II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 285

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Das Vermaechtnis
epertoire. Die Nerven der Burgtheater=Premieren¬
sucher waren noch empfindlicher als jetzt. Man
impfte die Nase darüber, daß ein Sterbender seinen
Eltern die Geliebte mit ihrem Kinde vermacht. Diese
Wiener Coulissengeschichten.“Eltern repräsentiren ein Stück der guten Gesellschaft.
(Warum sie die Rolle zurücksandte. — Die nächste
Das Vermächtniß des Sohnes ist ihnen peinlich.
Première des Burgtheaters. — Ein Christus=Stück. —
Sie halten es zur Noth in Ehren. Aber das Kind
Arthur Schnitzler. — Das Finish im Operettenderby. —
stirbt. Nun stoßen sie das arme Frauenzimmer hinaus.
Schauspieler und Kritiker.)
Und es geht in den Tod.
Die Hohenfels hat eine Rolle zurückgeschickt!
Seitdem Schnitzler sein „Vermächtniß“ geschrie¬
Dieselbe Hohenfels, die seit Jahren tief verletzt war,
den hak, ist eine große Wandlung unter den Wiener
daß sie so selten eine neue Rolle erhält, sie retour¬
Literaten vorgegangen. Damals trug er noch die
nirt eine gute, große Rolle in einem Stücke, welches
Stirnlocke. Er war in der Wiener Literatur der
das künstlerische Ereigniß der Burgtheatersaison
Schöffer der Stirnlocke. Und damals saß er noch
werden soll. Warum hat sie das gethan? Hundert
mit den „Jungen“ im Café Größenwahn, wo Schil¬
Versionen schwirrten durch Wien. Man kommentirte
ler entthront und Halm zum alten Esel degradirt
den Fall wie die große Bülow=Rede.
wo die ganze alte Literatur demolirt wurde. Heute
Nach vertraulichen, verläßlichen halb= und
ist Schnitzler ein Philister, treuer Gatte, zärtlicher
ganzoffiziösen Mittheilungen wäre die große Affaire
Vater, er demolirt nicht mehr. Im Gegentheil! Die
auf folgenden Vorgang zurückzuführen: Der Frau
jüngsten Rekruten der Literatur demoliren ihn. Aber
Hohenfels war die weibliche Hauptrolle in der viel=ser ist jetzt erst recht Nummer Eins unter denen, die
besprochenen Novität zugedacht. In einem Tristan¬
in Wien fürs Theater schreiben.
Kostüm sollte sie erscheinen. Frau Hohenfels hatte
Wohl der Niese zuliebe hat man „Das Ver¬
die ihr vorgelegten Figurinen aus eigener Phantasie
mächtniß“ hervorgeholt. Und die Operettenkomikerin
ergänzt. Ein duftig Gewand sollte es sein, das weni¬
von gestern war heute eine große Tragödin. Sie
ger verhüllt als es errathen läßt. Die Kopfhaare
spielt das arme Wiener Mädl, das nur lebt, um zu
sollten einen langen Mantel bilden, der theilweise
lieben, wundersam weich, sie findet zarte Nuancen,
das verdeckt, was das Gewebe nur mit einem Hauch
welche die Dichtung ergänzen.
überzieht.
Heute und morgen findet der große Ringkampf
Die Großen des Burgtheaters sollen bei¬
zwischen Johann Strauß=Theater und Theater an
sammengestanden haben, als Einer das Kostüm der
der Wien statt. Beide wollen den Operettenschlager
Hohenfels schilderte. Und daraufhin soll Kainz in
der Saison bringen. Auf diese eine Karte setzen sie
einem durchaus nicht burgtheaterfähigen Deutsch
ihre ganzen Hoffnungen. Und nur einer kann den
gesagt haben:
Haupttreffer holen, denn es ist in Wien noch nie
„Hört's auf! Die alte Schachtel wird do' nit
dagewesen, daß zwei Theater, die überdies räum¬
so hinausgeh'n?“
lich so nahe beieinander stehen und dasselbe Geure
Und das soll sie erfahren haben, warf die
kultiviren, zur selben Zeit einen Schlager haben.
Rolle hin, war für Unterhändler der Direktion über¬
Das Publikum entscheidet sich nur für einen
großen Erfolg.
haupt nicht zu sprechen, und die Novität mußte ver¬
schoben werden.
Eine fieberhafte Aufregung herrscht in den
Zwei junge Damen des Burgtheaters debat¬
beiden Theatern. An der Wien erzählt man trium¬
tfren über diesen Gegenstand.
phirend, daß die Novität des Johann Strauß=Thea¬
„Das war nicht nett von Kainz“, meinte die
ters in den letzten Tagen neu instrumentirt werden
Eine. „Von der Hohenseks kann mast das nicht
mußte, im Johann Strauß=Theater will man wissen,
sagen.“
daß die Novität der feindlichen Bühne eine ernste
Darauf die Andere: „Sie ist 59 Jahre alt.“
Oper ist, im Theater an der Wien will man erfahren
„Ihr übertreibt Alle. Sie wird erst nächstens 58. haben, daß Herrn Treumann am 16. das weitere
Es dauert noch volle zwei Jahre, bis sie ins Greisen¬
Auftreten gerichtlich untersagt wird.
alter tritt.“
So wogt der Operettenkampf hin und her.
Wie lieb doch diese Damen sind!
Und alle Librettisten und Komponisten sind unsäglich
„Tantris der Narr“ von Ernst Hardt ist die
aufgeregt. Wie beim Finish am Derbytag!
Novität, von der seit Wochen so enorm viel ge¬
Ein sehr empfindlicher Schauspieler hat dieser
sprochen wird. Nicht weil die Hohenfels die Rolle
Tage einen der geistreichsten Kritiker gestellt.
zurückgab! Sondern weil sich der noch nicht da¬
„Sie haben sich“, sagte er erregt, „gestern im
gewesene Fall ereignete, daß der Dichter für das
Restaurant in sehr abfälliger Weise über meine jüngste
Werk, das noch an keiner maßgebenden Bühne auf= Leistung geäußert. Ich verbiete mir energisch, daß Sie
geführt wurde, den Schillerpreis und den Volks=in Zukunst so über mich sprechen.“
Schillerpreis erhielt. Hamburg hat kürzlich den
„Bitte, ich werde es nächstens schreiben ....“
— 13. November.
Versuch unternommen. Dort war es ein Erfolg.
Hier geht das Werk nunmehr nächste Woche in
Szene. Es ist — wenn man will — „Tristan #nd
Isolde“. Er muß fliehen und darf bei Todesstrafe
nicht wiederkehren. Die Liebe zieht ihn her. Als
„Tantris der Narr“ erscheint er. Der König erfährt
es. Tantris ist dem Tode verfallen. Ein grau¬
samer Tod ist ihm bestimmt. Den Aussätzigen wird
er überliefert. Sie kommen, ihn zu übernehmen. Er
erschlägt sie. Das gilt als Wunder und das Leben
wird ihm geschenkt.
Etwa sechzig Jahre nach Christi spielt das
Stück. Und heute Abend geben sie in der Joseph¬
stadt eine Novität „Der reiche Jüngling“ die direkt
zur Zeit Christi spielt. Der Autor ist Herr Rößler,
ein junger Mensch, der als Wanderkomödiant durch
die Weit zog, seit zwei oder drei Jahren mit dem