II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 317

10. Das Vernaechtnis
eschnlft aus: Zirbeiter-Zeitung, Wien
—.—
16 5 1912
Fen!
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nmereeege
Theater in des Jofestläbe Einmalige Auführung:
„Das Vermächtnis.“ Schauspiel in drei Akten von
Arthur Schnitler. — Zu Arthur Schnitzlers fünfzigstem
Geburtstag. Eine Feier voll der ergreifendsten Augenblicke. Das
Drama eines Vermächtnisses: Der junge reiche Doktor Lofatti
reitet eines Tages in den Prater und stürzt. Man bringt den
Sterbenden heim und mit verhauchender Stimme enthüllt er
den erschreckten Eltern, daß er all die Jahre anderswo daheim
war als bei ihnen, daß er Weib und Kind hat. Die beiden sind
sein Vermächtnis. Zögernd, aber unter dem Eindruck des
Todes nimmt man die Toni Weber mit dem blassen Buben
ins Haus, wie das Kind jedoch stirbt, will man die Witwe nicht
länger, weist ihr die Tür und jagt sie so in den Tod oder in
Schrecklicheres noch ... Aus einer anderen Welt ist diese arme
Toni in das reiche Bürgerhaus gekommen, in eine andere
Welt muß sie wieder hinabtauchen. Man hätte sie ganz lieb¬
gewonnen, vielleicht, aber eine tiefe Kluft trennt Mensch von
Mensch: die Kluft der Klassen. Worte voll herzwarmer Tiefe
leuchten auf: die Bücher, die Bilder heben sie auf, aber die
Menschen? Hat einer dem anderen zu verzeihen? Und das
Wort einer reichen Mutter an ihre Tochter: Kind, weißt du denn,
was aus dir geworden wäre, wenn du mich nicht gehabt hättest?
Mit der Schärfe des Zeitlebendigen hat hier Schnitzler die
Tragik der Klassenzerklüftung erschaut und zur mahnenden,
aufrüttelnden Dichtung gestaltet. Einmal! In seiner
Jugend... Die Toni Weber gab Frau Niese. Welche Zartheit
zitterte im rauhen Klang ihrer Sätze, da man ihr das Haus
verweist. In wehem, unbegriffenem Erschrecken lispelt sie: Was
hab' ich denn getan? Und Wort für Wort, langsam und schwer,
wie aus tiefem, tiefem Brunnen heraufgeholt, flüstert sie noch
verlorener: Aber dann bin ich doch ganz allein? Gustav Maran
gab den liberalen Abgeordneten, der auch als Vater liberal ist,
mit der Loyalität und Toleranz und zugleich mit der seelischen
Halbheit des Liberalismus. Freilich gab es Augenblicke, da sein Spiel
zur Karikatur umbog. Aber auch das gehört zum liberalen
Vater. Die anderen Darsteller boten gleichfalls durchaus Gutes
und Starkes. Das Publikum fühlte die Tiefe des Werkes. —
Und nun Arthur Schnitzler, noch einen Wunsch zu deinem
fünfzigsten Geburtstag (anspornende Wünsche sind die edelsten
Beschenkungen der Dichter): gedenke deiner Jugend, reiße dich
wieder los von der Deutung, unser Leben sei Spiel, glaube, daß
nur die Kunst, die das Leben für ein Spiel hält, in Wahrheit zum
Spiel hinabsinkt. Nein, die Welt ist nicht voll gespielter Tragik,
sie ist voll aufgedrungener Tragik, die nicht unentrinnbar ist.
Das Warum der Toni Weber ist keine Frage an die Ewigkeit,
ist eine Frage an die Gegenwart. Daran gemahnt diesg auf¬
rüttelnde zeitlebendige Dichtung. Arthur Schnitzler, mnahng
wieder, rüttle wieder auf, werde zeitlebendig!
J. L.,8.)
box 16/5
Ausschnitt aus: Deue Freie Presse, Wien
vom; 46.34 1 1615
[Theater in der Josefstadt.] Artux Schnie¬
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lers „Vermächtnis“ wurde heute zur Feier des 50. Geburts¬
tages des Dichters aufgeführt. Das Schauspiel, das wie eine
Konsequenz, wie ein Epilog zur „Liebelei“ anmutet, ist vor
einigen Jahren auch im Lustspieltheater gegeben worden.
Damals wie heute stand im Mittelpunkte der Aufführung
Frau Hansi Niese, die die Toni Weber, dieses verlassene
und verhärmte, durch das Leben gleichsam bitter gewordene.
süße Mädel mit den einfachsten künstlerischen Mitteln spielt,
mit einer tiefempfundenen Ruhe und Zurückhaltung, die die
Figur vor dem Zerfließen ins durchaus Sentimentale bewahrt.
Den besten Partner hat die Künstlerin in Herrn Lessen,
der den unerbittlichen Moralisten sorgfältig und echt, ohne jede
Uebertreibung zeichnet. Herrn Maran liegt die Vaterrolle, so
wenig wie früher, und er behilft sich mit in Moll und Bedeut¬
samkeit getauchten Schwankgebärden und =tönen. Im übrigen
war es eine auf einen guten wienerischen Ton gestimmte Vor¬
stellung, in der das sympathische Fräulein Kovacs, die
Damen Schleinitz und Joseffy, die Herren Mey¬
velt, Meyerhofer und Weißmüller verdienstlich
mitwirkten. Herr Olmühl, ein begabter junger Schau¬
spieler, spielte die Sterbeszene einfach und wirkungsvoll. Das
Publikum, das sich zu dieser Schnitzler=Feier überaus zahl¬
reich eingefunden hatte, 7 folgte= dem Schauspiel mit starkem
Ipteresse und Rührung uus rief Fraug Nien und zihre Mit¬

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Theater, Kunst und Literatur.
Theater in der Josefstadt. Das war gestern keine
erste, sondern nur eine einmalige Aufführung, wie der
Theaterzettel sehr beruhigend versichert. Es war eine
„Schnitler Feier“n50. Geburtstage Artur
es wurde Artur Schnitzlers
Schiutziers I
Schauspiel „Das Vermächtnis“, aufgeführt. Wer
daraus noch nicht entnehmen kann, daß Artur Schnitzlen
ein großer Dichter ist, bei dem ist Hopfen und Malz ver¬
loren und der hat es auch aus dem „Vermächtnis“ nicht
erfahren können. Doch wer hätte noch nie von Schnitzler
etwas gehört, von Schnitzler, dessen dichterische Genialität
so ein= und aufdringlich in die Welt hinausposaunt wird
daß es von ihm nur übertriebene Bescheidenheit wäre, wenn
er sich nicht auch selbst für einen der bedeutendsten Dichten
hielte. Sein „Vermächtnis“ ist aber leider auch kein stär¬
kerer Beweis für seine Dichtergröße als seine anderen Werke.
Im ersten Akte dieses Schauspieles bricht sich der Sohn
einer angesehenen Familie beim Reiten das Genick und
erlangt sterbend von seiner Mutter das Versprechen, seine
Geliebte und sein Kind in das Haus und in die Familie
aufzunehmen; im zweiten Akte trieft diese Familie von
reinstem Edelmute gegen die unvermählte Witwe und das
Kind des Sohnes, das aus unbekannten Gründen ebenfalls
stirbt; und im dritten Akte wird die nun kinderlose Witwe
von der edlen Familie vor die Tür gesetzt und damit zum
Selbstmorde getrieben. Diese höchst banale Geschichte ist
ebenso hanal dramatisiert und übt auf den Zuschauer die
Wirkung von drei Begräbnissen, bei welchen eine entsetzliche
Trauermusik den Leuten die Tränen in die Augen treibt.
Frau Niese stellte die zwischen Edelmut und geistiger
Beschränktheit an zwei Todesfällen schwer leidende unver¬
mählte Witwe mit echter Wärme dar und wurde dafür mit
großem Beifalle ausgezeichnet. Ihr war auch selbstverständ¬
lich das größte Interesse zugewendet und jedenfalls ha
auch ihr Spiel mehr Interesse verdient als das ganz
„Vermächtnis“, dieses zu einer Vorlesung bei der Haus
meisterin besser als zu einer Aufführung auf der Theater
bühne geeignete Drama. Mandarf mit dessen einmalige
Aufführung vollauf zufrieden sein; doch am besten wär
es gewesenau die Einmaligkeit zu vermeiden.