II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 223

der junge Autor es nicht mhr nöthig hälte, sich auf zwar im Stücke vielsach die Rede, aber es i dochuch
diesem Gebiete noch weiter zu vertiefen und nach blen= das Grundmotiv. Was der Dichter uns in seinem
denderen Effecten auszugehen. Daß dies geschehen sei, Bilde sagen will, hat er selbst an den Schluß des
hoffen wir im Gegentheile bei einer nächsten Gelegenheit Stückes gesetzt: wir müssen einfach gut sein. Der Heldin
des Stückes wird im Grunde nichts vorenthalten, was
feststellen zu können.
Was uns aber schon heute befriedigt, ist die Zu¬ nach dem Gesetze und nach dem Herkommen erwartet
rückhaltung in Bezug auf grelle Contraste von Farben werden kann. Aber es fehlt bei allem das Entscheidende,
und Rhythmen wie auch die Unterlassung aller tech= das jede Gabe und jedes Verhältniß allein menschen¬
nischen Bizarrerien, die gleich schädlichen Vakterien an der würdig macht — die Herzlichkeit und Güte.
Toni Weber ist durch mehrere Jahre die Geliebte
Gesundheit der meisten neuen Tondichter zehren. Die
Neigung zu orchestralen Einlagen oder sogenannten In= des jungen Doctor Jur. Hugo Losatti gewesen. Aus
termezzi, wie sie die neuere Schule ereirte, erscheint nicht dem Verhältnisse entsprang ein Söhnlein, und von da
nur wegen der Kürze der äußeren Scenenvorgänge, ab hat Hugo seine Geliebte als seine Braut betrachtet.
sondern auch vom Standpunkte der Motivirung recht Aber ’er hat nicht den Muth, seiner Familie, insbeson¬
wohl am Platze. Die Vogelstimmen der kleinen Wald= dere seinem Vater, dem Universitäts=Professor Adolf
d ie Maliiusdusbt and Losatti, das Geheimniß zu verrathen, weil er weiß, daß
Alles daran gesetzt würde, es zu lösen. Er ist noch jung
und wartet die günstige Gelegenheit ab. Aber sein
Schicksal will es anders. Er stürzt bei einem Spazier¬
eitte vom Pferde und wird bewußtlos nach Hause gebracht.
Da er wieder zum Bewußtsein kommt, fühlt er, daß es
zu Ende geht, und spricht seiner Mutter gegenüber den
dringenden Wunsch aus, daß Toni und ihr Knabe
Franz ins Haus genommen werden. Die Mutter hat es
ihm schon zugesagt, als der Professor nach Hause kommt
und Bedenken darin findet, die Geliebte und das Kind
des Haussohns so ohneweiters einzus ihren. Ihm bangt
insbesondere um die Moral seiner Tochter Franziska.
Um kein Aufsehen zu machen, holt er Toni selbst unter
dem Vorwande, daß sie als Wärterin verwendet werden
solle. Aber Franziska ist besser unterrichtet als ihr
Vater; sie hat den Bruder mit Toni und dem Kinde ge¬
sehen und nur vorsichtig geschwiegen. Toui kommt an
das Bett Hugo's und wird von ihm der Familie auf
das dringendste empfohlen — sie und ihr Kind. Man
sagt ihm die Gewährung seines Wunsches zu. Hugo will
noch seinen Sohn sehen; aber während Toni ihn zu
holen geht, haucht er seinen letzten Seufzer aus, und
der Knabe kommt nur zur Leiche des Vaters. Es wurd:
schon gesagt, daß der erste Act, dessen Handlung die
eben bezeichneten Vorgänge bilden, voll Leben und Be¬
vegung ist und die Theilnahme ungewöhnlich stark
anregt.
Toni lebt nun thatsächlich in dem Hause des Pro¬
fessor Losatti, und obgleich die Gesellschaft in verschiedener
Weise zu erkennen gibt, daß ihr die Aufnahme eines
solchen Mädchens in das angesehene Haus eines Uni¬
versitäts=Professors nicht gerade angemessen scheint, so
behält man sie doch, vor allem um des Kindes willen,
das nun einmal das Enkelkind des Professors ist. Es
vird viel Gewicht darauf gelegt, daß Toni einzig und
allein als Mutter des Knaben im Hause geduldet werde.
Augenehm wird ihr der Aufenthalt nicht gemacht, und sie
bekommt es genug zu hören, daß die vornehmen Leute
Dr. v. D. bas Haus seit ihrem Aufenthalte in demselben meiden.
Ol Reues deutsches Theater. („Das Der eifrigste Verfechter der Sitte, ist Dr. Schmidt, der
Vermächtniß.“ Schauspiel in drei Acten von Arthur als zukünftiger Bräntigam Franziska's das Recht in
Schnitzler. Zum erstenmale aufgeführt am 18. Feber Anspruch nimmt, im Hause mitzureden, und sich gleich
1899.) Ein neues Werk von Arthur Schnitzler nimmt dagegen verwahrt hat, daß Toni Hausgenossin seiner
von vornherein das allgemeine Interesse in Anspruch. Braut werde. Doch hat Toni auch mild gesinnte Freun¬
Schnitzler ist vielleicht der einzige Dichter, der das nebel= dinnen, so insbesondere die Tochter des Hauses Fran¬
hafte Hindämmern der jungen Wiener Schule vollständig ziska und die Schwägerin des Professors Emma Winter,
überwunden hat und mit Beibehaltung jenes geheimniß= die voll ehrlichen Mitgefühls sich Toni in aufrichtiger
vollen Duftes, der so viele matte Seelen anlockt, zur Zuneigung angeschlossen hat. Die Position Toni's wird
klaren Gestaltung durchgedrungen ist. Der soviel bewun= dadurch ins Schiefe gebracht, daß Dr. Schmidt als Haus¬
arzt ihres verstorbenen Vaters in Erinnerung bringt,
derte „Anatol“, der in einer recht unangenehmen Er¬
daß ihr Vater mit Toni nichts zu thun haben
breiterung des Don Inan=Bewußiseins seinen höchsten
wollte. Toni rechtfertigt sich damit, daß ihr Vater
Vorzug sucht und die Sinnlichkeit ganz im Geiste jenes
das Verhältniß verziehen hätte und sie ins Haus
fin de siécle schildert, dessen Evangelium von dem
kranken Paris herübergekommen ist, hat lange aufgehört, aufnehmen wollte, wenn sie das Kind nicht mitbringe,
für Schnitzler das wesentlich bezeichnende Werk zu sein. und da sich Toni dazu nicht verstehen mochte, brach der
Mit der „Liebelei“ hat sich Schnitzler mit einem kühnen Vater alle Beziehungen ab. Während das verhandelt
Schritt auf den Boden der wahren Dichtung gestellt, wird, fällt es Toni plötzlich ein, daß ihr Bub schon seit
die nicht durch dunkle Winkelzüge einen Flitterschein von einigen Tagen überreizt ist. Sie stürzt ängstlich in das
Zimmer, in das der Knabe gebracht wurde. Sie fürchtet,
Mitgefühl erzeugen will, sondern unmittelbar warm an
das Herz herantritt. Das Schicksal des „süßen Mädels“, den Knaben zu verlieren. Das Schreckliche geschieht:
das in dem genannten Stücke in so ergreifender Weise der Knabe stirbt. Nun ist erst Toni auf dem Punkte
dargestellt ist, bildet auch den Mittelpunkt der Handlung zu erkennen, welches ihre Lage ist. Professor Losatti ver¬
im neuen Stücke. Das hat genügt, um allerorten den