II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 310

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10. Das
Telephon 12.801.
„ODSERVEN
1. österr. beh. konz. Unternehmen für Zeitungs¬
Ausschnitte und Bibliographie.
Wien, I., Conoordiaplatx 4.
Vertretungen
in Berlin, Brüssel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
Quellenangabe ohne Dewühr.)
Ausschnitt aus:
Berliner Allgemeine- Zeitung
zem
Berlin
Robert Müller und Sladek gaben die
Neues Volks-Theate“.
beiden Moralpharisäer mit kräftiger Tharakte¬
ristik; Hedwig von Loree, Martha Angerstein
Schnitzlers „Vermächtnis“.
und die jungmädchenhafte Annalise Wagner
Dieses Schnihlersche Drama ist ganz er¬
vertraten die weichere und doch in den An¬
füllt von einer Tragik, die noch mehr an die
schauungskreis ihrer Atmosphäre festgebannte
Nerben, als an die Herzen greift. Die Hand¬
Weiblichkeit. Einen sympathischen Tod starb
lung ist mit ziemlicher Oekonomie entwickelt:
Johannes Riemann, ohne deshalb eine Kranken¬
jeder der drei Akte schließt mit einem Todes¬
hausstudie zu geben. Freisler brachte die ganz
fall. Jeder verklingt in das gleiche traurige
nebensächliche Rolle eines namenlosen Arztes
Finale. Der Vorhang senkt sich zu drei Malen
My.
zu vornehmer Wirkung.
über aufschluchzende Frauen. Die Trauer auf
der Bühne teilte sich dem Publikum mit, und so
Eine Entgegnung Jagows auf Rein¬
breitete sich auch über das Parkett die Fried¬
hardts Anklagen. Wir veroffentlichten gestern
hofsstimmung des Stückes, die durch keinen
anläßlich des Verbotes der Orestie=Aufführun¬
Sonnenstrahl, durch keinen befreienden Ausblick
gen auszugsweise ein Telegramm Direktor
erhellt wurde.
Die Handlung bringt eigentlich eine ein¬
Reinhards an den Berliner Polizeipräsidenten,
in dem gegen die Berliner Polizei der schwere
fache Geschichte: ein junger Mann stirbt an
Vorwurf erhoben wurde, daß sie dem künstleri¬
einem schweren Sturz, und vertraut vor seinem
schen Wirken Reinhardts seit Jahren Schwierig¬
Tode seine Geliebte und sein Kind den Eltern
keiten in den Weg lege.
und der Schwester an. Als das kleine Wesen aber
dem Vater ins Grab folgt, glaubte man sich an
Hierzu erhalten wir vom Berliner Polizei¬
das Vermächtnis des Verstorbenen nicht mehr
präsidium die folgende Entgegnung:
gebunden, und die Hartherzigkeit und die
In der Presse wird ein von der Direktion
Schwäche der Bürgerfamilie treiben das von
des Deutschen Theaters an den Polizeipräsi¬
allen verlassene junge Ding in Verzweiflung
denten gerichtetes Telegramm veröffentlicht, in
und Tod. Gerade die Tatsache, daß die Dinge
welchem der Direktor Professor Reinhardt dar¬
so ganz im Alltäglichen steckenbleiben, macht
über Klage führt, „daß er täglich mit der Will¬
das Bild erschütternd, echt und wahr. In der
kür eines untergeordneten Polizeiorgans zu
Gegenüberstellung der beiden Weltanschauungen,
kämpfen habe, die unverkennbar nach dem gegen
deren Evangelium auf der einen Seite das Ich,
den Polizeileutnant Schmidtke eingeleiteten
die harte, heuchlerische Gesellschaftsmoral und
Beleidigungsprozeß einsetzte.“
auf der anderen Güte, Liebe, Verstehen ist,
Demgegenüber ist festzustellen:
zeigt sich Schnitzlers große Kunst.
Die Maßnahmen des genannten Revier¬
Das Ensemble des Neuen Volks=Theaters
vorstehers erfolgen in Ausführung der von der
hat rasch einen Stil gefunden; hier ist die
vorgesetzten Dienststelle erlassenen Anordnun¬
Regie wirklich ein Wille, die Darsteller und
gen. Sie sind darauf gerichtet, zu verhindern,
Szene in Harmonie zwingt. Die Aufführung
daß die häufigen Ordnungswidrigkeiten, welche
war sehr fein in ihrem gedämpften Realismus.
im Betrieb des Deutschen Theaters sich ereigne¬
man vergaß völlig, daß man nur Theater¬
ten und bereits zu einer Reihe schwerer Un¬
schmerzen, nur Bühnentränen, vor sich hatte.
K
fälle auf der Bühne geführt haben, nicht auch
das Publikum einer ernsten Gefahr in feuer¬
und sicherheitspolizeilicher Hinsicht aussetzen.
Eine Entgegnung Reinhardts dürfte hierauf
nicht ausbleiben.
Die erste Aufführung der Orestie im Zirkus
Schumann wird nun doch, wie wir gestern an¬
genommen hatten, am „Freitag den 13. Oktober
stattfinden.