II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 192

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10. Das Vernaechtnis
Bühne und Welt.
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gelaufen sind und von den Händen geschickter Theatermacher an geschmeidigen Drähten gelenkt
werden — Duppen ohne selbständiges Wesen. Der erste Akt war der beste; die beiden andern
sind überflüssig, denn sie dienen weder zur Entwickelung noch zur Ueberraschung, da der ganze
Kouflikt von der ersten Scene an so durchsichtig ist, daß der harmloseste Provinzial=Backsisch die
Lösung ahnen muß. Zu bedauern waren die Schauspieler, die ihre schönen Kräfte an ein so
läppisches abgestandenes Zeug vergenden mußten. Vollmers angejahrter Baron war leidlich
komisch, da er aus dem abgestandenen Schablonenbelden beim besten Willen nichts herausholen
konnte. Ebenso erging es den Damen Poppe und Mapburg. Herr Thomas war in der Rolle
des reich gewordenen Cöpfermeisters noch am glücklichsten; ist doch diese Figur die einzige im
Stück, die ein ahnungsvoller Dämmer von Lebenswahrheit umwebt. Nach allem verdient es
also das Stück nicht, die zwanzig Aufführungen zu erleben, die (nach einer hiesigen Abendzeitung)
von den Verfassern kontraktlich ausbedungen sein sollen.
Begeben wir uns nunmehr zu einer mehr erfreulichen Darbietung, meine Gnädige, und
folgen Sie mir ins Deutsche Theater, das uns des talentvollen Arthur Schnitzler jüngste
Bühnendichtung „Das Vermächtnis“ in wirklich vorzüglicher Darstellung bescherte. Ich sage
Bühnen=Dichtung — und der erste Akt verdient unumstößlich diese Bezeichnung: er ist das
Werk eines Dichters. Das Ganze bildet eine Art Fortsetzung von Maupassants „Musotte“, die
wir beide im Dorjahr im Residenz=Theater sahen. Dort stirbt die Geliebte, hier der Liebhaber.
der beim Rennen verunglückt und sterbend seinen Eltern das Vermächtnis hinterläßt, Weib und
Kind in ihrem Hause aufzunehmen. In der Stunde des Todes, der seine beklemmenden, furcht¬
baren Schwingen düster über das Haus ausbreitet, nähern sich Menschen, die sonst ohne gegen¬
seitiges Verstehen fremd und getrennt neben einander wandeln, Liebe und Versöhnlichkeit zieht
in harte Herzen, alle Schranken scheint des Todes Hand umgestoßen, alle Mißverständnisse in
einem liebevollen Verzeihen aufgelöst zu haben: leicht ist daher ein Versprechen gegeben, dessen
Einlösung die später gewaltsam andrängenden Umstände und Verhältnisse des wirklichen, täglichen
Lebens nicht halten können. So auch hier: das Vermächtnis des jungen Losatti wird von den
Eltern umgestoßen, Toni muß sich mit Achselzucken und Nasenrümpfen behandelt sehen — und
schließlich wird sie brutal aus dem Hause gejagt. Hugo Losattis Schwester allein hat den Mut
gehabt, das Vermächtnis aufrecht zu erhalten — ja sie personifiziert sogar ein bischen die Vor¬
sehung, indem sie einen der Schuldigen bestraft, die sich an dem „gefallenen Engel“ versündigten,
nämlich ihren Bräutigam, dem sie kurzer Hand den Laufpaß giebt und damit dem Zuschauer das
erlösende Gefühl verschafft, daß wenigstens ein Mitglied dieser Familie edel und korrekt zu
handeln weiß.
Wie gesagt, ist der erste Akt der beste; aber in den folgenden verliert der sichere, weges¬
kundige Verfasser des „Anatol“ und der „Liebelei“ die rechte Straße ganz und gar; da ergreift
ihn die Hand Ifflands, die ihn aus dem Irrsal auf das rettende Land der Sentimentalität glücklich
zurückführt. Die Aufführung, ich wiederhole es, war in jedem Dunkte vorzüglich, und ich müßte
Ihnen, meine Gnädigste, den ganzen Zettel kopieren, um jedem der Darsteller gerecht zu werden.
Den lächerlichen Dater gab Reicher, die platte, banale Mama Frau von Pöllnitz, die Toni Frau
Else Lehmann; auch die Kunst Oskar Sauers zeigte sich im besten Lichte, der aus einem lehr¬
heften Doktor einen vollen Menschen zu machen verstand. Um keinen der trefflichen Mithelfer
am Werke zu übergehen, nenne ich Ihnen noch Lonise Dumont — die mir diesmal allerdings
nicht recht einwandsfrei erscheinen wollte — Herrn Rittner (als Liebhaber) und Herrn Winter¬
stein, den Sie gewiß noch als Pfarrer von Kirchfeld aus dem Schillertheater in bester Eritnerung
haben werden.

Aus der Schillerstadt Weimar will ich Ihnen in Kürze berichten, daß — wie mir ein
Freund von dort mitteilt — Karl Weiser, der bekannte Akeininger aus den achtziger Jahren, die
glänzendste und stilvollste „Wallenstein“=Aufführung zur Hundertjahrfeier vom Stapel ließ. Es
soll eine Meisteraufführung gewesen sein, und es interessiert Sie vielleicht, verehrte Freundin,
den schönen Prolog zu lesen, den der bei solchen Anlässen schon oft erprobte Wildenbruch zu dieser
Feier gedichtet hat; seine Derse hat Rosa Poppe auch im Berliner Schauspielhause gesprochen.
Dem Sklaven gleich, der vor der Geißel zittert,
Am Himmel düster loderten die Sterne,
Der Macht sich beugend, eigner Kraft entmannt,
Heut, als der Tag vor hundert Jahren war.
Vermorscht, zerfetzt, vom Untergang umwittert,
Gewaltthat hob sich klirrend in der Ferne,
In Ohnmacht kauerte das deutsche Land.
Um Häuser schlich und Höfe die Gefahr.