II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 191

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10. Das „rmaechtnis box 16/3
Bühne und Welt.
Hier tritt der entscheidende Wendepunkt ein: Engele wirkt vom Pfalzgrafen Jörgs Be¬
freiung aus, und ihr Flehen und zärtliches Locken macht ihn seiner Sache untreu und sogar
soweit abspenstig, daß er, dem Pfalzgrafen dienend, eine Botschaft an die Bauern übernimmt,
die während er den Auftrag ausrichtet, von dem hinterlistigen Pfalzgrafen überfallen und zerstreut
werden. Don seinen Freunden als Verräter an der guten Sache der Bauern gebrandmarkt, sucht Jörg,
nach Cötung seines Feindes, die versprengten Bauern auf, wo ihn, den Verräter, der gesuchte Cod
trifft. — Dies, verehrte Freundin, ist — so gut ich sie wiederzugeben vermochte — die Handlung
des „deutschen Schauspiels“. Und nun werden Sie vielleicht, noch ehe Sie nach der Darstellung
sich erkundigen, die Frage an mich richten: was ist denn ein „deutsches Schauspiel“? Und Sie
werden sich diese Frage dahin beantworten, daß Sie sagen: Jedes Schauspiel, das „deutsch“ ge¬
schrieben ist! Ganz recht — aber der Trugenhoffen ist eben nicht deutsch geschrieben, sondern
mit einer an archaistischen Wendungen und Ausdrücken überreichen Sprache; ergo ist die Be¬
zeichnung „deutsches Schauspiel“ ein ganz falsches Aushängeschild und wäre vielleicht nur dann
berechtigt, wenn dies Stück ein Kulturbild aus dem 16. Jahrhundert böte oder sonst irgendwie
historisch wäre. Jörg Trugenhoffen kann aber überall spielen und zu jeder Zeit, die einen
kriegerischen Hintergrund bietet. Was die Handlung anbetrifft, so ist sie teilweis romantisch,
teilweis opernhaft — ja, ich behaupte geradezu, daß es ein Opernstoff ist, der hier eine zufällig
dramatische Bearbeitung gefunden hat. — Trotz alledem oder gerade deswegen bekundet Stratz
auch in dieser Arbeit wieder einen feinen Sinn für das Poetische und Realistische — soweit
letzeres Wahrheit und Natürlichkeit bedeutet — auch die Seenenführung zeigt meistens eine
straffe, geschickte und sichere Hand. Aber die Figuren sind marklos, schemenhaft, nur in ver¬
schwimmenden Umrissen gezeichnet: lange Zwiegespräche werden geführt, die um keinen Schritt
die Handlung vorwärts bringen — ganz wie im Duett einer Oper. Die schön und sicher in¬
seenierte Aufführung war in jedem Dunkte lobenswert. Matkowskv, Pohl, Molenar, Kraußneck,
Ludwig, Arndt und Dollmer sowie Fräulein Lindner boten vorzügliche Leistungen. Wir hoffen
Rudolf Stratz, den tüchtigen strebsamen Doeten, an dieser oder einer andern Stelle bald wieder
begrüßen zu können, dann aber in einem Werke, das aus der lebendigen, warm pulsierenden
Gegenwart schöpft, die auch ihm wie jedem andern echten Dichter allein die Kraft giebt, wahre,
scharf umrissene, treu beobachtete Gestalten zu zeichnen, Gestalten, die Blut und Herz haben,
keine Figuren, sondern Menschen, wie wir sie aus seinen andern Werken kennen und lieben
gelernt haben! Und dann, verehrteste Freundin, werde ich Ihnen von einem vollen Erfolg zu
berichten haben. — Es kann eben ein Dichter auch schwache Stunden haben; aber auch in diesen
zeigt er, daß er wenigstens ein Dichter ist und trotz eines Fehlgriffes noch immer unser Lob und
unsere Bewunderung verdient. Soviel von der einen Neuheit des Schauspielhauses, von der
einen, die nicht gut war; nun zu der andern, die nicht neu ist und sich „Auf der Sonnenseite“
nennt, trotzdem sie nichts von der Sonne derjenigen Poesie zeigt, die doch selbst die dürftigsten
Scenen des eben besprochenen Stückes durchleuchtete.
„Man hört bisweilen — in karger Zahl —
Gescheidte Worte zum erstenmal,
Doch nie sind mir Dummheiten vorgekommen,
Die nicht schon ein andrer vorweggenommen.“
Ich wette, gnädige Frau, Sie wissen nicht, von wem dies mokante Epigrämmchen stammt?
Es ist eine rührende Aufrichtigkeit Oskar Blumenthals und steht in seinem soeben bei Ulax
Simson erschienenen Bändchen Epigramme, das er unter dem Titel „Merkzettel“ ediert hat. Und
wissen Sie, warum ich es Ihnen mitteile? — Ja, Sie haben es längst erraten, es könnte gleichsam
als Motto seines neuen Bühnenwerkes gelten, das eine teilweis sehr lustige, teilweis entsetzlich
blöde Dorstadtposse ist, die von dem unglaublich anspruchs= und kritiklosen Hoftheaterpublikum
weidlich beklatscht und nur zum Schlusse bezischt wurde, vielleicht weil man von den Rössel¬
„Dichtern“ denn doch ein wenig mehr Witz und Originalität erwartet hatte. Statt dessen bog
die im ersten Akt flott und vielversprechend einsetzende Handlung, die im zweiten Akte schon
bedeutend schaler und matter wurde, im dritten zu einer ganz trivialen, Kotzebneartigen Lösung
um. Zwei junge Aristrokraten haben ihr Geld verjurt und verlieben sich in eine reiche junge
Erbin — in der Notlage bewährt sich aber die Tüchtigkeit der beiden Barone, sie erringen Geld
und Weib; der eine die bürgerliche Cöpfertochter, der andere die Komtesse. Die Lücken werden
durch Possenzuthaten und durch die billigen Gegensätze von vornehm und gering ausgestopft;
Sie sehen, es sind alles Huppen, wie sie seit Kotzebne zu Causenden über die deutschen Bühnen