II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 79

10. Das Vernaechtnis
— Geuleion
MA
Burgtheater.
8 Vermächtniß. Schauspiel in drei Acten von
Arthur Schnitzler.)
m letzten Acte der „Liebelei“ liegt der Keim
as neue Werk Arthur Schnitzler's: „Das
chtniß". Da erfährt Christine, daß ihr geliebter
odt sei. Sie quält den Freund mit Fragen, ob
er noch gedacht und ist verzweifelt, zu hören,
auch von ihr gesprochen, genau wie von seinem
seiner Mutter, von allem, was „so mit dazu¬
hat zu seinem Leben“. Sie schreit in ohmächtiger
rung auf, nicht zu jenen gehören zu dürfen,
Recht hatten, an seiner Leiche zu trauern,
geht mit raschem Entschlusse den einzigen
huf dem sie ihn wieder finden muß.
Pie, wenn diese tiefen Empfindungen des
ns auch die des Mannes gewesen wären?
Liebelei Liebe — für die lose Keite eines
nisses ein festes, unzerreißbares Band, wie es
sdritte im Bunde, das Kind, um ein
zu schlingen vermag. So erstand Christine
in Toni Weber, Fritz in Hugo Losatti,
theilnehmende Freund Theodor brauchte sich
nmal umzukleiden, um als Gustav Brander
dem armen verlassenen Geschöpfe zur Seite
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Ein trauriger Zufall hat den schönen, von Doch die junge Mutter, die bei der Idee, Madame.
seiner jungen Tante Emma Winter mütterlich ge¬
Martinel heißen zu können, einfach lacht, während Hugö“
liebten, von seiner Cousine Agnes angeschwärmten
seine Geliebte als Gattin betrachtel, muß zuerst)
Hugo Losatti ereilt. Beim Ritte im Prater stürzt
sterben, nachdem das Verhältniß, in dem es trotz seines
er und wird sterbend nach Haus gebracht; er hat
Glückes zu starke „moralische und sociale Schranken“
nur mehr so viel Zeit, der Mutter das Geheimniß
gab, bereits längst gelöst war.
und das stille, ungeahnte Glück seines Lebens an¬
Das Kind, ja das ist die Pflanze, die der
zuvertrauen, er habe ein Kind, ungestüm nach dem¬
Mann in ein unscheinbares Gefäß gelegt. Soll die
selben, wie nach seiner Geliebten zu verlangen und
junge Blüthe in ein neues vornehmes Treibhaus
beide ihr als heiliges Vermächtniß an's Herz zu
übertragen werden, so wirft man einfach ihre Hülle
legen; die vom Vater widerwillig herbeigeholte Toni
bei Seite, sie wird sich unter dem Schutze einer
empfängt noch seine letzten Liebesworte, das Kind
anderen noch kräftiger entwickeln. Aber bei Schnitzler
wird nur mehr Zeuge seines in ruhiger Bewußt¬
handelt es sich um beide, Mutter und Kind, und
losigkeit verhallenden Ausathmens.
bereits die ersten Worte offenbaren einen starken
Mit einer ungeheuren Sicherheit, einer seltenen
Abstand ihrer urwüchsigen Sprechweise gegen den
Kraft der Steigerung, ist dieser erste Act aufgebaut.
vornehm bürgerlichen Tone in Hugo's Familie. Mit
Wundervoll vorbereitet ist der tragische Umschlag in
ihr verwachsen, das ahnt sie wohl, das kann sie
der heiteren Einleitungsscene von Agnes und Hugo's
nicht. Sie wird sich wieder lostrennen müssen. Jetzt
Geschwistern, Franziska und Luln, die vom Fenster
fragt sich nur, auf welche Weise sich dies vollzieht;
aus um die Schnelligkeit der vorüberfahrenden Wagen
sie kann entweder sich im Hause nicht wohl fühlen,
wettend, plötzlich den einen halten und aus ihm den
in heftigste Gegnerschaft mit all den neuen Ange¬
sterbenden Bruder heben sehen. Wohl wirkt der
hörigen gerathen und schließlich ihr Ausscheiden als
grause Zufall peinlich, aber man erfaßt ihn als die
wiedereroberte Freiheit begrüßen; oder — und das
nothwendige Thesis des Stückes und hofft auf be¬
schiene mir der eigentliche tragische Gehalt dieses
freiende Lösung.
Stoffes zu sein — sie nimmt wahr, wie sich das
Und, da steigen Einem denn nun Gedanken
Kind, ihr Kind, seiner Mutter vollständig entfremdet
auf, wie dieselbe sich gestalten könne. Daß das un¬
und ihr nicht mehr angehört.
eheliche Kind des Mannes offene Arme, selbst bei
Keinen dieser beiden Wege ist Schnitzler ge¬
seiner jungen Gattin finden kann, hat neben Anderen
gangen, deren jeder eine innerliche Entwickelung der
auch Maupassaut in seiner „Musotte“ durchgeführt.
Frauengestalt bedingt hätte; er hat einen dritten