II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 50

box 16/2
10. Das Vermaechtnis
97
Bühne und Welt.
bilde“ (weiland Glanzrolle der Wolter) mit Recht die stärksten Hoffnungen erweckt
hat, enttäuschte diesmal bitterlich und fuhr verbittert von dannen, das stolze Dichter¬
wort auf den Lippen, daß die Wiener insgesamt „noch nicht reif“ seien für seine
Schöpfung. Der „Scheidungsschmaus“ wurde nach viermaliger, der „Dielgeprüfte“.
nach dreimaliger Aufführung abgesetzt. Das erstere Schicksal traf auch Ludwig
Fuldas „Herostrat“, das letztere Ernst Rosmers Komödie „Deter Uron“.
Ueber die Darzellung des „Herostrat“ wird noch im Folgenden zu sprechen sein.
„Peter Uron“, auf reichsdeutschen Bühnen bald als „Tedeum“, bald als „Zu¬
kunftsmusik“ gegeben, scheint ein neues dramatisches Geure inaugurieren zu wollen,
das unter der Flagge „Gemütskomödie“ segeln möchte; aber wie sollte man dort eine
innerli“ begründete Neuerung oder auch nur Wiederbelebung erwarten, wo nach
recht emeringlichen Ansätzen, die ein „verstruweltes“ Musikgenie dem kläglichsten
Bürgerelend entgegenstellen und so auf tragikomische Reibungen vorbereiten, am
Ende doch nur die verbrauchtesten Lustspielmittelchen (Onkel aus Amerika, Rechts¬
anwalt mit großer Klientel als Heiratskandidat — beide ex machiga) aus all den
Gemütswirrnissen auf die Heerstraße führen? Die Sache hatte ein Gutes: sie bot
Frau Schmittlein, die wir dem Deutschen Theater verdenten, nach unfreiwilliger
Muße endlich einmal Gelegenheit, ihre gut bürgerliche, derb gemütliche Komik, die
aus dem Herzen quillt, von ihrer dicksten Butterseite zu zeigen. Desgleichen wußte
Frau Kallina ein durchaus unsützes Wiener Mädel (eine Art Schmieren=Actrice oder
Mitglied einer Damenkapelle) mit glücklichster Lanne auf zwei stramme Beine zu stellen.
Unmerklich fast ist Arthur Schnitzlers „Vermächtnis“, ein dreiaktiges
Schauspiel, über die Bretter gegangen. Obzwar es elfmal in durchaus ir Ticher
und einheitlicher Darstellung gegeben wurde, kennen es fast die Wenigsten.: das
ist nicht verwunderlich! Es hat einen merkwürdig leisen Tritt, den Critt eines Dichters,
und wer nicht mit ganzer Seele dem Atem dieser Vorgänge lauscht, die durchwegs
gedämpft an unser Ohr klingen, hat sich unmerklich um das Beste gebracht. Man
hat in das Drama, wie das schon so bei Dichterwerken die Regel ist, Ohrasen
hineingelegt, die nicht herauszunehmen waren. Man hat es als Tendenzstück auf¬
gefaßt ein mißlich Ding, das Schnitzlern nun schon des öfteren widerfährt —,
von unklaren Doraussetzungen, Problemen, Zumutungen, Spiegelfechtereien u. s. w.
gesprochen. Als ob durch derlei Suppositionen die Kühnheit eines Kunstwerkes
unterwaschen werden könnte, das einfach nur die Schicksale menschlicher Seelen, die
wider einander erwachen, ganz ohne Absicht geben will und weder die freie Liebe
noch irgend eine andere Freiheit predigen möchte, wohl aber aus einem herrlichen
Ekel vor den Unduldsamkeiten, Begrenztheiten, Engherzigkeiten und Lügen jjener
Bona-üide-iguren geboren ist, die sich gegenseitig aus Liebe, Sorge, Rücksicht und
Thunlichkeit inmitten der vier Familienwände zu grunde richten. Eine so unver¬
gleichliche Mädchenfigur, wie sie Franziska ist — von Frau Hohenfels mit einer
stahlharten, biegsamen Anmut gespielt — hat die gesamte deutsche Dramenlitteratur
der Modernen nicht aufzuweisen! Wie kümmerlich nimmt sich daneben Rautendeleins
Lavendelseele aus! Man muß fast schon an Kleists Käthchen oder Goethes Klärchen
denken, um ihr eine würdige Schwester an die Seite zu stellen. Im übrigen weist
das ganze Drama eine tief verinnerlichte, gedrungene, knappe Technik auf, die
Respekt herausfordert, und bringt neben vielen andern, äußerst plastisch gestellten
Menschen in der Figur des Professors Losatti — die wohl die trefflichst gespielte Rolle
Hartmanns ist — eine Seelencharge von verblüffender Greifbarlichkeit und köst¬
lichster Wahrheit. So mag mir die Meinung erlaubt sein, daß Arthur Schnitzler in
diesem Drama sein bisher Reifstes gegeben — und nicht ohne Genngthuung gestatte
ich mir die Meldung, daß Georg Brandes vor einigen Wochen erst in einem Privat¬
gespräch zu Kopenhagen, wo er krank darniederliegt, das „Vermächtnis“ für das
beste und tiefste Werk des Dichters erklärt hat.