II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 75

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10. Das Vernaechtnis
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lebendigem Leibe schon commentirt und als der „große“ den Tod der Geliebten herum in ga
Feuilleton.
sinnverbergende Dichter Wiens ausgeläutet werde. Schnitzler in dem Novellencyklus „Die Frau des
schreibt ehrlich, schlicht, natürlich und nicht für Narren, Darstellung ist so natürlich, die Sprch
was ihm eben diejenigen, für die er nicht schreibt, schwer die Zeichnung der Individualcharakter
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Burgtheater.
verzeihen. Schnitzler zeigt deutlich, daß die Aesthetik oder man in die Lebensverhältnisse seiner
ler.
(„Das Vermächtniß". Schauspiel in 3 Acten von Arthur Schnitzte..
auch nur die Kritik mit einem Sammelworte Das junge als wäre man immer mit ihnen im
Erste Aufführung am 30. November 1898.)“
Wien“ oder „Die Modernen“ nicht das Rechte trifft, entsetzlichen Stoff des Sterben“.
Schnitzler's dichterische Entwicklung ist eine ruhige,
bestimmten individuellen und localen Bedingungen ebenso aber keines verletzt; die Schilderungen
stetige, ernste. Er ist ein Moderner, aber an den Bock¬
sprüngen der „Modernen“ — ich meine jene mit Anführungs= individuell als local giltig; seine Art zu gestalten, sein poetisch schlicht, ungekünstelt; der Stof
zeichen — nimmt er nicht theil. Sein Talent hat sich ent= Ausdruck ist jedoch allgemein giltig und hat den Zusammen= Art aus den fürchterlichen Vorgängen
faltet; es ist nicht aufgeschossen. Schnitzler hat nicht plötzlich hang mit den allgemein anerkannten Geistern, die wir
Art aus den dichterischen Empfind
die Welt mit einem „Wiener Stück“ oder mit flüchtig hin= classisch nennen, nicht verloren. So haben es die rechten Selbstverständliche der Schnitzler'schen
geworfenen Bühnenindiscretionen aus dem Gebiete der Künstler in allen Zeiten gehalten. Antigone war zur Zeit Meister der Form, so daß man zum
Weltgeschichte, der österreichischen Gerichte oder der bei Freunden ein durchaus „actueller“ Stoff und mag von den Griechen kommt, „als müsse es so sein“.
genossenen Nachtmäler derart geärgert, daß er eines Sonn= ohne Zweifel als Tendenzstück empfunden worden sein; Problemen.
tags entdeckt werden mußte. Seine Freunde schätzten sein dieser Stoff ist auch nur aus dem alten Milieu zu begreifen,
Die Kritik im Allgemeinen ist
Können, als es noch in kleinen Formen sich erprobte; sie die Form, die Gestaltung ist aber allgemein menschlich und
Wahn befangen, sie habe sich über da
verfolgten mit Freuden die Wege, auf denen er schrittweise hebt das Werk über die Zeiten. Die rein stofflichen Ver=tung auszusprechen und den Stand
die literarische Welt eroberte. Er ist also kein Object für hältnisse in „Kabale und Liebe“ sind an die Zeit und an handeln. Unter hundert Kritikern wer#
den Ort geknüpft; es war ein Milieustück der kleinen liche Für und Wider behandeln und
den Gewohnheitsentdecker gewesen. Für Schnitzler's starke
Begabung gibt es neben den vielen in seinem Dichterwesen Residenz und hatte die schärsste, für dieselben Gesellschafts= nicht gar als Juristen fragen, ob der
ruhenden directen Beweisen auch einen indirecten Beweis. schichten jedoch heute abgestumpfte Tendenz. Aber die Art der [Ansicht im Rechte sei, wogegen sie
Hermann Bahr traut sich mit seinen Spässen an ihn nicht Gestaltung, die Charakterzeichnung, die Behandlung der kümmert um die moralischen Resul
heran; für Bahr ist Schnitzler nicht einmal der „große und Conflicte ist classisch und bringt uns die entlegenen Ver=fragen hätten, wie der Dichter gestalt
reine Mensch“; er wagt den Scherz gar nicht, neben den hältnisse so nahe, daß wir von den Voraussetzungen der einmal darauf: Dieselben Beurtheiler, w#
Aristophanes von Wien Arthur Schnitzler als Wiener Goethe Schiller=Zeit berührt zu sein scheinen, ja sie auf die modernen aufs Schärfste verdammen, wenn sie
zu stellen. Er will ihn, glaube ich, gar nicht entdeckt haben; Gegensätze von „Vorderhaus“ und „Hinterhaus“ gern über= auf ihren moralischen Gehalt prüft, th
er behandelt Schnitzler so geringschätzig, daß er dessen Stücke tragen. „Keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte nichts Anderes; sie fragen nach
neben seine höchsteigenen Stücke setzt ... Wüßte man nichts[ Form, die lebend sich entwickelt.“ Das Was, der Problems, erörtern aus der Lösung d
von Schnitzler, als daß er die Strafe solcher Zusammen= Inhalt, der Stoff haftet an der Zeit; das Wie, die Form, quenzen, sie nehmen Partei für oder
der einzelnen Bühnenfiguren; sie ent
stellung durch Bahr erleiden muß, so dürfte man ihn schon hebt auch den individuellen Stoff ins Allgemeine.
Schnitzler's Erzählungen und Komödien haben ganz ästhetischen Urtheil und nähern sich be
hoch achten. Er geht eben seine eigenen Wege; er trägt
nicht mit den Dünger zusammen, für dessen Geruch die individuelle Stoffe, die nur aus ganz bestimmter, zeitlich lich moralischen Beurtheilung des nair
und örtlich beschränkter Empfindungsweise und Denkweise in letzter Consequenz einen Bösewicht,
Entschuldigung bereit gehalten wird, daß die Culturen
kommender Jahrhunderte auf diesen Haufen reifen sollen. zu begreifen sind; seine Jünglinge leben und liebeln nach leicht am besten gezeichnet wurde, mit
Schnitzler verbreitet kein Dunkel um sich, damit er bei eigener Art, sie sehen den Tod ganz eigen und leben um werfen möchte, weil er eben Bösewicht
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