II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 286



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Versionen schwirrten durch Wien. Man kommentirte ler entthront und Halm zum alten Esel degradirt
den Fall wie die große Bülow=Rede.
wo die ganze alte Literatur demolirt wurde. Heute
Nach vertraulichen, verläßlichen halb= und ist Schnitzler ein Philister, treuer Gatte, zärtlicher
ganzoffiziösen Mittheilungen wäre die große Affaire Vater, er demolirt nicht mehr. Im Gegentheil! Die
auf folgenden Vorgang zurückzuführen: Der Frau
jüngsten Rekruten der Literatur demoliren ihn. Aber
Hohenfels war die weibliche Hauptrolle in der viel=ser ist jetzt erst recht Nummer Eins unter denen, die
besprochenen Novität zugedacht. In einem Tristan¬
in Wien fürs Theater schreiben.
Kostüm sollte sie erscheinen. Frau Hohenfels hatte
Wohl der Niese zuliebe hat man „Das Ver¬
die ihr vorgelegten Figurinen aus eigener Phantasie
mächtniß“ hervorgeholt. Und die Operettenkomikerin
ergänzt. Ein duftig Gewand sollte es sein, das weni¬
von gestern war heute eine große Tragödin. Sie
ger verhüllt als es errathen läßt. Die Kopfhaare
spielt das arme Wiener Mädl, das nur lebt, um zu
sollten einen langen Mantel bilden, der theilweise
lieben, wundersam weich, sie findet zarte Nuancen,
das verdeckt, was das Gewebe nur mit einem Hauch
welche die Dichtung ergänzen.
überzieht.
Heute und morgen findet der große Ringkampf
Die Großen des Burgtheaters sollen bei¬
zwischen Johann Strauß=Theater und Theater an
sammengestanden haben, als Einer das Kostüm der
der Wien statt. Beide wollen den Operettenschlager
Hohenfels schilderte. Und daraufhin soll Kainz in
der Saison bringen. Auf diese eine Karte setzen sie
einem durchaus nicht burgtheaterfähigen Deutsch
ihre ganzen Hoffnungen. Und nur einer kann den
gesagt haben:
Haupttreffer holen, denn es ist in Wien noch nie
„Hört's auf! Die alte Schachtel wird do' nit
dagewesen, daß zwei Theater, die überdies räum¬
so hinausgeh'n?“
lich so nahe beieinander stehen und dasselbe Genre
Und das soll sie erfahren haben, warf die
kultiviren, zur selben Zeit einen Schlager haben.
Rolle hin, wer für Unterhändler der Direktion über¬
Das Publikum entscheidet sich nur für einen
großen Erfolg.
haupt nicht zu sprechen, und die Novität mußte ver¬
schoben werden.
Eine fieberhafte Aufregung herrscht in den
Zwei junge Damen des Burgtheaters debat¬
beiden Theatern. An der Wien erzählt man trium¬
tiren über diesen Gegenstand.
phirend, daß die Novität des Johann Strauß=Thea¬
„Das war nicht nett von Kainz“, meinte die
ters in den letzten Tagen neu instrumentirt werden
Eine.
„Von der Hohensels kann mun das nicht
mußte, im Johann Strauß=Theater will man wissen,
sagen.“
daß die Novität der feindlichen Bühne eine ernste
Darauf die Andere: „Sie ist 59 Jahre alt.“
Oper ist, im Theater an der Wien will man erfahren
„Ihr übertreibt Alle. Sie wird erst nächstens 58.
haben, daß Herrn Treumann am 16. das weitere
Es dauert noch volle zwei Jahre, bis sie ins Greisen¬
Auftreten gerichtlich untersagt wird.
alter tritt.“
So wogt der Operettenkampf hin und her.
Wie lieb doch diese Damen sind!
Und alle Librettisten und Komponisten sind unsäglich
aufgeregt. Wie beim Finish am Derbytag!
„Tantris der Narr“ von Ernst Hardt ist die
Novität, von der seit Wochen so enorm viel ge¬
Ein sehr empfindlicher Schauspieler hat dieser
sprochen wird. Nicht weil die Hohenfels die Rolle
Tage einen der geistreichsten Kritiker gestellt.
zurückgab! Sondern weil sich der noch nicht da¬
„Sie haben sich“, sagte er erregi „gestern im
gewesene Fall ereignete, daß der Dichter für das
Restaurant in sehr abfälliger Weise über meine jüngste
Werk, das noch an keiner maßgebenden Bühne auf= Leistung geäußert. Ich verbiete mir energisch, daß Sie
in Zukunst so über mich sprechen.“
geführt wurde, den Schillerpreis und den Volks¬
Schillerpreis erhielt. Hamburg hat kürzlich den
„Bitte, ich werde es nächstens schreiben . ...“
— 13. November.
Versuch unternommen. Dort war es ein Erfolg.
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Hier geht das Werk nunmehr nächste Woche in
—h—
Szene. Es ist — wenn man will — „Tristan #nd
Isolde“. Er muß fliehen und darf bei Todesstrafe
nicht wiederkehren. Die Liebe zieht ihn her. Als
„Tantris der Narr“ erscheint er. Der König erfährt
es. Tantris ist dem Tode verfallen. Ein grau¬
samer Tod ist ihm bestimmt. Den Aussätzigen wird
er überliefert. Sie kommen, ihn zu übernehmen. Er
erschlägt sie. Das gilt als Wunder und das Leben
wird ihm geschenkt.
Etwa sechzig Jahre nach Christi spielt das
Stück. Und heute Abend geben sie in der Jaseph¬
stadt eine Novität „Der reiche Jüngling“, die direkt
zur Zeit Christi spielt. Der Autor ist Herr Rößler,
ein junger Mensch, der als Wanderkomödiant durch
die Weit zog, seit zwei oder drei Jahren mit dem
Schriftstellern begonnen hat und jetzt schon zu jenen
Bühnendichtern zählt, mit denen man rechnen muß.
Christus erscheint nicht auf der Bühne. Die
Censur hätte es sonst nie zugelassen. Man spricht
nur von ihm, man fühlt seine Anwesenheit, man
bildet sich ein, daß er hinter den Coulissen steht.
Die Censur hat ängstlich jede Anspielung auf Christus
gestrichen. Eine Schlußphrase mußte gänzlich fallen,
der verbitterte alte Jude steht an der Leiche seines
Sohnes, des Idealisten, des reichen Jsnglings, der
im Sinne Christi sein Gut mit den Armen theilt.
„So ruft ihn, Euren Zimmermannssohn“,
schreit der Alte schwerzlich auf, „er soll jetzt Wunder
üben, wenn er kann.“
Es wird jetzt überhaupt massenhaft Literatur
betrieben an den Wiener Theatern. Von Arthur
Schnitzler haben sie „Das Vermächtniß“ heraus¬
gesucht. Vor zehn Jahren gab man dieses Drama
im Burgtheater. Es verschwand dort schnell vom