II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 283

10. Das Vernaechtnis box 16/5
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Egoismus des Herrn Professors, der seiner illegitimen Schwieger¬
tochter begreiflich macht, daß für sie in seinem Hause kein Bleiben
ist, „trägt den gebügelten Bürgerrock der Biederkeit“ Darum kann
sich aber auch unser Gefühl nicht empören, denn wir sehen im
Spiegel eine bekannte Fratze. Wir denken und füllen mit dem
Dichter, wir sehen ein, daß Toni Weber aufs Pflister geworfen
werden muß, geben dem Professor Losatti recht ud verhelfen so
dem Dichter — zum wahrsten und schönsten Triumph... Irren
wir nicht, so wurde Schnitzlers „Vermächtnis“ vor Jahren in der
„Burg“ mit der Schratt und mit Hartmann aufgeführt. Direktor
Jarno verfügt nicht über ähnliche Kräfte. Was jedoch in seinen
Kräften stand, tat er. Allein die Rolle der so zaghaft auftredenden
Toni paßt nicht für die resolute Niese. Herr Maran aber bewäldigte
die ihm ebenfalls nicht liegende Rolle des liberalen Schönrednens
überraschend gut. Gab es auch in der Besetzung Fehler
— tamen
est landanda voluntas.
Lohengrin.
Johann Strauß=Theater: „Bub oder Mädel?“, Operette in einem Vorspiel und
zwei Akten. Von Felix Dörmann und Adolf Altmann. Musik von Bruno
Granichstaedten. Erstaufführung 13. November.
Wer hätte es sich vor zehn Jahren, als die Wiener Operette
in den letzten Zügen zu liegen schien und ihre Pflege nur mehr
auf ein einziges Theater beschränkt war, träumen lassen, daß dieses
Geure eine so überraschende Wiedergeburt feiern und daß man zu
drei schon bestehenden Operettentheatern gar noch ein ganz neues
bauen würde?! Das neue Haus, das von außen wenig einladend
aussieht, aber innen von behaglich intimer Wirkung ist, ist nach Johann
Strauß getauft. „Ein guter Meister.“ In seinem Zeichen wurde
es auch eröffnet, wenn man dazu auch mit mehr Symbolik als
geschicktem Griffe Johann Strauß' Erstlingswerk „Indigo“ in der
nichts weniger als kurzweiligen und stark abgespielten Umformung
als „1001 Nacht“ gewählt hatte.
Ats erste Premiere brachte die Direktion in löblichem Be¬
ginnen das Werk eines völlig neuen Mannes: „Bub oder Mädel?“
Operette in einem Vorspiel und zwei Akten, von Felix Dörmann
und Adolf Altmann, Musik von Bruno Granichstaedten. Freilich,
als so ganz neu erweist sich diese Operette bei näherer Besichtigung
nicht. Das Libretto tritt sehr prätentiös auf. Es gehört, was der
possenhaft triviale Titel zunächst nicht erraten ließe, zu der jetzt
modern gewordenen, literarisch vornehm, sentimental anständig
tuenden Gattung. Aber wie oft haben wir in der letzten Zeit nun
schon diese verarmten Aristokraten, die stolz Millionen ausschlagen,
um für ein armes oder scheinbar armes Mädchen zu „arbeiten“,
gesehen! Immerhin heißt der eine Autor Felix Dörmann, und von ihm
dürfte nicht nur mancher poetische Zug, sondern jene liebenswürdige
Melancholie des raffinierten Lebensgenusses stammen, die namentlich
über dem hübschen, nur etwas zu lang geratenen Vorspiel gebreitet
ist. Später verflacht die Handlung immer mehr, und der Zirkusakt
am Schlusse ist unorganisch aufgepfropft, wohl nur, um den derberen
Geistern der Operette nicht ganz das Opfer zu versagen. Auch die