II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 197

box 16/3
10. Das Vernaechtnis
Das Vermächtniß.
133
n
Das Vermächtniß.
err Hugo Losatti stürzt beim Spazirenreiten im Prater vom Pferd und
522 wird sterbend ins Haus seiner Eltern geschleppt. Gehirnerschütterung
oder so etwas Aehnliches. Furchtbarer Schreck in der Familie des liberalen Reichs¬
rathsabgeordneten und Professors Losatti. Aber man sieht ja nichts, keine Wunde;
also wirds wohl so schlimm nicht sein. Nur Hugo selbst weiß, daß er sterben muß,
und möchte, ehe das Bewußtsein ganz verlischt, eine lastende Sorge sich von der
Seele wälzen. Er hat ein Kind, einen Knaben. Ganz nah bei den Eitern wohnen
sie, hoch, nach dem Hof hinaus, Mutter und Sohn. Das Verhältniß hat nun
manches Jahr schon in stillem Frieden bestanden. Ein gutes, süßes wiener Mädel,
uneigennützig und treu, ganz weiche Sinnenfreude und anschmiegsame Hingebung.
Sie war früher Arbeiterin, lernte den Hausherrnsohn vielleicht in Nußdorf oder
beim feschen Strauß kennen und lebt seitdem nur für ihn, bescheiden und seelen¬
vergnügt, von seinem reichlichen Taschengelde. Der Mutter beichtet ers; seine Toni
muß mit dem Franzl ins Haus, muß hier ihre Heimath finden; die Schutz¬
losen dürfen nicht allein stehen, sonst kann er nicht ruhig sterben. Die be¬
thuliche Dame hat sich schon gedacht, daß ihr Hugo irgendwo was Liebes ein¬
gemiethet hat; deshalb ist er auch noch nicht der Cousine Agnes verlobt, die
ihn bachsischig anschwärmt und deren Mutter noch unter dem ergrauenden Scheitel
für den hübschen Neffen erglüht. Ein Kind... unangenehme Komplikation. Aber
Mama ist gerührt, ist am letzten Bett des Lieblings schmerzlich bewegt und
verspricht Alles. Auch der Papa entdeckt nach einigem Zögern und Zanken sein
liberales Mannesherz und wird dem Vorurtheil der Gesellschaft trotzen. Toni
und Franzl sollen ihr Leben lang gehalten werden, als wären sie Fleisch und Blut
vom Familienleib der Losattis. Sie werden herbeigeholt; und der Kleine wimmert
am Leichnam des Vaters aus blassen Lippen: „Papa!“ Toni ist gutmüthig
und still, Franzl ist schwach, verzärtelt, scheu, aber niedlich. Hugos Vermächtniß
wird der Familie heilig bleiben... Aber da ist so ein ekliger Hausarzt. Früher, in
den alten Theaterstücken, die der ganzmoderne Sinn so sehr verachtet, hätte er
Schäbig, Argheim oder Duckdich geheißen; jetzt heißt er Dr. Ferdinand Schmidt.
Denn wir sind Realisten. Dieser Doktor meint, die unverehelichte Wittwe Toni
Weber tauge nicht in ein ehrbares Bürgerhaus, nicht neben einen halbwüchsi¬
gen Jungen und ein schlankes Jüngferchen das nächstens Frau Dr. Franziska
Schmidt heißen soll; Franzl: ja, allenfalls, er ist „Hugos Blut“, aber die trau¬
scheinlose Mutter: nein. Da ist ferner Agnesens Mama. Früher hätte sie
Frau Wahrmund oder Ohnefalsch geheißen; jetzt heißt sie Frau Emma Winter.
Denn wir sind über Kotzebue und Iffland längst hinaus. Diese Frau Winter muß
dem edlen Grafen Trast verwandt sein; sie liebt es, wie er, mit schönen Reden
über Gemeinplätze zu schlendern und gute Lehren zu geben, die das Publikum