II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 327

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10. Das Vernaechtnis
Ausschnitt aus: Teplitzer Zeitue,
1340R.1316
vom:

Teplitzer Stadttheater.
Leitung: Karl Richter.
Das Vermächtnis.
Schauspiel „von Arfse Sbst
Mit diesem Schauspiel hat Schnitzler ein sozi¬
ales Drama geschaffen, das sich auf der Bühne
erhalten wird. Die Lokalfarbe, die er der Handlung
und den Personen gegeben hat, erhöht nur die Wir¬
kung. Er geht im „Vermächtnis“, mehr noch als
sonst, moderne Wege und meidet jedes Pathos. Für
den Gesellschaftsgeist, der Gnade gibt, wvo man
„einfach nur gut hätte sein müssen“, wie Franziska
zum Schlusse sagt, findet er in dem liberalen
Universitäts=Professor und Reichsrats¬
Abgeordneten Losatti einen lebensechten Ver¬
treter. Die Objektivität ist köstlich, mit der dieser
Typ des hochgebildeten, zur Selbsthewunderung ge¬
neigten dozierenden Gesellschaftsmenschen gezeichnet
ist, der sich von Idealen und starken Grundsätzen ge¬
tragen fühlt, aber doch nur ein schwaches Geschöpf
seiner Eitelkeit und der Konvention bleibt. Den
Stempel der Natürlichkeit tragen alle übrigen Ge¬
stalten und in strenger Logik entwickelt sich eine
Szene aus der anderen. Kaum daß der Konversa¬
tionston die Wucht der Handlung mildert, deren
überreichliches Maß der Lebenswahrheit nicht Ab¬
bruch tun kann. Nach „Liebelei“ ist das gestern auf¬
geführte Schauspiel das packendste Werk des Wiener
Dichters. Die erfolgreiche Aufführung in der Pro¬
vinz ist der beste Prüfstein für den dramatischen
Wert dieses Stückes. Ihre Mängel konnten seine
große Wirkung nicht beeinträchtigen. Zur Ehre un¬
serer Stadtbühne kann jedoch gesagt werden, daß die
Darsteller mit Liebe bei der Sache waren, wenn¬
gleich der Souffleurkasten mehr als wünschenswert
in Anspruch genommen wurde. Herr Preiß ver¬
körperte den Professor und Parlamentarier recht
glücklich und Frl. Hochberg gelang es nah dem
rm-Anszuge-chrer-großen Roll#als cen Gumae
voll gerecht zu werden. Von Frl. Trebitsch als
Toni war nur das Beste zu erwarten. Herr Grad¬
nitzer fand für seine Sehnsucht nach Kind und
Weib Herzenstöne von ergreifender Natürlichkeit
und die Damen Jelly, Wilsen und Michel
entledigten sich ihrer Rollen mit Verständnis. Herr
Kraus stattete den Dr. Schmidt mit einer ganz
entbehrlichen Bösewichtsmiene aus. Er hätte bei
seiner scharfen zointierung des Gesprochenen auch
ohne schwarze Drille dieselbe Wirkung erzielt. Herr
Schnepf (Arzt) und Herr Serbouset (Bran¬
der) füllten ihre Plätze gut aus. Als Lulu betätigte
die kleine Springer ihr frisches Talent. Das volle
Haus nahm das Stück und seine Darstellung mit
wachsendem Interesse und großem Beifall auf. Frl.
Trebitsch, Frl. Hochberg, Frl. Wilsen und die
Herren Preiß und Kraus wurden durch viele Hervor¬
rufe ausgezeichnet.
Ehrenabend der Opernkräfte
Carmen.
Die vorgestrige Wiederholung von „Carmen“
war in der Tat ein Ehrenabend für unfer Opern¬
personal. Das ausverkaufte Haus hatte die Freude,
Frl. Wertheim als Micaela zu sehen und zu
hören und diesmal einer sehr befriedigenden Auf¬
führung der Bizetschen Oper beizuwohnen. Frl.
Bauer (a. G.) scheint die frühere Befangenheit
vollständig überwunden zu haben und bot eine
glutvolle „Carmen“ von großer Wirkung. Die Mi¬
caela des Frl. Wertheim war eine gesanglich
wie dramatisch hohen Ansprüchen genügende reizende
Erscheinung, die stürmische Anerkennung fand. Die
Herren Füllenbaum (José), Schwarz (Esca¬
millo) waren sehr gut disponiert und das Publikum
überschüttete alle Genannten mit Zeichen des Bei¬
falls. Nach jedem Aktschlusse wurden sie hervorgeju¬
belt und nach dem dritten Akt sämtlich mit Blumen¬
spenden und Kränzen bedacht, besonders reichlich der
erklärte Liebling unserer Opernbesucher, Frl. Wert¬
heim, vor der sich die blühenden Ehrengaben zu
einem Blumengarten häuften.