludwig
Der ewige Jude!) un
Fulda als Uebersetzer des „Cyrano von Bergerac“
die man denn doch n
Dann fiel Meyer=Förster, ausnahmsweise ein
scheidene Zahl: ein
Deutscher, mit einem unmöglich=naturalistischen Schwank
Zahlen beweisen
durch, und Arthur Schnitzler hatte es nach dieser
Es fällt mir
Probe deutscher Durchfallsgründlichkeit leicht, mit seinem
Zahlen antisemitische
tend. aziös=anempfundenen Halbwelts=, Vermächtniß“ einen
Scheinerfolg zu erzielen. Seinen Spuren folgten er¬
liegend, berechtigt un
röthend Felix Philippi mit einer schlauen halb erscheinen mag,