II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 249

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10. Das Verndechtnis
Von den münchener
Theatern.
(Nachdruck verboten.)
—. München, 13. October. Nachdem mit
Ende September der diesjährige Cyclus der Fest¬
spiele in den beiden königlichen Theatern zum Ab¬
schluß gelangt ist, erscheint es angezeigt, zunächst
einen kurzen Rückblick auf die Ergebnisse desselben
zu werfen. Ein Doppeltes drängt sich dabei
Jedem, der die Festspiele der Jahre 1893—1899] Das Fach der ersten tragischen Liebhaberin ist) sie gehört in das Hoftheater. Davon abgesehen, hat] Manne droh
durch diese Dame endlich aufs Beste besetzt; da¬ aber die neue Direction nicht nur in glänzender verarbeitet;
mit erlebt hat, auf. Einmal der Rückgang der
Ausstattung und feinsinniger Inscenirung, sondern ersten Act v
gegen harren die Fächer eines ersten Helden und
dargebotenen Leistungen als solcher und dann das
den folgend
auch bezüglich der Rollenbesetzung alles bisher im
einer Heroine noch immer der Besetzung. Die
in den letzten Jahren hervortretende Fallenlassen
plötzlich.—
Gärtnertheater Dagewesene überboten. Die sehr
Inscenirung von Aubers „Fra Diavolo“ ist wieder
großer einheitlicher künstlerischer Gesichtsvunkte,
lediglich, w
gelungene Aufführung ist doppelt anerkennens¬
ein Cabinetsstück Possarts und reiht sich der Re¬
vor Allem eines festen Gesammtplanes, wie er die
gelaufen ist
werth, wenn man erwägt, welche Summe von
Aufführungen namentlich der ersten beiden Jahre prise von „Teufels Antheil“ desselben Componisten
abschneidet.
Arbeit erforderlich war, ein erst neugebildetes
1893 und 1894 ausgezeichnet hatte. In den würdig an; dagegen halten sich die gesanglichen
richtig rath
Künstlerensemble grade in diesem Stücke zum
letzten Jahren sind dem Repertoir neben den Leistungen der meisten Mitwirkenden — nur den
das er bish
ersten Male herauszustellen, das wie kaum ein
Wagnerschen Opern, die zu Beginn der Festspiele Lorenzo unseres stimmbegabten Knote und das
folgreich bes
anderes sorgfältigstes Zusammenspiel verlangt.
Zerlinchen der Frau Cernic waren ganz befrie¬
den ausschließlichen Inhalt derselben ausgemacht
Gleich glücklich hat sich die Operette mit Suppes
digend — nicht auf gleicher Höhe. Schon
hatten, eine Anzahl Mozartscher Opern („Figaros
„Afrikareise“ eingeführt.
während der Sommeraufführungen hat sich die
Hochzeit", „Die Enführung aus dem Serail“,
Weniger glücklich war das Schauspielhaus mit
Nothwendigkeit einer erstklassigen Besetzung der
„Cosi fan tutte“, „Don Giovanni“, „Zauberflöte“)
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seinen bisher vorgeführten Novitäten. Erfole
Fächer eines Heldentenors und einer ersten drama¬
in durchgehends mustergültiger Inscenirung und
100
hatte nur Schnitzlers „Vermächtniß“, ein wasch¬
tischen Sängerin aufs Dringlichste geltend gemacht.
Darstellung einverleibt worden, was nur zu
200
echtes Prodi Sc unter deren!
Unser Sangesmeister Vogl erreicht demnächst das
billigen ist, da grade diese letzteren eine wirkliche
500
Portämpfern Schninler in erster Reihe sieht. C
sechzigste Lebensjahr, und die von Prag kommende
Sehenswürdigkeit Münchens darstellen, ja nirgend
„ 1000—
ist der Berliner A. E. Hartleben, ins Wienerische
Frau Claus=Fränkel ist kein Ersatz für Frl.
wo anders in gleicher Vortrefflichkeit geboten
übersetzt: dort mehr Grazie, fein pointirter Witz;
[Ternina. Herr v. Possert hat das Möglichste
werden dürften.
Aboneng
hier mehr Sentiment, ja stellenweise Rührseligkeit.
gethan, um Letztere unserem Hoftheater zu erhalten,
Weniger einverstanden können wir uns damit
Abonnente
Gemeinsam ist Beiden der geringe Fonds an
aber die Dame war gradezu unersättlich in ihren
erklären, daß im letzten Sommer auch Siegfried
eigentlich dramatischer Handlung und der lose
Forderungen und hat es vorgezogen, ihre Kunst
Wagners „Bärenhäuter" und Heinrich Vogls
hat bei ihnen mehr
Scenenaufbau; man
nur noch im Umherreisen auszuüben, und da kann
1 „Fremdling“ dem Festcyclus angeschlossen worden
den Eindruck von nothdürftig dramatisirten
eben — namentlich den Lockungen der Yankee¬
sind. Beide Werke sind ihrem Gehalt nach nicht
Novellen, manchmal — wie namentlich bei den
Dollars gegenüber — keine deutsche Bühne mehr
bedeutend genug, um in einen Cyclus von Fest¬
nur einer Pikanterie,
kleinen Einactern
dagegen aufkommen. Auch der Varitonist Ber¬
spielen eingereiht zu werden, namentlich kann
als den eines Dramas im Wortsinne der „alten“
[tram, dessen Conflict mit der hamburger Theater¬
Vogls „Fremdling“ kaum mehr als ein local¬
Schule. Noch bedenklicher ist bei den „Modernen“
leitung so viel unnöthigen Staub aufgewirbelt hat,
patriotisches Interesse erwecken. So endigte denn
ist noch nicht ersetzt.
das, was wir die leitende Idee, den Grundgedanken“
die diesjährige Stagione nach aller Unbefangenen
eines Bühnenstückes zu nennen ge. ohnt sind. Schon
Erfreulicheres ist von der zweiten Bühne
Urtheil mit einem künstlerischen und vermuthlich
das allzu starke tendentzöse Hervorkehren dieser
Münchens, dem Gärtnerplatztheater, zu
auch finanziellen Deficit. Wir dürfen jedoch bei
leitenden Idee an und für sich erweckt Befremden
der erfinderischen Energie unseres genialen Hof¬
berichten. Hier scheint nach einer langjährigen
und Anstoß, noch mehr aber diese Ideen selbst.
Stagnation endlich eine neue vielverheißende Aera
theaterleiters hoffen, daß die Scharte in den
Im „Vermächtniß“ ist es die der „freien Liebe“
nächsten Jahren wieder ausgewetzt werden wird,
angebrochen zu sein. Die letztjährige Direction
die gradezu als etwas Anzustrebendes gefeiert
namentlich wenn erst das neue Prinzregenten¬
Brackl hat das s. Z. von König Ludwig 2. für die
wird. Die Vertreter der Ehe werden durchgängig
Pflege namentlich des Volksschauspiels erworbene
Theater fertig gestellt sein wird.
als engherzige, beschränkte Menschen hingestellt
Theater hart an den Rand des Abgrunds gebracht.
Die Erbauung desselben ist durch eine officielle
und dagegen um die Verfechter des Gedankens der
Da war es denn eine rettende That, daß Director
Kundmachung der betheiligten Kreise — eines
freien Liebe ein wahrer Glorienschein gewoben.
Stollberg vom „Münchener Schauspielhaus“ das
finanzkräftigen Consortiums und der Hoftheater¬
Und daran ändert auch die schließliche Lösung (!)
Gärtnertheater zu dem seinigen übernahm und
Intendanz — gesichert und nimmt nach fast vierzig
des Knotens nichts. Die gefeierte Heldin geht
beide Theater von jetzt an gemeinsam weiterführen
Jahren den hochsinnigen Gedanken weiland König
allerdings an dem Conflict, in den sie mit den
will. Herr Stollberg hat sein Wollen und Können
Ludwigs 2. wieder auf, der fast an derselben
durch die Leitung des münchener Schauspielhauses! Vertretern der hergebrachten Anschauung gerathen
Stelle — dem Hochplateau über dem rechtsseitigen
während des letzten Jahres glänzend erhärtet. Erist ist, zu Grunde, aber noch ihr freiwillig gewählter
Steilrand der Isar — in Verbindung mit Richard
ein Mann von durchgreifendster Energie, reicher Tod ist eine Verherrlichung ihrer Anschauungen
Wagner und dem älteren Semper ein Festspiel¬
und ihres Thuns, während die Angehörigen ihres
praktischer Erfahrung und namentlich ein Meister
haus für die Aufführung Wagnerscher Opern
Geliebten, die eine völlig unmögliche Situation in
intimer=Inscenirungskunst. Er war zunächst als
plante, an der Ausführung dieser wahrhaft könig¬
allerdings nicht eben rücksichtsvoller Weise gelöst
lichen Idee aber sich durch die kleinlichen Intri¬
Oberregisseur an dem im Jahre 1896 ge¬
haben, als Schwachköpfe und herzlose Ungeheuer
gründeten (nomen et omen!) prächtigen
guen der Hofkreise und das wüste Geschrei der
hingestellt werden. Wunderbar fein ist dagegen
„Deutschen Theater“ unter den rasch auf einander
ultramontan =particularistischen Presse des da¬
namentlich im ersten Act — das Milien von
folgenden Directionen Meßthaler, Naumann und
maligen Münchens sich irre machen ließ. Zehn
Ort und Handlung gezeichnet, und hier hat auch
Drach thätig, siedelte dann im folgenden Jahre
Jahre später hat Richard Wagner den Plan seines
die Aufführung ihre ganze Kraft eingesetzt und
nach dem Eingang dieses Theaters mit Drach in
königlichen Schutzherrn in Bayreuth zur Aus¬
damit — aber auch nur damit — einen großen
das von diesem in den „Centralsälen“ ein¬
führung gebracht. Das neue Prinzregenten¬
Erfolg erzielt. Gegen die bedenkliche Tendenz dieser
gerichtete „Münchener Schauspielhaus“ über und
Theater soll neben den Festspielen der Sommer¬
und anderer „moderner" Stücke verhält sich bisher
übernahm vor Jahr und Tag nach dem finan¬
monate auch Nachmittagsaufführungen unserer
— und hoffentlich auch in Zukunft — das münchener
ziellen Zusammenbruch Drachs, dem hochbedauer¬
classischen Dramen bringen und Orchester und
Theaterpublicum in seiner weit überwiegenden
Zuschauerraum ganz nach bayreuther Muster ein¬
licher Weise auch bald der geistige folgen sollte,
Majorität ablehnend.
das verwaiste Institut unter den denkbar ungün¬
gerichtet werden.
Die beiden anderen Novitäten des Schauspiel¬
stigsten Verhältnissen. Wie er die übernommene
Die königlichen Bühnen haben seit Beginn der
hauses: „Ewige Liebe“ — wie mag nur der Ver¬
Aufgabe in der letztverflossenen Saison gelöst hat,
ordentlichen Spielzeit lediglich Neueinstudirungen
fasser auf den seltsamen Titel gekommen sein! —
darüber ist bei Publicum und Kritik nur eine
von „Egmont" und „Fra Diavolo“ gebracht.
Stimme der Anerkennung. Was er bisher an
von Hermann Faber und „Großmama“ von Max
Die erstere ist, abgesehen von der ungenügenden
Dreyer, wandeln andere Bahnen. „Ewige Liebe“
Novitäten in den beiden Theatern herausgebracht
Darstellung der Titelrollen, mustergültig zu
ist ein Rührstück gewöhnlichster Sorte, das längst
hat, ist von ungleichem Werth.
nennen; namentlich wurden die Volfsscenen ganz
bekannte und benutzte Motive — den Couflict eines
Das Gärtnertheater wurde am 7. September
prächtig herausgebracht. Als Klärchen hatte das
jungen, hochbegabten Mädchens mit den Schwierig¬
mit Rostands „Cyrano von Vergerac“ wieder er¬
jüngst von Braunschweig hierher gekommene Frl.
öffnet. Diese romantische Komödie paßt streng keiten, die ihrer künstlerischen Zukunft durch die
Mabitow Gelegenheit, neuerdings ihr frisches,
verkünsteltes und lebenswarmes Talent zu zeigen. genommen nicht in den Rahmen jenes Theaters, Liebe zu einem, übrigens herzlich unbedeutenden