II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 196

Mlie grlehrien und kanzwietigen Epay über den hitorischen Vergerne,
von dessen Existenz er gewiß vor ein paar Monaten noch keine Ahnung
hatte. Und alle Liebesmüh' umsonst! Nicht einmal der alte Brahminen¬
kniff verfing, der sich bei den „Webern“ und bei „Johannes“ bewährt
hatte: der Zeitungslärm über angebliche Censurstriche und drohende
Verbote des Stücks. Der einzig von der Gegenwart“ constatirte
„matte“ Erfolg ist also nicht mehr zu verschleiern. Dem trotz einer
Meisterscene im ersten Akt und bei all' seiner blühenden Grazie im
Grunde langweiligen und kindischen Handegenstück ist bereits eine andere
Novität gefolgt. Ebenfalls ein Mißerfolg.
Herr Schnitzler liebt sehr die gesellschaftrevolutionären Thesen.
Seine scharfe Satire nagelt die moderne Salonlüge, die niederträchtige
oder dumme Convention fest, wo sie sie findet, und malt uns dicht da¬
neben die Schnitzler'schen Ideale von vernünftiger, freier Lebensführung.
Diese Ideale sind, wie Andere mehr, wunderbar schön zu schauen, und
das Theater des Zukunftsstaates wird, falls Schnitzler unter die Classiker
einrücken sollte, seine Stücke mit Begeisterung spielen, während das ge¬
ehrte Publicum sprachlos den Kopf schütteln wird über die moralinsaure
Verbohrtheit seiner Ahnen. Auf der Bühne von heute allerdings, die
noch nicht reif ist für alle Offenbarungen des Realismus wirkt die
Satire des scharfen Kritikers Schnitzler zuweilen deplacirt und richtet sich
gegen den eigenen Vater. Der junge Herr beispielsweise, der im ersten
Act des „Vermächtnisses“ langwierig an einer Gehirnerschütterung stirbt,
den Eltern aber vorher an's Herz legt, das Mädel seiner Liebe und seinen
pierjährigen Bubi in ihr sauberes Haus zu nehmen, dieser junge Herr hat
es mit Herrn Schnitzler's Zustimmung für recht und billig erachtet, die arme
Dirne ein halbes Jahrzehnt lang unehelich zu lieben. Er hätte sie recht
wohl zu seinem Weibe machen können, aber er war zu feig dazu, zu tief
in der conventionellen Lüge erstickt, zu abhängig vom Urtheil der Welt.
In dieser Schändlichkeit jedoch findet Herr Schnitzler nichts. Dagegen
leert er die Schale seines gerechten Zornes über die Eltern aus, die es
am Ende des dritten Actes ablehnen, das drückende Vermächtniß ihres
Sohnes weiter zu respectiren. Die guten Leute geben sich, jeder in
seiner Art, anfänglich alle Mühe, die Geliebte ihres Sohnes und sein
Kind als vollkommen zum Hause gehörig zu betrachten. Sie nehmen
dabei so wenig wie der egoistische Erblasser, dessen ideales Fühlen auf
dem Todtenbette ihn nichts mehr kostete, Rücksicht auf die einzige Tochter
des Hauses, ein reines und braves Geschöpf. Man muß gestehen, für
eine bessere Spießerfamilie ist solcher Hochflug der Gedanken, so muthiges
AAufbegehren gegen die Convention schon aller Ehren werth. Daß ihnen
die Hinterlassenschaft immer lästiger wird daß der Verlust ihrer guten
Freunde, die sich chockirt von ihnen zurückziehen, sie schmerzt und stutzig
macht — wer dürfte deßhalb einen Stein auf sie werfen? Doch nur, wer
nicht zu erkennen vermag, daß der Bestand jeder immer wie gearteten
Gefellschaft unmöglich ist ohne die Regeln vom äußeren Anstande, daß sie
zusammenbricht ohne das conventionelle Sittengesetz und daß sie deßhalb
keinem ihrer Mitglieder erlauben darf, darüber hinweg zu voltigiren. Freie
Geister, besonders der Galleriepöbel, der am vergangenen Sonnabend wieder
Joekelhaft aufdringlich Beifall brüllte und grunzte, mögen diese Anschauungen
ämmerhin für philiströs erklären. Aber als im zweiten Acte auch das
Kind der jungen Dame sich hinlegte und starb, da drängte sich uns die
Frage auf, ob das stramme Mädchen denn nun wirklich noch länger die
Gastfreundschaft der geplagten Familie mißbrauchen würde. Herr
Schnitzler hielt das für selbstverständlich; wir für unsern Theil hätten
es einem so feinfühligen Geschöpf, wie die Toni Weber doch sein soll, nicht
zugetraut. Daß sie sich die Aufkündigung von Kost und Logis gewaltig zu
Herzen nimmt und in's Wasser geht, das macht vielleicht der dramatischen
Begabung des Autors Ehre, denn er hat nun drei Todte, in jedem Act
einen. Für das gesunde Empfinden jedoch liegt eine thränenselige,
widerliche Sentimentalität darin, eine durch nichts gerechtfertigte Un¬
wahrhaftigkeit. Toni stirbt nur der schiefen These ihres Dichters zu
Liebe, dessen Socialkritik auf halbem Wege stehen bleibt oder das Messer
überhaupt an falscher Stelle ansetzt. — Vom ersten Aufzuge abgesehen,
der eine unerhört breite und schwerfällige Exposition bringt, ist das
Stück sauber und im Ganzen recht geschickt gearbeitet. Freilich ver¬
hinderte der dürftige und unfruchtbare Stoff das Aufkeimen einer kraft¬
vollen, durchgeistigten Handlung. Ohne den selbstsüchtigen Streber und
Emporkömmling, der mephistophelisch Alles gegen die arme Toni auf¬
hetzt und dafür am Schlusse gebührend abgestraft wird, bliebe der Karren
überhaupt gleich von Beginn des zweiten. Actes an im Sande stecken.
Doch auch seine schändlichen, unermüdlichen Intriguen füllen nicht drei
lange Aufzüge, und so muß denn tausenderlei Krimskrams, müssen von
Außen herangetragene Motive und langweilige, nutzlose Retardirungen
dabei mit helsen. Der lärmende, zeitweilig in wüsten Radau aus¬
artende Beifall, den das Drama bei seiner Erstaufführung fand, wird
aus all' diesen Gründen nicht lange vorhalten.
Director Neumann der Hofer scheint Dreyer's „Großmama“ nicht
Inach deren Werth ausnützen zu können, denn auch er hat ein neues
Stück bringen müssen, um sein Theater wieder zu füllen. Es ist ihm
aber schlecht bekommen. Sardou's neue Rejaniade taugt nicht viel,
zwenigstens nicht halb so viel wie die immerhin unterhaltende „Madame
Sans=Gene,“ und die Inscenirung und Besetzung im Lessingtheater that
nicht das Geringste für das Gelingen des Stückes. Wer eine der glanz¬
und geschmackvollen Aufführungen im Pariser Vaudeville mit der Réjane
kund dem geistreichen Huguenet als Barras oder auch nur deren
hübsche Nachahmung im Wiener Deutschen Volkstheater mit Frln. Odilon
als Pamela erlebt hat, empfand im Anblick der neuesten Neumann¬
Hoferei wieder einmal so recht die Wahrheit von Rahel's Klage, daß in
Berlin sogar der Papst ruppig würde. Der Sonntag=Nachmittagsprediger
Adolf Klein mit seinen bewährten Kunstpausen oder das fürchterliche
Frl. Jenny Groß — „zu meiner Rolle gehört nichts als etwas Selbst¬
bewußtsein und volle Schultern,“ sagt zwar Pamela, aber sie meint als
selbstverständlich auch Talent was eben Frl. Groß fehlt — oder die
abgeschmackte und schäbige Nachäffung der Pariser Decorationen und
Figurinen —
„Vorüber, ihr Schafe, vorüber,
Dem Schäfer wird gar zu weh!“
Das Drama selbst mit seinen sieben Tableaux gehört in die Classe
der historischen oder antiquarischen Stücke, wie Thermidor, Tosca,
Theodora, Sans=Gene 2c. Sardon ist nämlich nicht nur ein Mann
von Talent, der mehr Geist hat als alle seine Nachfolger zusemmen,
und ein meisterlicher Regisseur, der das scenische Arrangement souverän
beherrscht, sondern auch ein Historiker, der mehr weiß, als mancher
zünftige Professor, und ein Sammler und Kunstfreund, der seine liebe
Freude an historischen Costümen und Sittenbildern hat. Leider ist er aber
auch ein dramatischer Handwerker der über die Theatralik nie hinaus
kommt, Alles dem augenblicklichen Beifall unterordnet und nur ganz
auf die Dramaturgie des einstigen Bühnenbeherrschers Seribe schwört.
Und der selige Seribe verdirbt ihm auch hier alle historische Wahrheit,
alle innere und äußere „Richtigkeit“. Das ungeheure Mitleid, das die
Personen des Stücks wie die Zuschauer mit dem zu rettenden kleinen
Prinzen=Märtyrer fühlen, verkehrt sich jeden Augenblick in das Gegen¬
theil, wird zur Grimasse und zum frivolen Scherz. Ebenso werden seine
historischen Menschen, die Sardon in ihren Eigenschaften und Sitten
gewiß ebenso genau kennt, wie Taine oder die Goncourts, auf der
Bühne zu physiognomielosen, kleinlichen, uninteressanten Puppen, deren
Handeln und Reden uns immer gleichgiltiger wird und zuletzt auf die
Nerven fällt. Schon der erste Act ist bezeichnend für Sardou's über¬
geschickte Theaterhandwerkerei, wie da nach einander ein Haarkräusler,
ein Aufpasser, ein Spion, endlich die marchande de frivolités zu
Barras kommen, um ihn, sich selbst, das Milieu und die Handlung zu
exponiren. Und derselbe Barras, der Pamela noch nie zuvor gesehen hat,
bezahlt ihr nicht nur ihre Rechnung für seine Maitresse Josephine de Beau¬
harnais, sondern plaudert ihr alles Nöthige und Unnöthige über diese damalige
Cocotte und spätere Kaiserin aus, ja giebt ihr sogar eine kleine Abhandlung
zum Besten über die politische und sociale Lage Frankreichs, über die
Parteien, die Verschwörungen, den Plan zur Entführung des gefangenen
Ludwig's XVII. u. s. w. Nicht genug! Die bisher ganz unbekannte
Modistin wird sogar von Barras und den hinzukommenden Damen
Tallien und Beauharnais zum Frühstück eingeladen, wobei diese zwei
Hetären den Wunsch äußern, den kleinen Dauphin zu sehen. Und
Barras führt sie wirklich stehenden Fußes in den scharf bewachten
Temple, „wie in den grünen Wald“ ja die ihm, wie gesagt, ganz un¬
bekannte Pamela ist auch von der Partie, noch mehr, sie bleibt eine
volle Stunde allein mit dem Königskind!! Wenn uns eine naive
Jugendschrift oder ein Weihnachtsroman derlei Unmöglichkeiten auftischen
wollte, so würden wir lächeln, aber der „Historiker“ Sardou — das ist
doch verdrießlich. Wir haben mit heißem Bemühn die drei beleibten
Bände von Barras' Memoiren durchstudirt und fanden da den intri¬
ganten Politiker, den Henker Robespierre's und Niederwerfer der Roya¬
listen, den cynischen Wüstling, den bestechlichen Verräther, einen Ver¬
leumder, Lügner, Schuft und Lump aber nirgends einen Dummkopf.
Diese historische Entdeckung ist ausschließlich das Verdienst des Monsieur
Sardon, der, ein überzeugter Imperialist, wie seine Collegen Augier,
Dumas und Feuillet, vielleicht mit seinem Stücke zugleich wieder ein paar
republikanische Legenden zerstören wollte.
Den Erdirector Blumenthal scheint die Nemesis sehr bald zu
treffen. Es ist ihm zwar unbegreiflicher Weise gelungen, für sein neues
Stück die Hofbühne offen zu finden, aber der laute Beifall war ohne
Ueberzeugung, zuletzt behielten die Zischer die Oberhand, und man
braucht kein Prophet zu sein, um dem unglaublichen Machwerk nur ein
kurzes Scheinleben vorauszusagen. Sogar die Mitternachtkritik urtheilte
sehr lau — natürlich: Oscar ist kein blutiger Reeensent mehr und hat
auch über keine Freibillets mehr zu verfügen, und so sieht man denn
schon jetzt seinen Niedergang voraus, wie ihn die L'Arronge, Wilbrandt,
Lindau erlebt haben, die doch sämmtlich viel talentvoller waren. Diesmal
beginnt das Plagiat schon im Titel, denn „Auf der Sonnenseite“ heißt
ein sehr amüstntes Skizzenbuch des prächtigen Wiener Humoristen Lud¬
wig Hevesi. Eine Erzählung der zusammengeborgten, breitgetretenen
läppischen Handlung ist ebenso zweck= als reizlos. Es genüge zu be¬
merken, daß die Philistermoral des Stückes die prosunde Weisheit
predigt, daß die Sonne des Lebens nur da ihre wärmenden Strahlen
spendet, wo wackere Arheit gedeiht. Wenn wir hinzufügen, daß Blumen¬
thal wieder einmal den Anspruch erhebt, literarisch, sozusagen als Dichter
genommen zu werden, daß er in Folge dessen keinen simplen Schwank
sondern mit Verlaub ein feines Lustspiel schreiben will, so weiß der
gewitzigte Leser schon im Voraus, wieviel gespreizte Langeweile und
verlogene Sentimentalität sich da breit macht. Auch die Provinztheater
seien wohlmeinend gewarnt. Leid ist es einem nur um die Darsteller
des Schauspielhauses, die ihre Kunst an einen solchen Schmarren ver¬
geudeten, vor Allen um den trefflichen Herrn Vollmer, dem das Unmög¬
liche gelang, aus dem Pechvogel halbwegs einen wirklichen Menschen zu
ma
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