II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 45

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10. Das Vermaechtnis
die Witwe nach Bettis verstorbenem Bruder, und derem Tochter! „beinahe wie einen Fingerzeig Gottes“. Die Frau wird über¬
redet, und Franzi ist abwesend, um diese Abmachungen verhindern
Agnes zu Besuche sind. Agnes ist die künftige Braut des jungen
zu können. Da steht Emma (Fräulein Bleibtreu), die dem Hugo
Mannes, es ist zwar noch nicht darüber gesprochen worden,
zeitlebens eine treue Freundin gewesen ist, für sein „Vermächtnis“
Hugo hat sich dem jungen Mädchen nie sonderlich genähert, aber
ein, sie will Toni zu sich nehmen, aber ihre eigene Tochter, die
sie liebt ihn, und wenn die Freundinnen, deren Bilder im Paravent
Agnes (Fräulein Medelsky), die stumme Braut des Verstorbenen,
stecken, alle „gewesene“ sind, ist die Familie darüber einig, dass
vermag es nicht, mit der Geliebten Hugos in einem Hause zu
sich die beiden heiraten werden. Hugo ist im Prater beim Reiten
wohnen. Dr. Schmied übernimmt die Henkersendung, der Toni
gestürzt, noch weiß mon nicht, was ihm eigentlich geschehen ist.
die Verhälinisse „aufzuklären“, sie weist alle Unterstützungen
Der Professor, ein selbstgefälliger, eitler, fahriger Mensch, kommt
zurück und geht sofort aus dem Hause. Später kommt Franctsca
aus der Clubsitzung nach Hause, er legt dem Geschehenen keine
vom Ausgange zurück, sie ist tief empört, als sie das Geschehene
Wichtigkeit bei, macht bloß einen Wirbel und redet die längste
hört, für sie ist es ein Bruch des „Vermächtnisses“, man hat
Zeit hin, warum man keinen Professor geholt hat. Hugo allein
den Todten beleidigt. Schlimmes ahnend, stürzt sie in Tonis!
weiß, dass es zu Ende mit ihm geht. Er macht das Geständnis,
Zimmer, es ist leer, sie findet einen Zettel: „Nicht nach mir
eine Geliebte und ein Kind zu haben. Man soll sie holen, er will
suchen, es ist zu spät!“ Und nun kommt die große, mitreißende
sie noch einmal sehen, und als „Vermächtnis“ nimmt er seinen
Schlufsscene.
Eltern das Versprechen ab, Toni (Frau Schrau) und den kleinen
Francisca: Warum denn? Ja, warum? Haben wir denn
Franzl zu sich ins Haus zu nehmen. Einige Minmten nach Tonis
alle vergessen, was sie ihm war? Alles bewahren wir auf, was uns
Kommen verliert Hugo die Besinnung und stirbt. Toni zieht nun
an ihn erinnert, alles, was er geliebt hat — das Nichtigste! Da
wirklich mit ihrem Kleinen zu Losati, mit allem Bemühen, ihr
sind die Bilder — die Bücher — man hat an diese Dinge nicht ge¬
gegenüber recht freundlich zu sein, bleibt ihnen „die Geliebte ihres
rührt — mit Andacht treien wir alle in dieses Zimmer ein — alles,
Sohnes“ doch fremd, bloß Francisca (Frau Hohenfels) schließt
was uns an ihn erinnert, ist uns heilig, und gerade das Wesen, das
sich eng und herzlich an die Verlassene an. Aber es geht ein
ihm durch Jahre mehr war als wir alls, jagen wir hinaus? Die,
die wir am sorgsamsten hätten hüten müssen, das einzige Lebendige,
Mensch im Hause Losani um, der Tom hafst: Dr. Ferdinand
was uns von ihm übrig geblieben ist, nachdem das Kind gestorben. —
Schmied (Herr Devrient). Er war der Erzieher Hugos gewesen,
die jagen wir hinaus? — Dr. Schmied: Francisca, ich muss doch
ein Mensch, der durch eigene Kraft, Fleiß und Energie etwas
bemerken, dass es nicht angeht, als Erinnerung an seinen verstorbenen.
geworden ist; in ihm ist nun der kalte Hafs gegen die Freude,
Francisca: (Fast.
Bruder dessen Maitresse aufzubewahren.
das lichte Glück, die Hugo erfüllt haben und die aus Tonis
aufschreiend.) Ferdinand, gehen Se, ich bitte Sie, gehen Sie. Ich¬
Wesen leuchten. Er ist der Bräutigam von Freucisca. Ueber
fange an, Sie zu verstehen. Gehen Sie — es ist mir entsetzlich, Sie
deren Umgang mit Toni er seinem nüchternen gemüthlosen Wesen
zu sehen. Sie haben sie gehafst“. .. Dr. Schmied: Ja. wie die
nach sehr unzufrieben ist. Er wühlt, dass man die „Person“
Sünde! Francisca: Nein, sie war nicht die Sünde — es
wahr — so schaut die Sünde nicht aus. Was einen guten Menschen.
aus dem Hause bringe. „Ja, das nenn' ich eine andere Welt.
so glücklich macht, kann nicht die Sünde sein . .. — Toni kehrt
wo die Gesetze nicht gelten, auf denen die ganze Ordnung unseres
nicht mehr zurück.
bürgerlichen Lebens beruht — wo man sich einfach nimmt, was
Drei Acte, drei Todte! Das jüngste Werk Schnitzlers
einem gefällt — ohne Scrupel, ohne Sturm! Und ich kann's
scheint mir das größte zu sein, es lässt für mein Empfinden
nicht ertragen, dass ein Wesen jener Welt an der Seite Franzis
die „Liebelei“ weit hinter sich. Welche Knavpheit! Und die gro߬
bleibt.“ Da erkrankt der kleine Franzl, und wenn im dritten
artige Schärfe der Charakteristik! Gespielt wurde ganz wunder¬
Acte der Vorhang aufgeht, ist bei Losatti wieder tiefe Trauer.
voll. Besonders Herr Hartmann als Professor Losatti schuf
Das Kind ist gestorben und mit ihm das einzige Bindeglied
eine Meisterleistung. Groß in ihrer Leidenschaft und finlichen
Tonis mit der Familie gerissen. Dr. Schmied dringt nun durch,
Entrüstung war auch Frau Hohenfels.
die „Person“ mit Geld abzufertigen. Der glattzüngige Professor,
der kurz vorher Toni seine „liebe Tochter“ nannte, sich berauschte
„ (Schluss folgt.)
an den eigenen Lobesworten seines Edelmuthes, findet es nun
dutescSt