II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 177

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10. Das Vermaechtnig
bürdung des im executiven Betriebsdienst verwendeten Personales
einzige Dichtung zur Zeit die dramatische ist. Zum Theater
entgegenzutreten, weil „Fälle vorgekommen, in denen die dienstlichen,
drängt, am Theater hängt doch Alles. Nur vom letzten Coulissen¬
an das erecutive Betriebspersonal gestellten Anforderungen zweifellos
erfolg erfährt der Deutsche überhaupt noch etwas, nur von ihm
über die durchschnittliche Leistungsfähigkeit dessellen hinauszogen“.
wird geredet, nur die Bühne bringt dem Dichter, was er so
Daß diese Fälle nicht selten vorkamen, beweist ein weiterer Satz der
glühend träumt und ersehnt: die Gunst und den Ruhm jenes
amtlichen Verlautbarung, wonach „die vierundzwanzigstündige Dienst¬
„Volkes“, von dessen hoher ästhetischer Bildung ich in meinem
zeit bei dem größten Theil des im executiven Betriebsdienst verwendeten
letzten Brief gesprochen habe. Ohne Frage gilt in diesen Zeit¬
Bahnpersonals eine Regel ist, von der in einschränkendem Sinne
läuften nur noch der Bühnendramatiker als ein Mann der öffent¬
nur hie und da abgewichen wird“ und wonach sogar die Ruhezeit
lichen Angelegenheiten, und alles andere Dichten ist eine Sache
bis auf sechs Stunden eingeschränkt wird. Herr v. Wittek würde
des Privatvergnügens. Hie und da lebt vielleicht ein weltscheuer
sich ein Verdienst nicht blos um das Bahnpersonal, sondern auch um
Einsiedler, der da meint, daß aus diesem Privatvergnügen für
das fahrende Publicum erwerben, wenn er dafür sorgen würde, daß
die Kunst mehr herauskommen kann, als aus dem Oeffentliche¬
die Oeffentlichkeit die ganze Wahrheit — nicht blos über die Staats=,
Angelegenheit=Spielen. Sein Blick schweift vielleicht über die
sondern auch über die Privatbahnen — erfährt. Es würde auch dann
Literaturgeschichte dahin und er sieht dann merkwürdigerweise,
noch so viel zu verschweigen geben, daß selbst der rückständigste
daß immer und immer wieder gerade die Kunstgattung, die die
Bureaukrat keinen Grund hätte, dem Eisenbahnministerium wegen
Mode beherrscht und als die einzig vornehme gilt, die tauben
Schwatzhaftigkeit Vorwürfe zu machen. Soll es auf den öster¬
Blüthen hervorbringt, während die verachtete, die im Verborgenen
eeichischen Bahnen für Bedienstete und Publicum besser werden, dann
blühende Art in der Zukunft als die einzig lebendige sich aus¬
muß die bisherige Art der Berichterstattung einer andern, besseren
weist. So stand das Drama niemals künstlerisch höher, als da
Platz machen.
es noch für die unterste Poesie galt. Die hohe Dichtung aber,
Man kann nicht von der Socialpolitik der österreichischen Staats¬
die vornehme Modepoesic der Sonettisten im Zeitalter Shakespeare's
bahnen sprechen, ohne der sogenannten Wohlfahrtseinrichtungen, die
und Lopé de Vega's: wie bald war sie der „Schnee von gestern“
daselbst für die Angestellten bestehen, zu gedenken. Weiß man doch
wie Villon singt, auch so ein Unmodischer und Verachteter seiner
längst, daß die staatlichen Betriebe keine Muster sind, an denen sich
Zeit. Und das läßt sich psychologisch auch recht gut erklären.
der private Arbeitgeber ein Beispiel nehmen könnte. Es genügt dies¬
Denn die modische Kunst wird immer jeden Hinz und Kunz an¬
falls festzustellen, daß der Staat nicht allzuviel über den Pflichtenkreis
locken, aber die einsame Kunst sucht nur der, der sich mit
hineusgeht, der für die Privatunternehmer gilt.
Allgewalten zu ihr hingezogen fühlt. Jene wird stets eine fertige,
Sehen wir von Wohlfahrtseinrichtungen, wie Lebensmittrt—
Egeschlossene Entwicklung bedeuten, diese Brachland und Neuland.
magazine, Speiseräume, Badeanstalten, Wohngebäude, Weihnachts¬
Und das Wesen des Genies ist die Erneuerung.
bescheerungen, Feriencolonien, Schulfonds, sowie von der obligatorischen
Aber man soll nicht immer wider den Stachel löken. Und
Krankenunterstützung und Unfallsentschädigung ab, so kommt nur ein
bei meiner unbegrenzten Ehrfurcht vor der Meinung des Publi¬
Pensionsinstitut für die Beamten und ein Provisionsinstiut für die
cums und seiner ungewöhnlich feinen ästhetischen Cultur will
Diener und Arbeiter, außerdem eine Spar= und Vorschußeasse in
ich mich beugen und einsehen, daß die höchsten Erzeugnisse des
Betracht. Die Leistungen dieser Institute für ihre Mitglieder zu unter¬
künstlerischen Geistes der Gegenwart nur in unseren, Theatern
suchen, ist nicht nothwendig, weil es sich hiebei nur zum geringsten
erscheinen können.
Theile um Leistungen aus dem Staatssäckel handelt: sämmtliche
Was leistet denn nun diese Poesic? Wo steht sie? Wie—
Institute werden theils ganz, theils in erheblichem Maße von den
weit haben wir es gebracht in der großen Erneuerung durch
Bahnbediensteten erhalten, durch den Ausschluß der Bediensteten von
den modernen Geist, die vor etwa einem Dutzend von Jahren
der Verwaltung jedoch nicht unbedeutend entwerthet.
so hell und so freudig verkündet wurde? Liegt sie eigentlich erst
So steht denn die Leistungsfähigkeit der österreichischen Staats¬
noch vor uns, oder haben wir sie schon hinter uns? Stehen wir
bahnen mit dem Maße an Fürsorge des Staates für seine Angestellten
still, oder bewegen, entwickeln wir uns? Denn auch in der Kunst
in einem engen Zusammenhange, wie dies übrigens auch nach¬
bedeutet Stillstand Tod. Und nur so wunderbare, glückliche Ent¬
stehende Ziffern vermuthen lassen, welche die Höhe der Besoldungen
wicklungen, wie sie sich vor hundert Jahren in der deutschen
und andere persönliche Ausgaben per 1 Kilometer durchschnittliche
Literatur vollzogen, diese stete innere Umformung und Um¬
Betriebslänge mit lakonischer Deutlichkeit darstellen:
gestaltung aus einer naturalistischen in eine classische, aus einer
deutsche Bahnen.
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classischen in eine romantische Dichtung zeugen von einem inneren
preußische Bahnen.
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Leben, von einer gewaltigen Kraft.
österreichisch=ungarische Bahnen
6.513 „
Heute gibt es in Berlin keine Theaterkämpfe mehr wie
österreichische Bahnen..
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vor zehn Jahren. Und wenn auch gerade gestern im Lessing¬
Herr v. Wittek wird alle Hände voll zu thun haben, wenn
theater Halbe's „Eroberer“ gegenüber wieder einmal ein Scandal
e die Fehler und Unterlassungssünden seiner Vorgänger auch nur
ausbrach, wüst, roh, gemein, laut und lärmend wie in den Tagen
einigermaßen gut machen will..
der naturalistischen Bewegung, so war das doch kein Kampf.
Nicht ein ernsthaftes Ringen der künstlerischen Geister, die um
*
literarische Grundsätze, um neue Ideen und neue Anschauungen
stritten. Davon kann bei der Halbe'schen Dichtung keine Rede
##us Hart.
sein. Sondern da tobte nur der Theaterpöbel aus den Kreisen
Weae
der „höheren Zehntausend“ der von der Kunst überhaupt keine
entwicklung?
Ahnung besitzt, der unterhalten und gekitzelt sein will und zu
Ein Berliner Theaterbrief.
pfeifen und zu schimpfen anfängt, wenn der Poct ihn nicht genug
Die letzten Berliner Theaterwochen sind nicht ganz un¬
zu amusiren wußte. Im Allgemeinen pflegen sonst die ersten
fruchtbar verlaufen. Man bekam sogar einen ungefähren Eindruck
Aufführungen schon seit geraumer Zeit sehr ruhig zu verlaufen.
davon, war unsere Bühnendichtung von heute überhaupt zu leisten
Dann und wann hört man ein wenig Zischen und so gut wie
vermag und auf welcher Höhe das Theaterdrama steht, das mit
niemals den heißen und stürmischen Beifall, der von leidenschaft¬
der Kunst noch ehrliche Beziehungen unterhält. Auilun Schuitzle#
licher Erregung zeugt. Die wohlwollende Achtung blüht heute
der Mann aus Oesterreich, Ludwig Fulda, das Kind des west¬
bei uns. Ein Backfischschwänkchen findet dieselbe gute Aufnahme
lichen Teutschland, der Sohn der Gocthestadt, und Max Halbe,
und verletzt nicht tiefer, als etwa ein modernes Problemdrama,
der Ostpreuße, dazu noch Max Dreyer, der Mecklenburger, er¬
dessen Tendenz einmal alle guten Leute in Zorn brachte, während
schienen in raschem Nacheinander auf den immer noch mehr geld¬
sie heute wohlwollend mit dem Kopfe dazu nicken, weil sie schon
als weltbedeutenden Brettern und alle Vier gehören ja in die
längst genau dasselbe gesagt haben. Und in der That, neu ist
ersten Reihen des heutigen Bühnendeutschland. Und sie können
nicht mehr, was wir an modernen Ideen von der Bühne herab
uns vielleicht verrathen, wie es heu'e so im Allgemeinen um
zu hören bekommen. Die Spatzen pfeifen es schon auf den
unsere Kunst steht.
Dächern. Auch die Naturalismen der Sprache machen keinen
Außerdem bekommt man ja jäglich die allgemeine und
Menschen mehr aufblicken. Und unsere Bühnendichter stürzen sich
feste Ueberzeugung zu hören, daß die beste, ja im Grunde die nicht gern in Unkosten und fangen daher wieder an, ein ge¬