II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 275

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10. Das ernaechtnis
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G lI. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: 11.190 1908
vom:
#Wtigner Taghie
Lustspieltheater. Literarischer Abend: „Das
Vermächtnis“ von Artur Schnitzler. — Vir
zehn Jahren ist „Das Vermächtnis“ im Bürgtheater auf¬
geführt worden. Das Schauspiel bedeutete damals im
Schaffen Schnitzlers den Uebergang zu Problemen, die
mehr auf Rechnung als auf Allgemeingefühle gestellt sind.
Der sterbende Sohn — er ist vom Pferde gestürzt — legt
ein Vermächtnis in die Hand seiner Mutter. Er bittet
seine Geliebte und sein Söhnchen, das diese ihm schenkte,
nach seinem Tode in die Familie aufzunehmen. Die weib¬
lichen Mitglieder des Hauses fühlen mit der Zurück¬
gelassenen und ihrem Kinde. Die Männer aber, ein politi¬
'scher Streber, dem der Liberalismus auf der Zunge und
nicht im Herzen sitzt, und ein brutaler, kaltblütiger Egoist,
der den Verstorbenen wegen seiner Lebenslust beneidet und
gehaßt hatte und nun den Haß über dessen Tod hinaus
auf die Verlassene überträgt, stören die Handlung der
Liebe. Da Schnitzler auch das Kind in den Tod
schickt, wird das Problem verengt und scharf
zugespitzt. Das Band ist zerrissen, das die
Familie an die Mutter des Kindes knüpfte. Den Gewalt¬
tätigen, die sich von der Aermsten befreien wollen, wird
ein leichter Sieg. Die Ausgestoßene geht ins Wasser ...
Die höhere sittliche Idee, die der bürgerlichen Kleinmoral
intgegengesetzt werden sollte, ist zu eng gefaßt; das
Exempel ist der allgemeinen Geltung entrückt und mit dem
Tode des Kindes an die Ausrechnung eines Einzel¬
falles gebunden. So erkalten die im Anfang tief erregten
Gefühle in der Kombination von Gedanken, die eine ge¬
wisse Kühle verbreitet. Außerordentlich sind aber die
formalen Tugenden des Dichters auch in diesem Schau¬
spiele: die kunstvolle technische Gestaltung des Stoffes;
die leisen Aufhellungen der dauernden Mollharmonien:
die Durchbildung der Charaktere, nur im Bösen vielleicht
zu stark ins Extrem geführt: das Vermögen, auch einer
gelockerte Handlung noch in meisterhaftem Dialog, in
reinen Stimmungen, die aus der Situation geschaffen
sind, in Motiven, die aus dem Kern der Charaktere
wachsen, eine sichere Stütze zu geben. Die ungewöhnlichen
Vorzüge der Sprache rücken Schnitzler vollends an die
anerkannten Geister, die wir klassisch zu nennen pflegen ...
Die Darstellung im Lustspieltheater zerteilte das Schau¬
spiel durch eingestreute Kuriosa und glaubte in fast
unhörbarem Lispeln und Hauchen einen „literarischen“
Ton zu finden. Herr Maran blieb Maran in der Be¬
wegung, in der gewissen Trennung zusammengehörender
Worte; er gab nicht das falsch und hohl klingende
Pathos des Strebers, der doch an sich selbst glaubt,
sondern schien die Großsprecherei des Abgeordneten durch
Zwinkern mit den Augen und mit der Rede zu ironisieren.
Die Figur fiel in den Schwank zurück. Frau Niese als
gequälte Mutter suchte sich allzu merkbar aus
der niederen Arbeit, die sie seit Monaten in
der Operette verrichtet, wieder zu Höherem hinauf¬
zuschrauben. Die Tragik blieb weinerlich. Die ver¬
schiedensten Richtungen kreuzen sich in der Seele der hoch¬
geschätzten und allbeliebten Künstlerin. Möge sie endlich
Wege wählen, die ihrer Natur freie und stetige Ent¬
faltung gönnen. Im übrigen muß leider festgestellt werden,
daß dem Ensemble der Jarnoschen Bühnen, das einmal
vorzüglich war, jetzt Einheitlichkeit und Ausgleichung
mangeln; in einzelnen Teilen herrscht die Theater¬
schule vor.
Rob. H.
box 16/5
Telephion 12801.
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in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
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Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
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(Quelienangabe ohne Gewähr.)
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i# Ausschnitt aus:
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KFOMUSRDTAE
vom: 11. NOu 1808

E--—.
4
(Lustspieltheater.) „Das Vermächtnis“, Schauspiel
in drei Akten von Artur Schnitzler ist auf einem Problem
aufgebaut, das der Dichter vor einer Reihe von Jahren vor einem
Buratheaterpublikum auf seine Art, nämlich auf dem Wege des
Herzens, zu lösen versuchte. Das mochte den Kreisen, bei denen die
Konvenienz, sprich Wohlanständigkeit, seine gewiß nicht zu unter¬
schätzende, starke Rolle spielt, nicht recht behagt haben. Und so ver¬
schwand das interessante Stück aus dem Repertoire. Der Direktion
des Lustspieltheaters muß es als Verdienst angerechnet werden,
dieses literarisch wertvolle Drama der Vergessenheit entrifsen zu
haben. Nun mag man aufs neue über den Fall urteilen, mag sehen,
ob sich die Welt — wir meinen hier den gesellschaftlichen Begriff¬
W
seit einem Dezennium in ihren Anschauungen verändert hat. Sou
die Familie die Geliebte, die der sterbende Sohn ihr als Vermächtnis
zurückläßt, aufnehmen als ob sie seine Witwe wäre? Allerdinas, er


legt seinen Eltern, seinen Geschwistern und Verwandten in erster
Reihe sein Kind ans Herz, das schwache Kind, das man nicht von
der Mutter nehmen kann. Das Kind aber stirbt und seine Mutter
verliert den Boden in der Familie. Erst da geraten Herz und
Konvenienz hart aneinander. Das Herz natürlich vertreten von den
Frauen der Familie, die Konvenienz von den Männern. Und die
Stärkeren siegen. Die einsam Gewordene muß aus dem Hause und
tut sich ein Leids an. Das Bestehende, Anerkannte hat triumphiert.
Das Premierenpublikum des gestrigen Abends, das übrigens teil¬
weise auch einem wohltätigen Zwecke, für den die Vorstellung statt¬
fand, zuliebe gekommen war, hat sich nicht allzu warm für oder
wider die Tendenz entschieden. Wir denken, daß das Stück bei
späteren Wiederholungen stärkere Meinungsäußerungen hervorrufen
wird. Gestern war man hauptsächlich von der tieftraurigen Stimmung
dieser drei Akte des Sterbens bewältigt. Jede einzelne der lebens¬

wahren Figuren des Dramas repräsentiert eine eigen Art des
Kawpfes in der Lösung des Problems. Ihre Verkörperung durch die
Mitglieder des Lustspieltheaters brachte viel Gutes Die Toni
Weber, das Vermächtnis, gab Hansi Niese. Es ist immer
eine wunderbare Sache, die Vielseitigkeit dieser hervorrägenden
Künstlernatur zu beobachten. Gestern noch Lachen und Uebermut,
heute in die tiefste Tragik der Menschheit hineingestellt. Vielleicht
wurde die Niese durch die Kontraste ihres Bühnenlebens dazu
getrieben, dem Einfachen, Innigen des Süßen=Mädeltums der Toni
Weber weniger nahe zu gehen und sich mehr mit der Tragik der
Verlassenen zu beschäftigen. Aber sie brachte uns einen vollen
Menschen; und das ist fürwahr nicht wenig. Einen schönen, warmen
Ton fand Fräulein Gerzhofer für die bis zum letzten Moment
das Vermächtnis des Bruders Verteidigende. Die wenig sympathische
Rolle des Dr. Schmidt sprach Herr Forster mit schönster Diktion;
er hatte auch im Spiel starke Momente, Manches war noch nicht
klar genug herausgearbeitet. Herr Maran gab den Professor
Losatti, die Verkörperung der Phrase, und es ging ihm wie mit
jeder ernsten Rolle: er hatte gegen sein anerkanntes Komikertum zu
kämpfen. Else Maltana, Willi Vasco, Leue Schöller,
Rosa Neuwirth, Friedrich Lucas und Irene Blaha waren
in den übrigen Rollen am richtigen Platze. In einer kurzen Episode.
als Arzt, war Kurt Lessen in Maske und Ton so diskret und
sicher, daß man in ihm einen Schauspieler erster Qualität exkannte.

B.
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