II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 65

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(„Das Vermächtniß“, Schauspiel in drei Aufzügen von Arthur Schpigler#
Diesmal ist es nicht Liebelei, sendern Liebe. ###weederm
ist das „süße Mädel“ das Opfer. Es muß das Opfer sein, denn es
ist von unserer Kultur (lies: Moral), von unserer Gesellschaft (lies:
Familie) nicht offiziell anerkannt. Wie hieß sie nur in „Liebelei“
Im „Vermächtniß“ heißt sie Toni Weber. Aber nur der Name hat
sich geändert, das Herz ist das nämliche geblieben. Es ist das Herz
an sich, ohne Bezug auf die große, mechanisch fortarbeitende Verklausu¬
lirungsanstalt, genannt Gesellschaft. Das Herz in seiner Unschuld,
die der Paragraph Schuld qualifizirt. Die Natur in ihrer
Naivetät, die sich für sehlbar hält, so lange sie der eigenen Stimme
ehrlich folgt, von der herrschenden Herkömmlichkeit jedoch zum Tode
verurtheilt wird. Die ewige Tragik. Eine Ordnung wird ja immer
sein müssen, und immer wird sie nur eine äußerliche sein können, weil
sie für Viele passen soll. Gerade die intimsten Eigenrechte der Einzelnen
werden sich also stets nur zwischen den Zeilen des Systems dahin¬
fristen, mehr oder weniger uneingestanden. In dem Augenblicke, wo
sie sich offenbaren wollen, werden sie scheitern. Das System wird in
hundert Jahren anders heißen, das Scheitern wird das nämliche sein.
Die Toni Weber einer fernen Zukunft wird vielleicht dürfen, was
die heutige nicht darf; dafür wird sie etwas Anderes nicht dürfen
und an diesem Anderen zugrunde gehen. Sie ist einmal geboren, Un¬
recht zu behalten, und wenn sie noch so sehr Recht hatte. Das ist
ihre Tragik, ihre Schönheit. Aber auch ihr Verdienst um die Mensch¬
heit. Denn die Menschheit hat wieder einmal erröthen müssen, und
das ist ihr gesund. Toni Weber ist also nicht umsonst gestorben, wie
die Millionen, deren Leben sich innerhalb der Paragraphen abspielt.
Die traurige Geschichte, wie sie dasteht, ist so bald erzählt. Hugo
Losatti wird von einem Spazierritt im Prater sterbeud nach Hause
gebracht. Mit dem letzten Athem beschwört er die Seinen, die Toni
Weber und den kleinen Franzl in den Schooß der Familie aufzu¬
nehmen. Die Toni ist zwar nur seine Geliebte, aber er hätte sie
ohnehin bald geheiratet. Der Franzl aber ist sein Fleisch und Blut.
Ein überaus peinliches Vermächtniß. Der Vater ist Professor und Ab¬
geordneter, die Mutter eine brave Bürgersfrau, die zwanzigjährige
Tochter Franziska soll sich eben mit dem Dr. Ferdinand Schmidt ver¬
loben. Ein dreizehnjähriger Lulu ist auch da. Und eine verwitwete
Tante Emma, deren siebzehnjährige Tochter Agnes Hugo zugedacht
war. Das sind alles so regelrechte Leute, die ganzen Bedingungen
ihrer Existenz schließen alles Unregelmäßige aus. Welche Zumuthung
von so einem Sterbenden! Aber die Frauen haben Hugo so gern
gehabt. Und dann sind sie Frauen, auch die Mädchen. Auf dem Grunde
dieser Franeuherzen muß sich so manchesmal so Manches geregt haben.
Fährt es nicht der kleinen Agnes in einem reizenden Planderstündchen
mit Franziska in aller Unschuld heraus: „Wir haben Alle unsere
dunklen Punkte in unserer Vergangenheit. Wir auch, es geht nur
anders aus. Ich bin gar nicht stolz, daß ich brav bin.“ Sie ist die
Tochter einer etwas überspannten Mutter, die ihr später sagen wird:
„Weißt Du denn, was aus Dir geworden wäre, wenn Du mich nicht
gehabt hättest?“ Frau Emma hat nämlich einen geliebten Gatten
früh verloren und weiß Liebe zu schätzen. Mama Losatti hingegen
hat zu ihrem Mann, dem Dutzendmenschen, „keine wirklichen Beziehungen“
von der Jugend aber hat sie nur den Eindruck einer „schrecklichen Ver¬
wirrung" übrig behalten. In ihnen Allen findet der Vazillus einen
Nährboden. Und Franziska, die kalt Verlobte des kalten Dr. Schmidt?
Die ist ohnehin ein ungewöhnliches Mädchen, ein Charakter. So
nehmen sie richtig Toni und Franzl ins Haus.
Dieser erste Aufzug hat ergreifend gewirkt, namentlich durch die
lange Sterbeszene. Schnitzler ist Arzt und hat viel Sterben erlebt.
Man könnte ihn den Dichter des Sterbens nennen, schon wegen seiner
bekannten Meisternovelle. Im zweiten Aufzug ist „Bubi“ die Haupt¬
person. Die Damen herzen ihn, Luln „erzieht“ ihn, der Herr Pro¬
fessor macht ihn nervös und benützt ihn nebenbei als Stoff für seine
liberalen Phrasen und großartigen Posen. Auf Bubi gestützt spielt
er sich als „Vorkämpfer aller freisinnigen Ideen“ auf, schnappt aber
sofort, zusammen, als ein Bekannter ihm etwas von inem „Faustschlag
ins Gesicht der Gesellschaft“ sagt. Er ist natürlich auch Pantoffel¬
held- und nimmt nach einigem Baumen stets die Meinung seiner Frau
an, nicht ohne für sein Theil sofort ein triviales Argument dafür zu
finden. Der Dichter hat diesen Vertreter der gesellschaftlichen Heuchelei
ganz vortrefflich gezeichnet. Sein Empfinden geht in lauter fertigen
Phrasen und Formeln auf so daß er gewiß höchst „lorrekt“ sein muß,
aber sobald er über die Schablone hinausdenkt, fällt er ins Gemeine.
Ihm ist es z. B. selbstverständlich, daß die Freundschaft der Witwe
Emma für den Verstorbenen ein richtiges „Verhältniß“ war, trotzdem
aber hat er ihn mit ihrer Tochter verheiraten wollen. Diese Un¬
geheuerlichkeit findet er anständig, weil der herkömmliche Schein
gewahrt blieb. Das ehrliche Liebesverhältniß Hugo's aber und seine
Vaterschaft sind ihm ein Skandal, zu bessen Vertuschung er höchstens
beitragen möchte. Der ganze zweite und dritte Akt sind solcher
Gegenüberstellung von echter und falscher Anständigkeit gewidmet. Das
wimmelk von kleinen seinen Beobachtungen und schlagenden Worten.
In der Methode erinnert es an „Klein Cyolf“ wo auch die späteren
Akte blos den ersten zu analysiren und zu kritisiren haben. Die Vor¬
urtheilsfreie des Aktes ist Frau Emma. Wie menschlich tief ist ihr
Wort: „Verzeihen? Was hat überhaupt ein Mensch dem anderen zu
verzeihen? Vermessenheit ist das. Strafen dürfen wir, und rächen
meincthalben. Damit bleiben wir doch unter uns sozusagen. Aber
zum Verzeihen ist doch keiner gut geung.“
Allein am Ende des zweiten Aufzugs stirbt Bubi, in etwas
Maeterlinck'scher Weise. Und damit ändert sich die ganze Sachlage.
Toni merkt gar bald, daß das Kind doch das einzige Band war,
das diese Leute mit ihr verknüpft hat. Nun ist das Band zerrissen
und die Fluth der herrschenden Minung trägt diese Seelen von ihr
weg, immer weiter. Der Professor sieht in der Sache immer mehr eine
bloße Geldfrage. Dr. Schmidt sagt in einem gewissen Augenblick: „Es
gibt doch Grenzen, gnädige Frau“, und er hat nicht einmal Unrecht.
Namentlich weil Frau Emma, der er das sagt, in ihrer Vorurtheils¬
losigkeit gar zu weit geht. Sie will Toni zu sich nehmen und das
Haus ihrer Verwandten nie mehr betreten! Vielleicht thäte sic es
wirklich, aber ihre Tochter lehnt sich dagegen auf. Es ist wunderbar
fein, daß Agnes seit Franzl's Tode Toni nicht mehr verträgt. „Ich
kann nicht. Mich schaudert vor ihr ... Ich finde nicht mehr hin zu
ihr, sie ist nicht mehr, die sie war!“ Das Kind war die Brücke zwischen
ihnen; das Kind ist fort und ein Abgrund hat sich geöffnet, zwischen
Rein und Unrein. Man siebe die Begriffe durch, wie man will, sie
liegen einmal im Blute, wie andere Erbkrankheiten auch. Arme Toni!
Sie ist wohl auch etwas zu naiv, wenn sie im Bewußtsein ihrer bona
fides noch immer jammert: „Ja warum denn? Hab' ich ihn denn
weniger geliebt, als ihn eine Andere geliebt hätte? Hab' ich ihn weniger
glücklich gemacht, als eine Andere?“ Und als ihr Schmidt verbietet,
den Namen seiner Braut auszusprechen, schreit sie auf: „Ja warum
denn? Bin ich vielleicht etwas Schlechteres als sie?“ Was kann man
ihr antworten? Liebe Toni, Du bist um hundert Jahre zu früh geboren,
und das war sehr ungeschickt von Dir. Dann, als sie, jedes Halts
im Leben beraubt, hinausgeht ins Nichts, stehen freilich die anständigen
Herrschaften verdutzt da und die Sache ist ihnen peinlich genug. Auch
Franziska hat blutig Recht, wenn sie außer sich ausruft: „Alles bewahren
wir auf, was an ihn erinnert, Alles, was er geliebt hat, das Nichtigste.
Alles ist uns heilig. Und gerade das Wesen, das ihm durch Jahre.
mehr war, als wir Alle, jagen wie hinaus: Auf der Galerie brach
ein Beifallssturm los, als sie auch noch sagte: „Was einen guten
Menschen so glücklich macht, kann nicht die Sunde sein!“ Man ist so
jung auf der Galerie ... und die Welt in so alt und verknöchert und
hält ihre Ungerechtigkeiten so pedantisch in Ordnung, und Entgleisungen

sind ein= für allemal verboten, und überhaupt . . . man hat gar keine
Zeit sich um private Gefühlssysteme zu kümmern, dazu sind ja die
Schablonen eingeführt, um Zeit und Streit zu sparen ... Wer so
ist, wie wir, ist anständig; wer nicht, nicht. Basta!
Die Darstellung war vortrefflich und hat das leidenschaftliche
Für und Wider des Stückes so recht ins Publikum hineingetragen.
Es bildeten sich Parteien, deren jede ihren beredten Wortführer auf
der Bühne hatte. Herr Hartmann stand voran. Sein Professor
Losatti, dieser höchst naturgetrene Vertreter des bürgerlich Herkömm¬
lichen, ist eine Genrefigur ersten Ranges. Frau Schratt spielte die
Toni Weber mit all ihrem wienerischen Gemüth, das sich im Abschied
für immer ganz ergreifend vertiefte. Frau Hohenfels (Franziska)
und Frl. Medelsky (Agnes) ließen gleichfalls das Herz in seiner
Muttersprache sprechen. Frau Schmittlein (Mama Losatti) fand
den richtigen Ausdruck für alle ihre Kümmernisse. Mit der Witwe
Emma, die zu sehr Tendenz ist, um wirklich lebendig zu bleiben,
beschäftigte sich Frl. Bleibtren. Die Herren Devrient (Dr. Schmidt),
Treßler (Hugo), Römpler (Arzt) sind gleichfalls zu loben; der
Neuling Herr Paulsen (Hugo's Freund Gustav) blieb zu unfrei
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und wurde nicht warm.