II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 326

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10. Das Vernaechtnis
Ausschnitt aus Deutsches Abendblatt, Prag
—- MAl 13·5
vom:
Itterkattbagien=Gelel....
Theater und Kunst.
Neues deutsches Theater. „Das Vermächt¬
nis.“ Schauspiel in 3 Akten von Arthur Schnitz¬
ler. Dieses sorgfältig dialogisierte, in dramerischer¬
Hinsicht aber recht blutarme Tendenzstück hat auch
bei seiner diesmaligen Neu-Einstudierung, trotz der
glänzenden Wiedergabe durch unsere heimischen Dar¬
steller, nur einen Achtungserfolg für den berühmten
Autor davongetragen. Herr Max Schütz als Pro¬
fessor Losatti spielte diesen selbstzufriedenen Phrasen¬
drescher mit verblüffender Realistik. Auch Herr Louis
Böhm gab sich alle Mühe, der großen Szeve des
sterbenden Doktors Hugo Losatti pathalogische Wahr¬
heitszüge zu verleihen. Fräulein Medelsky als
Toni Weber war rührend in ihrer hilflosen Schlicht¬
heit und vibrierte nur im tiefsten Seelenschmerze
des von der ganzen Welt verlassenen „süßen Mädels.“
Herr Hartberg fand in der Rolle des Dr. Schmidt
die volle Schärfe und Rücksichtslosigkeit, womit dieser
Ankläger der freien Liebe auftritt. Mit Wärme und
prächtiger Steigerung führte Frl. Gottinger als
Franziska die Verteidigung deraufgestellten These
durch. Die billigere Empfindsamkeit, die sich bald für
bald gegen die freie Liebe wortreich ergeht, war unter
die Damen Monati, Tormin, Hübner und
Lichnowsky klüglich verteilt. In zwei kleinen
Aufgaben wirkten auch noch die Herren Rittig
und Frieberg verdienstlich mit.
P. R.
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u Das Vermachtnis.“] Arthur Schutlek
liebt es, mit aller Feinheit der Beobachtun
Psychologen und Arztes besonders Episoden durch¬
zuzeichnen, die er dem Alltagsleben entnimmt und,
nachdem er sie in dramatische Form gekleidet hat,
zu Szener. ausbaut. Mit Vorliebe hält er sich an
Einakter und auch dort, wo er seine geschickte Expo¬
sition zu längeren Schauspielen erweitert, lassen sich
wieder diese Einzelteile herausfinden, die er aller¬
dings durch seine tiefe, seelenvolle Entwicklung zu
innerer Einheit verbindet. „Das Vermächtnis“ ist
die äußerst bühnenwirksame Darstellung des tragi¬
schen Geschicks einer Mädchenseele, die Liebeslust
und =Leid in vascher Folge mitmacht, der als Geliebte
des Sohnes in dessen Elternhause dahinzuleben er¬
laubt wir eil ihr Kind die seelischen Banden noch
mit der # milie herstellt und deren Dasein haltlos
wird, als das Kind stirbt. Frl. Trebitsch legte
alle Feinheiten ihres Empfindens in ihr bewegtes
Spiel. Sie stellte trefflich den Ausdruck der sich
ändernden Gefühlsäußerung dar, übertrug alle Liebe
auf ihr Kind, versuchte sich der Familie zu nä¬
hern und ließ das Empfinden erkennen, doch diese
Fremde zu bleiben, die dann feelisch zusammenbricht,
als man ihr den letzten festen Halt raubt und sie ins
Alleinsein, in den Tod treibt. Ihre Sprache hob
das Undramatische ihrer Rolle, ihr Ausdruck der
Liebe und Entsagung urchgeistigte das Alltägliche
des Charakters der ntiebten. Recht verschiedenar¬
tig stellten die F uilienmitglieder ihr Verhalten
dar. Die Fran## a des Frl. Wilsen zeigte sym¬
pathisch Mitgefühl, Innigkeit und Wärme mit ehr¬
licher Entrüstung gegen herkömmliche Moral. Die
Tante Emma des Frl. Hochberg wirkte zu ge¬
sucht und gewollt liberal. Die Mutter stellte Frl.
Jelly wie gewöhnlich dar. Ihr sprachlicher Aus¬
druck vermag sich nicht einmal im Augenblicke seeli¬
scher Erregung vom einförmig Form= und Tonlssen
freizumachen. Frl. Michel wieder gab ihre Agnes
in zu hastigem Spiel und Wort und nur anfangs in
ihrer Tochterrolle wirkte sie anmutig. Herr Preiß
sprach und dozierte seine Rolle des Professors, der
seinen liberalen Ideen sogar sein siittlich strenges
Haus öffnet, mit Ernst und ausgleichender Würde.
Herr Kraus stellte seinen gestrengen Dr. Schmidt
einheitlich durchdacht, streng, herzlos und mit der
nötigen trockenen Verschlossenheit dar, nur litt bar¬
unter auch sein gutes Spiel, das zu hölzern wurde.
Die Herren Gradnitzer und Serbouset
entledigten sich gut ihrer kleinen Rollen. Die Spiel¬
leitung des Herrn Richter wurde allen Bühnen¬
anforderungen aufs beste gerecht. Das wie alle
Schnitzler=Stücke stark bühnenwirksame Schauspiel
fand auch auf unserem Theater beifällige Aufnahme.