II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 60


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10. Das Vermaechtnis
kommende Vater gehen auf den Wunsch des Sohnes ein,
kündigt. Frau Losatti selbst ist gut, abe
Emma Winter, ihre verwitwete Schwäg
die Mutter von Herzen, der Vater scheinbar bereitwillig,
aber eigentlich nur ungern. Der alte Losatti, Professor der
denken ihres verstorbenen Vetters, des
Beichtmutter sie auch in seinem Verhält
National=Oekonomie und Abgeordneter, ist eine unliebens¬
mit Zärtlichkeit hängt. Als Frau Em
würdige Natur, nach Bedarf voll edler Redensarten, aber
Losattis damit umgehen, die arme To#
ohne Gesinnung und Charakter. Er ist im besten Falle
fortzuschicken, erklärt sie, bereit zu
ein „gerechter Kammmacher“, wie er bei Gottfried Keller
selbst auf die Gefahr hin, mit ihren
im Buche steht. Gleichfalls Einer von seinem Schlage, nur
Feuilleton.,
zu brechen, in ihr eigenes Haus aufzun
härter gehämmert, ist der Arzt Dr. Ferdinand Schmidt, der
findet sie an ihrer eigenen Tochter die
Bräutigam von Losatti's Tochter, Francisca. Die Anwesen¬
Neu hee.
Burgtheater.
ihres Planes, den sie nun aufzugeben
heit der Toni Weber im Hause Losatti ist Beiden ein
(„Das Bermächtniß“, Schaupiel in drei Aufzügen von Arthur Schnitzler.)
Tochter hat nämlich ihren Vetter Hugo
Dorn im Auge, während die weiblichen Mitglieder der Fa¬
seinem Verhältnisse zu Toni zu wissen,
Der Junggeselle unter den Dichtern ist Arthur
milie, zumal Francisca und die verwitwete Schwägerin der
und ihn in ihren Mädchenträumen als
Hausfrau, Emma Winter, an Toni zärtlich hängen. Sein
Schnitzler, und die Probleme, die er sich zu stellen pflegt,
sehen. Sie trägt die Liebe für den
sind wesentlich ledige Probleme. Zwar in jener pikanten
Enkel freilich, der Franzel, wenn auch schon nicht legitim,
Kind über, und ein Strahl dieser Liebe ##
Seenenreihe, die er unter dem Namen Anatol zusammen¬
ist dem sonst so schnöden Professor ans Herz gewachsen.
faßt, ist von eigentlichen Problemen noch wenig zu ver¬
des Kindes; aber nach dem Tode
„Er ist mein Blut,“ sagt er, nicht bedenkend, daß er
Mutter ein unerträglicher Anblick.
spüren; dazu sind sie zu absichtslos, zu naiv, möchte man
auch Toni's Blut ist. Ja, er hat mit Franzel große Dinge
in der Familie Losatti. Toni Weber
sagen, wenn die selbstverständliche Verderbniß, worin diese
vor; der Enkel soll einst wirklich werden, was der eigene
ihrer Lage ein, und im Gefühl ihrer
Scenen leben und schweben, als naiv bezeichnet werden
Sohn hätte werden solle. Aber der Kleine stirbt, und damit
in den Tod.
ist auch das Verhältniß zu Toni verschoben. Das natürliche
könnte. In dem Gespräche „Anatol's Hochzeitsmorgen“ wird
Daß in diesem Schauspiel ein Pra
von dieser frivolen Welt ein wüster Abschied genommen.
Band, das Toni mit der Familie Losatti verknüpft, ist ent¬
Sobald aber Schnitzler den Theaterboden betritt, tritt auch
senn nicht gelöst, dessen Lösung aber an
zweigeschnitten, Toni lebt in der Familie wie ein immer¬
das Problem mit ihm herein. Es ist das Problem der ledigen
geht aus der Absichtlichkeit, mit der d
währender Vorwurf. Man zeigt mie dem Finger auf sie, sie
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Liebe, das er in den beiden Stücken, die das Burgtheater
genug hervor. Sterben und Ver
ist das Stadtgespräch, um ihretwillen werden die Losattis
nicht den gewöhnlichen Sinn. Die drei
von ihm gebracht, in verschiedener Weise angefaßt und das
von der Geseilschaft gemieden. In der Familie selbst bilden
Schauspiel zu Grunde gehen, sterben n
einemal einem tragischen Abschluß, das anderemal einem
sich Parteiungen. Professor Losatti ist für eine sofortige Ent¬
Todes, sie sterben an dem Stück, an del
fernung des unbequemen Gastes und beweist, wie er meint,
traurigen Ende zugeführt hat. Das eine Stück ist „Liebelei“
Einem Gedanken zuliebe stürzt ein Reit
das andere „Das Vermächtniß“. An Klarheit der künstleri¬
seinen herzlichen Antheil an Toni dadurch, daß er sie
ein Kind an den Fraisen, geht ein M
mit Geld abfinden will. Er wird von dem Bräutigam
schen Absicht, an poetischem Werthe steht das „Vermächtniß“
Und dieser Gedanke, dieses Problem,
unter der „Liebelei“, wenn es auch wieder seine eigenen
seiner Tochter, dem Arzt Dr. Schmidt, der aus einer
oder weniger eingestanden: die freie L##
Vorzüge aufzuweisen hat.
harten Jugend ein dürres Herz und eine tiefe Ver¬
ist, wie heute die Dinge stehen und
Wir treten mit dem „Vermächtniß“ in recht unerquick¬
ehrung für alles Conventionelle heraufgebracht, in seinem
werden, eine verpönte Sache, die nur
Vorhaben nachdrücklich bestärkt. Allein gerade seine Braut
liche Verhältnisse hinein. Der Schauplatz ist Wien. Hugo
unumgänglich, aber stets unter der v#
Losatti ist auf einem Spazierritt im Prater verunglückt und
tritt ihm aufs entschiedenste entgegen. Der Bräutigam meint,
des Betreffenden stehen wird. Nur
wird als Sterbender nach Hause gebracht. Der an seinem
es sei im höchsten Grade unschicklich für sie, mit dieser Toni
in Schnitzler's Schauspiel ein Anlaß
Sterbebett weilenden Mutter gesteht er, daß er ein Kind
so intim zu verkehren, sich mit ihr öffentlich zu zeigen. Das
habe. Er bittet sie inständigst, seine Geliebte, Toni Weber,
gegeben ist. Hugo Losatti, der Geliebt
gute Mädchen ist empört über die Haltung ihres Bräuti¬
in Familienverhältnissen, die ein außere
und ihr vierjähriges Söhnchen Franzel nach seinem Tode gams und läßt sich von der Begeisterung für die Geliebte
in ihr Haus aufzunehmen. Die Mutter und der hinzu= ihres Bruders so weit hinreißen, daß sie ihm die Liebe seinem Schatz nicht eigentlich zu fordern