II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 329

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10. Das Vernaechtnis
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR 22-24
Zeitang Die Reichspost
Adresse. Wien
13 TAE
Datum:

Theater,=Kunnt aus Musik.
—Raimundtheater. Zum erstenmal: Artur Schnitz¬
lex, „,Das Vermächtnis“ — Auftreten der Luise Kar¬
tuse Dis Stück hat nicht übel gewirkt, zwar der zweite
Akt ist etwas langweilig und die Moral von der Geschichte
ist an die #ltliveralen Kreise gerichtet, die heute selten ge¬
worden sindi auch enthält es einige Spitzen gegen das
Bürgerlich=Christliche, aber sonst läßt es sich sehen und
hören und mag gut gemeint sein. Es handelt sich um die
Abneigung der Eltern besserer Kreise, gegen eine nicht
ebenbürtige Schwiegertochter und die Art, wie man solchen
entgegenkommt; die „Schwiegertochter“ in diesem Stück
ist freilich nicht kirchlich getraut und kommt mit ihrem
Söhnchen erst ins Haus, als der Geliebte auf seinem
Totenbett es verlangt, also als sein Vermächtnis. Solange
der Kleine lebt, geht es beiläufig, dann aber wird sie
eiligst entfernt. Das Stück ist nicht neu. Man nahm es
im Raimundtheater freundlich — wohl als eine Geburts¬
tagsfeier Schnitzlers — auf. — Luise Kartousch aber
blieb im Schatten; es gelang ihr nicht, sich irgendwie als
Schauspielerin hervorzutun, die Rolle dieser „Schwieger¬
tochter“ ist auch nicht darnach angetan, zu besonderen
Glanz zu verhelfn, und Resches, Fesches, was man von
Luise Kartusch dartet, ist schon gar nichts dran. Sehr
gut gaben sich Frau Förster als Mutter Betty und
Lily Karlv als Emma Winter; auch Adrienne Geßner
hatte einen guten Tag. Kurt Lessen brachte das Kunst¬
stück, den Vertreter der „starren“ Moral nicht allzu un¬

liebenswürdig zu geben, recht annehmbar zustande. Karl
Forests Vaterrolle könnte man sich ruhiger, sachlicher
und damit wirksamer vorstellen. Es wirkten zum Vorteil
des Stückes u. a. noch mit Hermann Wail, Louis
Böhm und Wolf Karsten.
N.
Metropoltheater. Der größte Erfolg, der hier vor
Jahren zu verzeichnen war, hat gestern mit der Auf¬
führung von „Frülingsluft“ von Josef Strauß eine
Neuauflage erlebt, die, nach allen Anzeichen zu schließen,
den Erstlingserfolg noch übertrifft. Wiener Musik in ihrer
starken Natürlichkeit und ihrem Melodienreichtum feierte
mühelos einen stolzen Triumph. Dazu eine Darstellung und
eine Aufführung, die zu den besten der letzten Theater¬
ereignisse zu zählen ist. Man muß es der Leitung des
Metropoltheaters lassen, sie versteht es, großzügig in das
Wiener Theatergetriebe einzugreifen und der starke künst¬
lerische Erfolg und das ausverkaufte Haus geben diesem
Beginnen Recht. Eine köstliche Charge der Knickebein des
Herrn König, der allein schon für die Stimmung des
ganzen Abends sorgte. Mizzi Freihardt war eine resche
Hanni und Robert Nästelberger, der auch für die In¬
szenierung zeichnet, ihr ambitionierter trefflicher Partner.
Doch auch alle übrigen Rollen lagen durchaus in bewährten
Händen. Richard Waldemar holte sich mit dem unnach¬
ahmlichen Vortrag eines zeitgemäßen Couplets einen wohl¬
verdienten Separatbeifall. Herr Viktora, Herr
Greisnegger, Herr Kotanyi und die Damen Hilde
Schulz und Mizzi Griebl sekundierten mit bestem Er¬
folge. Die Primaballerine der Staatsoper Else Stroh¬
lendorf tanzte die „G'schichten aus dem Wienerwald“ und
schuf damit einen wirkungsvollen und stilgemäßen Ausklang
der prächtigen Aufführung.