II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 51

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10. Das Vernaechtnis
Bühne und Welt.
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Dag auch die drei Einakter Schnitzlers im abgelaufenen Spieljahre (und zwar
neunmal) über die Bretter gingen, ist wohl selbstverständlich. Die Kakadu=Groteske
bot im engsten Nahmen Gelegenheit zu kaleidoskopischen Bildern, denen manchmal
auch die scenische Leidenschaft nicht fehlte, was um so erfreulicher wurde, als die
Regie an diesen Abenden durchaus ihre Schuldigkeit that. Sonnenthals Heuri
interessierte, griff aber nicht tiefer. Diel innigere Töne schlug er in der „Gefährtin“.
an und wußte durch den Einsatz seiner ganzen Menschlichkeit das theoretisch Analv¬
sierende dieser stimmungsvollen Skizze aus dem Mathematischen ins Lebendige zu
heben. In „Paracelsus“, der in diesem Triangulum wohl der leuchtendste Punkt
ist, schuf Emmerich Robert seine letzte Bühnenfigur. So trefflich und überzeugend
sie auch war — sie hätte trotz alledem um vieles dämonischer, mrstischer paracel¬
sischer werden können, hätten ihn Text und Stimmung des kleinen Dramas nicht
behindert. Die Inspiration zu diesem Werke hat der Dichter wohl aus einem Haus¬
Sachs=Abe##e geschöpft. Und wer sich in den lateinischen Schriften des Theophrastus
Paracelsus Aurcolus Philippus ex familia Bombastorum ab Hohenheim (1403—1541) ein
wenig umgethan, muß finden, daß diesem sonderbaren Kopf, der als Dorläufer
Mesmers und namentlich durch seine esoterische Weltanschauung einer der Haupt¬
säulen des modernen Oecultismus ist, nur mit dem Hammer des Nürnberger Meisters
oder mit der modernsten Nervensonde beizukommen ist. Eine Kompromißtechnik, wie
sie Schnitzler gewählt, kann unmöglich zu einem vollen Wurf, im besten Falle nur zu
so guten Worten führen, wie die folgenden:
Wer weiß, wie viele Fenster in der Stadt
Allnächtlich offenstehn für Einen, der — nicht kommt!
Aber auch Paracelsus hat einmal ein gutes Wort gesprochen, das die Occul¬
tisten und Theosophen heute noch als Halladium hüten. Und dieses lautet:
Non sit alterius, qui suns esse potest!
Der Rückblick auf sämtliche Burgtheater=Novitäten ist abgeschlossen, wenn
nun noch auf Fuldas „Herostrat“ zurückgekommen wird, der nach viermaliger Auf¬
führung abgesetzt wurde. Das tempelschänderische, quasimodo gräcisierende Trauer¬
spiel, das den „Widerspruch zwischen Wollen und Können“ darstellen will, aber nur
ein Wollen darstellt, wäre mit Schweigen zu würdigen, wenn nicht die Titelfigur des
Stückes dem nun entschlafenen Robert den letzten großen Triumph bereitet hätte.
Das Opernmäßige, Domphafte der findig gestellten Stimmungen kam ihm dabei zu
statten. Das Hohle, Pomadöse, Seifige der Plaidopers und Arien mußte ihm den
Flug erschweren. „Und dennoch wuchs er, die Rolle wie ein Leintuch von sich
schleudernd, gigantisch in die Wolken, um dreifach kläglich zusammenzubrechen, und
suggerierte uns durch die Macht seiner intuitiven Persönlichkeit all das, was Herr
Fulda suggerieren wollte. Nie hat ein Künstler einem Litteraten so drastisch=göttlich
den „Widerspruch zwischen Wollen und Können“ bewiesen! Der Autor möge es dem
Toten verzeihen...
Ach, daß wir ihn verlieren, in diesem Jahre perlieren mußten! Wie eine
Statue aus Marmor und Ebenholz stand er vor unsern Blicken, wie eine Königs¬
statue, die sich im Feuer der inneren, langsam erglühenden Leidenschaft mählich be¬
lebte, dann aber mit königlichen Schritten und königlichen Bewegungen über die
Bühne ging, die seine Rostra schien, und schreckverzerrt, mit einer Stimme, die wie das
Schicksal war, die gellsten Anklagen wider die Menschheit erhob. Bleich, düster, verstört,
Verachtung stets auf den Lippen und dennoch die Güte des Adelsmenschen in den Augen;
von Unmut angekränkelt, schwerblütig bis in die letzte Faser seines Wesens, brronisch
zweifelnd stets oder schwarz und hager, wie Dante, inmitten flammender Feuer und
glutäugiger Basiliske am Strande eines tiefen, blinden Wassers wandelnd; ewig be¬
klemmt, finster, umflort, von dunkeln Stimmen getrieben und voll des feinsten Ge¬
fühls für all die Köstlichkeiten der Melancholie, die ihm Ahrthmus, Seele, Religion,