II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 224

Umstand durfte ihrem Dichter große Chancen bei den Vorwurf gegen den Dichter hervorzurusen, daß er über
Zuhörern, namentlich aber bei den Ausführenden sichern, sein Lieblingsmotiv nicht hinwegkommen kann und sich
deren Lust und Liebe zur Sache, zum Nachtheile der auf=eigentlich in der jüngsten Arbeit nur wiederholt habe.
zuführenden Novitäten, leider nur zu oft unterschätzt zuDieser Tadel, der als der nächstliegende begreiflicher¬
werden pflegt.
weise am häusigsten erhoben wurde, thut dem Dichter
Desselben Vortheils darf sich Prochazka's zarte,
schweres Unrecht. Es ist gar nicht wahr, daß Schnitzler
von trivialen Blecheffecten unangekränkelte Instrumentation
für die Geliebte in der Gesellschaft irgendwelche Stel¬
erfreuen. Es soll freilich nicht damit gesagt werden, daß lung beansprucht, die ihr verweigert wird. Davon ist
der junge Autor es nicht mehr nöthig hätte, sich auf
zwar im Stücke vielfach die Rede, aber es ist doch nicht
diesem Gebiete noch weiter zu vertiefen und nach blen¬
das Grundmotiv. Was der Dichter uns in seinem
denderen Effecten auszugehen. Daß dies geschehen sei,
Bilde sagen will, hat er selbst an den Schluß des
hoffen wir im Gegentheile bei einer nächsten Gelegenheit
Stückes gesetzt: wir müssen einfach gut sein. Der Heldin
feststellen zu können.
des Stückes wird im Grunde nichts vorenthalten, was
nach dem Gesetze und nach dem Herkommen erwartet
Was uns aber schon heute befriedigt, ist die Zu¬
rückhaltung in Bezug auf grelle Contraste von Farben werden kann. Aber es fehlt bei allem das Entscheidende,
und Rhythmen wie auch die Unterlassung aller tech= das jede Gabe und jedes Verhältniß allein menschen¬
nischen Bizarrerien, die gleich schädlichen Vakterien an der würdig macht — die Herzlichkeit und Güte.
Gesundheit der meisten neuen Tondichter zehren. Die
Toni Weber ist durch mehrere Jahre die Geliebte
Neigung zu orchestralen Einlagen oder sogenannten In= des jungen Doctor Jur. Hugo Losatti gewesen. Aus
termezz, wie sie die neuere Schule creirte, erscheint nicht
dem Verhältnisse entsprang ein Söhnlein, und von da
nur wegen der Kürze der äußeren Scenenvorgänge,
ab hat Hugo seine Geliebte als seine Braut betrachtet.
sondern auch vom Standpunkte der Motivirung recht Aber ’er hat nicht den Muth, seiner Fawilie, insbeson¬
wohl am Platze. Die Vogesstimmen der kleinen Wald= dere seinem Vater, dem Universitäts=Professor Adolf
somebeni. #i. i. MaslitummeMaldushwe#: andLosatti, das Geheimniß zu verrathen, weil er weiß, daß
Alles daran gesetzt würde, es zu lösen. Er ist noch jung
und wartet die günstige Gelegenheit ab. Aber sein
Schicksal will es anders. Er stürzt bei einem Spazier¬
ritte vom Pferde und wird bewußtlos nach Hause gebracht.
Da er wieder zum Bewußtsein kommt, fühlt er, daß es
zu Ende geht, und spricht seiner Mutter gegenüber den
dringenden Wunsch aus, daß Toni und ihr Knabe
Franz ins Haus genommen werden. Die Mutter hat es
ihm schon zugesagt, als der Professor nach Hause kommt
und Bedenken darin findet, die Geliebte und das Kind
des Haussohns so ohneweiters einzuführen. Ihm bangt
insbesondere um die Moral seiner Tochter Franziska.
Um kein Aufsehen zu machen, holt er Toni selbst unter
dem Vorwande, daß sie als Wärterin verwendet werden
solle. Aber Franziska ist besser unterrichtet als ihr
Vater; sie hat den Bruder mit Toni und dem Kinde ge¬
sehen und nur vorsichtig geschwiegen. Toui kommt an
das Bett Hugo's und wird von ihm der Familie auf
das dringendsie empfohlen — sie und ihr Kind. Man
sagt ihm die Gewährung seines Wunsches zu. Hugo will
noch seinen Sohn sehen; aber während Toni ihn zu
holen geht, haucht er seinen letzten Seuszer aus, und
der Knabe kommt nur zur Leiche des Vaters. Es wurde
schon gesagt, daß der erste Act, dessen Handlung die
eben bezeichneten Vorgänge bilden, voll Leben und Be¬
vegung ist uud die Theilnahme ungewöhnlich stark
anregt.
Toni lebt nun thatsächlich in dem Hause des Pro¬
fessor Losatti, und obgleich die Gesellschaft in verschiedener
Weise zu erkennen gibt, daß ihr die Aufnahme eines
solchen Mädchens in das angesehene Haus eines Uni¬
versitäts=Professors nicht gerade angemessen scheint, so
behält man sie doch, vor allem um des Kindes willen,
das nun einmal das Enkelkind des Professors ist. Es
wird viel Gewicht darauf gelegt, daß Toni einzig und
allein als Mutter des Knaben im Hause geduldet werde.
Augenehm wird ihr der Aufenthalt nicht gemacht, und sie
bekommt es genug zu hören, daß die vornehmen Leute
Dr. v. D. büs Haus seit ihrem Aufenthalte in demselben meiden.
Ol Raues deutsches Theater. („Das Der eifrigste Verfechter der Sitte, ist Dr. Schmidt, der
Vermächtniß.“ Schauspiel in drei Acten von Arthur
als zukünftiger Bräutigam Franziska's das Recht in
Schnitzler. Zum erstenmale aufgeführt am 18. Feber
Anspruch nimmt, im Hause mitzureben, und sich gleich
dagegen verwahrt hat, daß Toni Hausgenossin seiner
1899.) Ein neues Werk von Arthur Schnitzler nimmt
Braut werde. Doch hat Toni auch mild gesinnte Freun¬
von vornherein das allgemeine Interesse in Anspruch.
Schnitzler ist vielleicht der einzige Dichter, der das nebel= dinnen, so insbesondere die Tochter des Hauses Fran¬
hafte Hindämmern der jungen Wiener Schule vollständig ziska und die Schwägerin des Professors Emma Winter,
überwunden hat und mit Beibehaltung jenes geheimniß= die voll ehrlichen Mitgefühls sich Toni in aufrichtiger
vollen Duftes, der so viele matte Seelen anlockt, zur Zuneigung angeschlossen hat. Die Position Toni's wird
klaren Gestaltung durchgedrungen ist. Der soviel bewun= dadurch ins Schiefe gebracht, daß Dr. Schmidt als Haus¬
derte „Anatol“, der in einer recht unangenehmen Er=arzt ihres verstorbenen Vaters in Erinnerung bringt,
breiterung des Don Inan=Bewußtseins seinen höchsten daß ihr Vater mit Toni nichts zu thun haben
Vorzug sucht und die Sinnlichkeit ganz im Geiste jenes wollte. Toni rechtfertigt sich damit, daß ihr Vater
fin de siécle schildert, dessen Evangelium von dem das Verhältniß verziehen hätte und sie ins Haus
kranken Paris herübergekommen ist, hat lange aufgehört, aufnehmen wollte, wenn sie das Kind nicht mitbringe,
für Schnitzler das wesentlich bezeichnende Werk zu sein. und da sich Toni dazu nicht verstehen mochte, brach der
Mit der „Liebelei“ hat sich Schnitzler mit einem kühnen Vater alle Beziehungen ab. Während das verhandel!
Schritt auf den Boden der wahren Dichtung gestellt, wird, fällt es Toni plötzlich ein, daß ihr Bub schon seit
in das