II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 221

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10. Das Vernaechtnis
Seite 3.
Beil. z. Boh. Nr. 52.
Codex steht, völlig aus dem Spiele l. sen. Schnitzlertreiben? Nein, dieser Schluß ist ein Advocaten=sd
— er nützt der gutens9
schluß, eine Plaidoyerfinte,
spricht und gestaltet im Auftrage dieser Empfindung,
*
Sache nicht, für die der Autor mit so warmem
die zu einem neuen Gesetze hindrängt; aber gerade,
Gefühle eintritt, und er umnebelt zuletzt die Natür¬
weil diese Ehrlichkeit in ihm waltet, weil der Hauch
si
lichkeit, die der Autor in Wort und Charakteristik
des inneren Erlebnisses aus seiner Dichtung entgegen¬
u
sonst so sicher hervorzukehren weiß.
weht, hebt sich das Erkünstelte, die Zuthat, die der
st
Die Aufführung des Stückes war noch nicht in
Tendenz dient, umso schärfer ab. Daß es sich im
allen Theilen ausgedieben, aber in der Hauptsache, in sa
Schauspiel nicht in erster Linie um das Vermächtniß
Gegeneinanderspiel der Charaktere glücklich. In den an id
handelt, fühlt wohl jeder Zuschauer heraus. Das
schärfsten umrissenen gesellschaftlichen Typen trafen
Versprechen, das die bestürzten Eltern dem sterbenden
Herr Schmidt und Herr v. Wymetal das We= (
Hugo geben, ist ja nicht wie Fuhrmann Henschels
sentliche. Herr Schmidt hätte als Losatti der unfrei¬S
treuherzige Zusage eine Offenbarung des inneren
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willigen Komik der gespreizten Selbstgefälligkeit und
Menschen, in der sich das beste Theil des Wesens zu¬
der biegsamen Grundsätze einen noch freieren Lauf
sammenfaßt, sondern ein aus der Situation heraus¬
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lassen können; aber die Grundzüge des Charakters
gequältes, von Schreck und Pein eingegebenes Wort
waren gut getroffen, der Gegensatz zwischen der ge¬
der Beruhigung. Es soll auch nicht mehr sein, als die
wandten Repräsentation und der inneren Hohlheit
Maschine, die die Frage aufrollt und die bürgerliche
that seine Schuldigkeit. Herr v. Wymetal wußte das
Welt in Bewegung versetzt. In Wahrheit handelt es
grämlich=nüchterne, philiströs=selbstbewußte Wesen des
sich um Recht und Anspruch der Frau, die nach kirch¬
unerquicklichen Dr. Schmidt consequent festzuhalten.
lichem und bürgerlichem Brauche nicht Gattin heißt,
Frl. Erl trat für die Franzi mit frischem Tempera¬
aber ihren Mann glücklich macht und aue Pflichten
mente ein. Im letzten Acte überschrie sie sich ein
der Gattin und Mutter in hingebungsvoller Weise
wenig, aber es war Natur in dieser überschäumenden
erfüllt. Nicht nach der juristischen Seiie hin, sondern
Kraftäußerung, die nicht ohne Widerhall blieb. Frl.
nach der des Gefühles wird diese große Frage aufge¬
Immisch brachte in der weiblichen Hauptrolle
worfen. Meisterhaft sind die Charaktere gezeichnet,
Empfindung genug ins Spiel und zeigte Verständniß
die zu dem Problem Stellung nehmen, sind vorge¬
für den prunklosen Ton einer ehrlichen Natur; aber
täuschte und echte Empfindungen gegeneinander ge¬
ihr ganzer Habitus und die Klangfarbe ihrer Stimme
halten. und wenn zuletzt die jugendliche Sprecherin,
sind dem Eindruck des Schlicht=Volksthümlichen nicht
der der Autor die stärksten Naturlaute der eigenen
günstig — Frl. Fasser hätte Vergangenheit und Wesen
Empfindung auf die Lippen zu legen scheint, für das
der Heldin lebhafter in die Vorstellung gerufen. Herr
Naturrecht des treuliebenden Weibes eintritt und die
John gab die Sterbescene recht ergreifend, nur das
Vorstellung von sich weist, daß irgend etwas, „was
Uibermaß kräftiger Bewegungen war in mehr als
einen guten Menschen glücklich macht, eine Sünde
einer Beziehung von Uibel. Frl. Baumgart hatte
sein kann“, gelingt es dem Dichter, mit sich fortzu¬
als Emma Winter den rechten vornehmen Ton inner¬
reißen. Demonstrativer Beifall bei offener Scene be¬
licher Uiberlegenheit, Frl. Urfus vermittelte den
zeugte bei der Erstaufführung diese Wirkung. Aber
Charakter der Agnes mit Verständniß, nur etwas zu
mit einem einzigen gewaltigen Stück ist die Frage
kleinlaut, und Frl. Ehrhardt war, soweit sie das
nicht zu lösen. Das ist nur eine momentane Befrei¬
Wort verständlich brachte, in der Mutterrolle ganz
ung des Gefühles, keine Entwirrung des Problems.
leidlich. Entschiedenes Lob verdienen Herr Tauber,
Der Autor hat das selbst empfunden und in einer feinen
der für das schlichie Wesen des theilnehmenden
Wendung angedeutet. So sehr er die Personen, die sich
Freundes die rechte Empfindung zeigte, und Frl.
kleinlich und eugherzig gegen seine Heldin verhalten, in
den Schatten stellt, ein so gelles Licht er auch über Bardi, die den Gymnasiasten mit guter Laune gab.
Der sehr günstige Erfolg des Schauspiels wurde be¬
die Menschen der freieren Empfindung ausgießt,
A. A.
hat er es doch nicht versäumt, auch in das Naturs reits festgestellt.
Neues dantschas Tharton NDr MIäc.
recht des Gewordenen und Uiberlieferten hineinzus
leuchten. Die herzhafte, gefühlvolle Agnes erklärt zu¬
letzt, mit Toni nicht zusammenleben zu wollen; ihr
Gefühl sträubt sich dagegen und wenn darin auch die
späte Eifersucht, die nach dem Tode des geliebten
Kindes frei wird, mitwirken mag, so liegt doch in
dieser Eifersucht selbst ein gewisser, nicht recht zum
Bewußtsein gelangter Mädchenstolz, eine stille Auf¬
lehnung der rückhaltenden, entsagungskräftigen Liebe
gegen die schrankenlose und hingebende um jeden
Preis. Dieser leise Naturlaut ist den kräftigeren der
Franzi hinzugesellt. Ein Ursprüngliches kämpft gegen
ein Ursprüngliches, das Recht der Scham gegen das
Recht der Leidenschaft, die verschlossene Mädchen¬
haftigkeit gegen diefrücksichtslose Weiblichkeit. Psychische
Phänomene streiten da gegen einander und im Sinne
dieser offenen Frage, die so fein angedeutet ist, hätte
der Autor schließen und das letzte Wort wie in
„Liebelei“ dem Gefühl des Zuschauers überlassen
sollen. Aber es drängt ihn zuletzt zu einer hand¬
festeren Wirkung hin, und um das Urtheil über die
Gesellschaft zu einem vernichtenden zu machen
läßt er die Heldin an der Grausamkeit, die sie ver¬
stößt, zu Grunde gehen. Diese Uibertreibung der
Tendenz rächt sich: der Schluß des Stückes über¬
redet, aber er überzeugt nicht. Soviel der Autor