II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 179

10. Das Vermaechinig
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Gefilden des idealen Schau= und Trauerspiels, die auf den Höhen
der Menschheit zu liegen pflegen?! Der Vers, den man vor
zehn, zwölf Jahren mit Ibsen als ein aussterbendes Naturwesen
antediluvianischen Charakters ansah und endgiltig von der Bühne
wegdogmatisirt hatte: er steht wieder in höchstem Ansehen. Sogar
Franz von Schönthan setzte seine alten Backfischschwänkchen in
die zierlichsten Leberreimchen um. Das historische Costüm ward
endgiltig beim Trödler verkauft: und heute schreibt Fulda ein
griechisches Trauerspiel, und Halbe kehrt zurück zum Florenz
Lorenzo Medicis. Sind das nicht genau dieselben Entwickelungen,
die sich vor hundert Jahren in unserer Literatur vollzogen?
Arme Thoren! Sie ziehen neue Kleider an, statt eines
neuen Menschen. Sie glauben, wie Caliban und seine Gesellen,
daß Prosperos Kunst in dessen Mantel steckt. Gerade dieses Spiel
mit der Form, in welcher das größte künstlerische Geheimnis
ruht, dieses Irrlichtern zwischen allen Stilen hin und her, dieses
Ablauschen, Anpassen, Aushorchen, dieses ganze Nichtselber¬
schöpferische macht mich so bange.
Es scheint, als wenn unsere Poeten erst aus Nietzsche er¬
fahren hätten, daß es einmal ein Zeitalter gab, welches man das
der Renaissance nennt. Und über Nacht wurden sie auf einmal
alle Cäsar Borgias und alle wollten auf einmal Renaissance¬
mensch heißen. Ein furchtbarer Kaffeehausliteraten=Einfall! Aber
dieser durch und durch dilettantische Buch und Leserausch charak¬
terisirt een unzere Poeten, die sich keine eigene Weltanschauung
bilden können und nur die Idee des Tages weiter colportiren.
Auch Halbe ist mit erhitzter Phantasie von der Lectüre Nietzsche's
aufgestanden, und fühlte auf einnial den „Eroberer“ in seiner
Brust. Er wollte den modischen Renaissancemenschen agiren, wie er
im modischen Buche steht — und er hat damit eine ergreifende
und ruhrende Dichtung, die nur = nur in unserer Zeit spielen
konnte, gründlich verderben. Er hätte den Boden seiner Heimat
nicht verlassen sollen. Aber indem er eine schlichte, moderne
Liebeserzählung zusammenkoppelte mit einem im Keim stecken
gebliebenen Cäsar Borgia=Drama, das alle Zeichen der dilettanti¬
schen Lesebegeisterung an sich trägt, schweißte er ineinander, was
gar nie zusammenpassen kann. Er wollte ein Anderer scheinen,
als er ist, und das rächt sich am schwersten gerade beim echten
Poeten. Er spielte mit Gedanken, die ihm Nietzsche eingeblasen
hat, — und so fiel er, dumpf und dröhnend, hart und schwer,
wie die Tüchtigen falten.
Das wird Ludwig Fulda nie passiren. Der stolpert auch
über ein griechisches Trauerspiel nicht. Tänzelnd und tändelnd
in zierlichsten Versen, immer amüsant und unterhaltend, dichtet
er ebenso hübsch eine Faust= und Hamletdichtung, wie einen
munteren Schwank in Schönthan'scher Art. Alle diese witzigen
Taschenspieler der Kunst sind für den Alltag ger nicht zu ver¬
achten. Mir macht es immer Spaß zu sehen, mit wie wunder¬
barer Oberflächlichkeit Fulda die schwersten Dinge zu nehmen,
und die leichtesten Dinge als etwas Ungeheures darzustellen weiß.
Diesmal erzählt er ein Künztler= und Ateliergeschichtchen, das auf
demselben Boden erwachsen ist, denselben Geist athmet, wie etwa
Blumenthal's „große Glocke“. Die bekannte Geschichte von dem
Künstler, der etwas zu sein glaubt und nichts ist. Bei Blumen¬
thal geht der Mann schließlich in sich, wird Kunstgewerbezeichner
und heiratet. Bei Fulda#1 er einmal, daß er nur den
Ruhm begehrt und die de vergel
und ein anderesmal, daß
er nur die Liebe will und auf
uhm verzichtet. Und nach¬
dem der Dichter des griechtt
uerspiels seinen Helden so
ein paarmal wie einen He umgekehrt hat, läßt er ihn,
da er weder Ruhm, noch Liebe findet, zuletzt urplötzlich von
einem Raptus befallen werden. Er steckt den Tempel von Ephesus
an, und das ist genug des Grundes, um ihn auf den Namen
„Herostrat“ zu taufen.
Eine Entwickelung über den Naturalismus hinaus kann
ich auch darin nicht finden. Die neue Tragödie, um deren Liebe
Hauptmann vergebens gerungen hat, — fast glaube ich, daß sie
selbst Fulda noch nicht in seine Arme schließen konnte.
Rubanter

kehrten die Arbeiter nicht in die Werkstatten zurück. sidas
Auch in 10 Schlossereien wurde gestern die Arbeit eingestelit.
evorstehenden E
Die Pariser Banunternehmer lassen einen Aufruf an die [trespondent telegre
Deutsches Theater.
stirbt; zwischen ein
(Frau v. Pöllnitz)
„Das Vermächtniß“, Schauspiel in drei Akten
Versprechen ab, To
von Arthur Schnitzler.
Kind sofort herbeiz
F. M. Es läßt sich nicht mit Sicherheit behaupten, daß das neue
zu behalten. Der
Schauspiel von Arthur Schnitzler dem Publikum des Deutschen Theaters
dinge ganz vorzüg
besonders gut gefallen habe; gewiß ist nur, daß nach dem letzten Fallen fwirkte auf die Fan
des Vorhanges der Lärm eines ungewöhnlich starken Theatererfolges fnicht nachhaltig.
sich sehr vernehmlich machte. Es gab zwei Parteien im Hause, die das Kind sogar
einander allerdings nicht feindlich gegenüberstanden, die das
die Kinder auf Ros
Stück jedoch offenbar in sehr verschiedener Stimmung auf= Stückes jämmerlich
nahmen. Auf der einen Seite saßen die harmlosen und sinnn erst ein rechtes
unvorbereiteten Theaterbesucher,
diejenigen, welche eigentlich
1 Das Vermächtniß
immer nur ihr theatralisches Abendvergnügen haben, heuzlich
kurzer Hand un
lachen oder weinen wollen und sich um den Gegensatz der Schulen
in ihrer Selbstsucht
und Richtungen im Grunde gar nicht kümmern; diese Herrschaften] Willen des Sohnes
ließen sich durch die drei auf drei Akte vertheilten schrecklichen Todes¬
ständig behandelt,
sälle szenenweise erschüttern, dann lachten sie wieden über den
Jetzt kehren
1
Hjalmar Ekdal des Herrn Reicher, der diesmar Professor
Toni aus
Losatti hieß, aber man wurde während des zoeiten und
lismus es verlang
dritten Aktes
öfter unrahig und selbst unaufmerksam, als
wohl ins Wasser
ob man von dem Fortgange der Handlung unangenehm über¬
Schnitzlers schon
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rascht und von ihrer Notywendigkeit nicht überzeugt worden wäre.
wären dem Publiku
Auf der anderen Seite stand eine festgeschlossene Gruppe von
nicht schließlich ei
Schnitzler=Verehrern, die das Schauspiel feierlich nahmen, das vom
Schuldigen bestraft
Verfasser doch herausgeforderte Lachen mißbilligten und zum Schlusse
allein hält
das 2
namentlich des ersten und lester Aktes wahre Beifallssalven erschallen
sie ihrem philist
ließen.
dafür den Lauf
gekränkt hat. Es u
Arthur Schnitzler wollte diesmet ein Theaterstück schreiben, nichts
aus der Familie ni
als ein Theaterstück; seine hübsche Kunst, Menschen zu zeichnen, sie
natürlich reden zu lassen und Stimmungen leise vorzubereiten, hat
Wer sich
er nur gerade soweit festgehalten, daß sein Schauspiel „Das Ver¬
jedem neuen
mächtniß; nicht einsach mit der Bezeichnung „melodramatisches Rühr¬
sicht ihn schaffen
stück“ abgethan werden darf. Es ist das alte Talent, aber es ist be¬
von einer neuen P
scheidener als frühe in den Tienst eines Theatererfolges gestellt.
ist der witzige Verfass
Seinem Lieblingsthema is Schnitzler freilich nicht untreu ge¬
der „Liebelei“ kann
worden; wieder ist ein gefallener Enges im Rechte gegen
als der klügste unte
die heuchlerische, egoistische bürgerliche Welt. Sonst ging das
Koketterie wie Tal
gefallene Mädchen bei Schnitzler wohl daran zu Grunde, daß der
Frivolität Bilder i
Verführer ein Schwächling war, zwischen Liebe und Verachtung
dabei schien Schnitzl#
schwankte und selbst nicht wußte, ob das ganze Spiel Leidenschaft oder
aber doch so reich z
Liebelei wäre. Im „Vermächtniß“ kommt das Unglück davon, daß der
sordernisse der Kun
Verführer (Herr Rittner) beim Reiten den Hals bricht. Fast der ganze] welche gerade Wie
erste Akt wird damit ausgefüllt, daß Hugo Losatti auf der Bühne! mit Grillparzer und