II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 118

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10. Das Vermaechtnig
Kleine in der des Enkels — man ist sogar bereit, die ersten
iniß. 1
Spuren einer gesellschaftlichen Boycottirung der Familie
lächelnd zu ertragen in Gedanken an Bubi und an das
Arthur Schnitzler.
heilige Versprechen, mit dem man Hugos Vermächtniß ange¬
Theater am 8. Oktober.)
nommen hat. Ist das nun aber wirklich jene Liebe, die Hugo
daß Schnitzlers neuestes
sich für die Geliebte und das Kind gewünscht hat? Hält man
nid einen so starken Beifall
die Beiden wirklich, als wären sie legitime Schwiegertochter
die stürmische Beifalls¬
und Enkelkind? Grübelnd forscht Schnitzler in den Seelen. Können
Aktes, denn unleugbar
sich die Vertreter bürgerlicher Korrektheit wirklich zu einer
diesem Akte einige Male
freien That der Liebe entschließen? Wo ist der Prüfstein,
Und das nun war hin¬
daß diese Liebe echt und nicht lediglich verkappter Egois¬
dieser Akt hat so hand¬
mus ist?
timmung des Publikums
Und er findet einen solchen Prüfstein: den Tod des
as dennoch zum Beifall
Kleinen. Der kleine Franz muß sterben, nur um zu zeigen,
Empfindung, daß in all
wie jetzt die innerste Natur dieser ängstlichen korrekten Menschen
ngstlichen, theils brutalen
sich offenbaren wird. Den Vater hat man ja freilich von
des Stückes das Handeln
Beginn an nicht ernst genommen, aber auch die Mutter er¬
endlich ein befreiendes,
weist sich jetzt nicht als starker Charakter. Wenn sie sich über
aufgespeiherte Gespannt¬
die Vorurtheile der Gesellschaft glaubte hinwegsetzen zu können,
für die warme Antheil¬
so gab ihr nur die Mutterliebe, die in dem Enkelchen den ge¬
ssser den a#ständigen Per¬
liebten Sohn wiederfand, zu solchem Widerstand die Kraft,
er Dank für manch schönes
nicht etwa selbstherrlicher Stolz und der Muth einer freien
Alusdruck der Befriedigung
Seele. Denn als der Knabe gestorben ist und mehr
wie je das Gerede der Leute sich mit Tonis Aufenthalt
irenden Vertheipiger triff:
im Losattischen Hause beschäftigt, da sucht sie, ängstlich auf
ner Beziehung. Der An¬
ihren Ruf bedacht, von Tag zu Tag eifriger, den lästigen Gast
r Theilnahme des Herzens
loszuwerden und sophistisch ihr gegebenes Versprechen zu
zelnen, der mit der gesell¬
deuteln.
Ein Recht auf Glück
th.
Akt drei zeigt dann die veränderte Lage der Dinge, die it
Fecht sich zu nehmen, wenn
Bubis Tod geschaffen ist. Das große Wort führt jetzt wie er der
nicht Sünde,
will,
Egoismus, der sich in der Gestalt des Hausarztes und
Weber, die Tochter eines
=Freundes und Schwiegersohnes in spe Dr. Ferdinand
Magistratsbeamten, und
Schmidt verkörpert. Er ist ein streberischer, verknöcherter
Moral gehandelt. Tomi
Parvenu und bildet zugleich den Gegensatz zu Toni, die wie er
em Manne ihrer Liebe ge¬
aus kleinen Verhältnissen kommt, aber in unbefange#er Sehn¬
aber ohne Bedenken den
sucht nach Glück unbeirrt durch gesellschaftliche Moralgebote
en. Fünf Jahre ist sie in
die Hände nach der bereiten Frucht ausstreckt, während ihn
nd eine zärtliche Mutter
hinwiederum ein hartes Leben gelehrt hat, daß Genuß nur
in dem kleinen Heim, das
die Frucht der Arbeit ist. Mit seinem ganzen Wesen haßt
lienglück gefunden, das er
dieser harte Pflichtmensch die leichtbeschwingteren Naturen, wie
mußte. Denn seine Eltern
Hugo und Toni, haßt er die lichte Lebensfreude, die
hin. Der Vater, einer aus
Er ist von An¬
sich in ihnen naiv verkörpert.
n Geschlechte der Hjalmar
beginn gegen Tonis Aufnahme in die Familie ge¬
schschnittsfrau, dem Gatten
wesen, denn er hat ja als zukünftiger Schuiegersohn
ärtlich liebend, im Grunde
und zugleich zukunftsreicher Arzt das größte Interesse, daß der
alle Durchschnittsmenschen.
Ruf der Losattis unangetastet bleibt. Mit dem Tode des
Hherzig, jedoch ohne Willens¬
Kindes gewinnen seine Vorstellungen die nöthige Kraft: Hugos
Bruder wohl herzlich zu¬
Vater und auch die Mutter willigen in Tonis Entfernung,
klich über die Schulter an¬
jener glaubt, mit Geld sich von der Vollstreckung des Ver¬
Ding, das sie aber ir
mächtnisses loskaufen zu können, diese mit der Selbsttäuschung,
dieser Umgebung Hugo
auch in Zukunft Toni mit Liebe zur Seite zu stehen. Dr.
nicht wohr fühlt,
Schmidt selbst erbietet sich, Toni den Entschluß der Familie
Beziehungen zu Toni
mitzutheilen. Ein letzter Versuch einer Verwandten des Hauses,
ndem Etwas mittheilt,
Toni das Einzige, was ihr noth thut, ein Heim,
hat er Alles vorbereitet,
zu geben, scheitert, weil die Tochter sich dagegen straubt.
sichsten Zeit die Weide der
So ist Toni gänzlich heimathlos, und in ihrer völligen Ver¬
ung zu geben, — da wird
zweiflung sieht sie nur den Weg zum Tode vor sich, den Weg,
Auf der Rückkehr vom
den auch Christine in „Liebelei gegangen war. Nun aber er¬
rfen, und der Sturz war
eignet sich etwas Unverhofftes, und in dieser Schlußwendung liegt
hige Minuten zu leben hat,
die Tendenz des unzen Stückes und zugleich eine scharfe Ge¬
t wird.
sellschaftssatire. Franziska, die Haustochter, um deren Seelen¬
heil die Eltern und Dr. Schmidt, ihr zukünftiger Gatte
ie Mutter in das Geheim
Ent¬
besonders besorgt waren, als sie den Plan zu D#
lige Versprechen ab, Toni
fernung schmiedeten, sie beweist jetzt den um ihr Sittlichke#
men und sie zu lieben, als
Bemühten, daß gerade Das, was sie vermeiden wollen,
ntiefer Erschutterung ver¬
einzig Sittliche wäre. Sie tritt feurig für die Me¬
Willen des Sterbenden zu
die ihre Vormünder bekämpfen. Toni ist die, der ihr
Wunsch, die Beiden
seine Liebe geschenkt hat. und der er für so viele Stunden
ufen zu lassen.
Auch
reinen Glückes zu Dank verpflichtet ist: sie, nicht das Kind
c
es ihr jetzt gesteht,
allein, hat er als Sterbender den Eltern ans Herz gelegt.
hat, gelobt, Toni wie eine
Das Vermächtniß ist heilig, und es bleibt unausgeführt,
adronirende Vater, der sich
wenn man jetzt Toni hinausstößt. Tonis Tod wird
ken sträubt, der unbequeme
als schwere Schuld auf dem Hause Losatti lasten. Das
it greifen, giebt schließlich
Alles sagt Franziska ihren Angehörigen, dann aber wendet
echen. Toni erscheint, aber
sie sich gegen ihren Verlobten und sagt sich von ihm und seiner
it Hugo sie. Als der vier¬
kalten Wohlanständigkeit los. Das Wettern des Vaters gegen
holt, erscheint, decken den
den kindlichen Ungehorsam nützt nichts, Franziska bleibt fest.
des. Toni und das Kind
das ist ihm nicht aufgefallen. Auch
bracht ist,
auf den szenischen Bau hat er nicht ängstlich geachtet:
es ist ein stetes Gehen und Kommen der Personen, je nachdem
er sie braucht, nicht nothwendig begründet in den Vor¬
gängen selbst. Der Dichter ist zu sehr mit dem Herzen bei
seiner Sache. Das giebt mehreren Szenen ein schönes Feuer,
aber es hindert andererseits die rechte Durcharbeitung, zu der
verstandesmäßige Klarheit gehört. Es verdichtet sich nicht ein
inneres Erlebniß mit Nothwendigkeit zu künstlerischer Gestaltung,
Schnitzler ein
sondern zu einer ethischen Tendenz sucht
Das ist der
recht krasses, überzeugendes Beweismaterial.
Eindruck, den schon „Freiwild“ bis zu einem gewissen Grade
auch „Liebelei“, und den jetzt „Das Vermächtniß“ machte.
Zu viel Feuilletonismus, zu wenig künstlerische Gestaltung.
Dabei sind aber Figuren von packender Lebenswahrheit
in dem Stücke, wie der Professor und Politiker Losatti, als
lokaler Typus wie als Mensch in gleicher Weise glaubhaft.
Auch der Dr. Schmidt ist bis auf wenige Stellen ein echtes
Menschenportrait. Die Anderen sind etwas farblos ge¬
ein

fehlt,
halten. Was dem Stücke endlich
Mittelpunkt, auf den sich die Sympathieen sammeln
könnten, — ein Held im alten Sinne. Toni Weber muß in
Folge der ganzen Anlage des Stückes eine schwache, hulfs¬
bedürftige Gestalt sein: eine so passive Persönlichkeit aber, die
immer nur zurückweicht, kann auf die Dauer unsere drama¬
tische Theilnahme nicht fesseln.
Die Darstellung war fast durchaus vortrefflich. In
erster Linie stand die glanzende Leistung des Herrn Reicher
als Losatti, der bis auf einige Augenblicke der Uebertreibung
den schwierigen Charakter so maßvoll zeichnets, wie er ge¬
zeichnet sein muß. Nicht minder glaubhaft war Herr Sauer
als Dr. Schmidt. Mit erschütternder Wahrheit gestaltete Frl.
Lehmann die unglückliche Toni. Frl. Sarrew hatte zu¬
nächst die Rolle der Franziska zu einfärmig angelegt, war
aber im letzten Akt ganz vorzüglich am Platze. Frl. von
Pöllnitz, Frl. Elsinger, Frl. Dumont, Hr. Rittner,
Hr. v. Winterstein, Hr. Reinhardt ergänzten mit vor¬
trefflichen Leistungen das Ensemble. Mit wunderbarer Sicher¬
heit fügte sich die Kleine, die das Bubi spielte, dem Ganzen einz
Dr. Gustay Zieter. #